Klaus Franken (Hg.): Admiral Gustav Bachmann. Lebenserinnerungen und Tagebuch 1915 (= Schriften zur Marinegeschichte (SZMG)), Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2023, XIX + 1041 S., 55 s/w-Abb., 2 Tbl., ISBN 978-3-506-79542-7, EUR 89,00
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"Wer ist das denn?" Diese Frage dürfte wohl vielen Historikerinnen und Historikern durch den Kopf gehen, wenn sie dieses Buch und seinen Hauptprotagonisten betrachten. Ja, man kann es nicht leugnen, zu den bekannteren Figuren deutscher (Marine)Geschichte gehört Gustav Bachmann (1860-1943) nicht, anders als etwa Alfred v. Tirpitz oder Erich Raeder; und dass obwohl er von Februar bis September 1915 Chef des Admiralstabes war, als innerhalb der Marine und im Großen Hauptquartier ein erbittertes Ringen um Sinn oder Unsinn eines U-Bootkrieges stattfand, um der verfahrenen seestrategischen Lage begegnen zu können. Große Wirkung konnte Bachmann hier allerdings nicht entfalten und Marinekabinettschef Georg Alexander v. Müller bilanzierte: "Schön war die Zeit im Admiralstabe nicht für Sie, sie wird für keinen schön sein." [1] Der ehemalige Konstanzer Bibliotheksdirektor Klaus Franken, der bereits mehrere Bücher und Editionen zur Marinegeschichte vorgelegt hat [2], bietet mit seiner dickleibigen Quellensammlung nun die Möglichkeit, sich diesen Geschehnissen aus der Perspektive eines zwar unbekannteren aber führenden Akteurs zu widmen.
Sein Buch gliedert sich nach der Einleitung (VII-XVII) in fünf Teile, davon sind vier die edierten Selbstzeugnisse. Zunächst stellt Franken die Biographie seines Protagonisten ausführlich und auf breiter archivalischer Quellenbasis vor (1-63). Im ersten Editionsteil werden die Lebenserinnerungen Bachmanns bis zum Jahr 1915 abgedruckt (65-624), unterbrochen durch das Tagebuch aus diesem Jahr (625-830), bevor die Memoiren fortgesetzt werden (831-938). Der Editionsteil schließt mit einer Dienstschrift über den "Admiralstab der Kaiserlichen Marine" aus dem Jahr 1935 (939-1018). Das Werk wird durch ein Personenregister mit Kurzinformationen umfänglich erschlossen.
Wie kamen die hier zugänglich gemachten Quellen zustande? Das Tagebuch aus dem Jahr 1915 beruht möglicherweise auf Notizen aus der Kriegszeit und wurde von Bachmann offenbar zu einem späteren Zeitpunkt überarbeitet, allerdings scheint kein nachträgliches Wissen in das Dokument eingeflossen zu sein, das in Kopie im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau liegt. Die Lebenserinnerungen dagegen, die in zehn Heften aus den Jahren 1922-1926 vorliegen, sowie das Original des Tagebuchs von 1915 und die Dienstschrift von 1935 spürte Franken bei einem Urenkel seines Protagonisten auf. Diese Dokumente werden hier also erstmals der Forschung zugänglich gemacht, wobei der Herausgeber den Text gekürzt und auf eine "Marine-Version" (XIV) eingedampft hat, die auf Reisebeschreibungen und Familiäres verzichtet. Alles, was mit der Marine, der Politik und dem Gesellschaftsleben zusammenhängt, sei aber in die Edition aufgenommen worden. Höchstwahrscheinlich standen Bachmann bei der Niederschrift seiner mit Fotografien und Abbildungen verzierten Lebenserinnerungen weitere Dokumente und Tagebücher zur Verfügung, die allerdings nicht überliefert sind. Das intendierte Zielpublikum sah Bachmann in seiner Familie, was seine Aufzeichnungen deutlich von den zahlreichen Memoiren anderer Marineoffiziere nach dem Ersten Weltkrieg unterscheidet, die in aller Regel an einer Rechtfertigungsgeschichte ihrer Institution arbeiteten [3], wobei sich auch Bachmanns Aufzeichnungen hinsichtlich der Enttäuschung über die gescheiterte Flottenpolitik und den Kriegsausgang sowie der Bewunderung für Großadmiral Tirpitz kaum von den Briefen und Manuskripten anderer Marineoffiziere unterscheiden.
Die hier vorgelegten Quellen bieten Einblicke in die Lebens- und Deutungswelt eines der zentralen Protagonisten der Kaiserlichen Marine, dessen Erfahrungen die Zeit der Kanonenbootdiplomatie der 1880er-Jahre mit ihren Auslandseinsätzen ebenso abdecken wie die große Flottenrüstung unter Alfred v. Tirpitz um 1900 sowie den Ersten Weltkrieg und die Revolution 1918/19. Sie bieten daher vielfältige Einblicke in diese Phase deutscher (Marine)Geschichte. Bachmann schreibt flüssig und hält sich mit seinen Bewertungen einzelner Personen nicht zurück, was wiederum Einblicke in die zahlreichen Streitigkeiten und Intrigen innerhalb der Marine beziehungsweise der Reichsleitung erlaubt. Reichskanzler Bethmann Hollweg etwa, so glaubte Bachmann, sei nur deshalb in sein Amt gelangt, da er "besser im Yacht-Dress ausgesehen [hat] als seine Konkurrenten" (531). Es sind derartige Episoden, die dabei helfen, das personale Beziehungsgeflecht und die von Gerüchten durchsetzte Kommunikationskultur im Umfeld der politisch-militärischen Spitzen des Reiches, die sich auf Bällen, Empfängen oder bei der Kieler Woche begegneten, besser zu verstehen. Tatsächlich nehmen die menschlichen Beziehungen einen Großteil der Aufzeichnungen ein, während dagegen schiffbautechnische Details kaum eine Rolle spielen.
Leider haben der Verlag oder die Druckerei bei der Produktion des Buches - oder zumindest der vorliegenden Ausgabe - nicht ganz so gründlich gearbeitet wie der Herausgeber, denn die Einleitung und das Titelblatt sind in falscher Reihenfolge abgedruckt. So beginnt das Werk mit den Seiten XIII-XIV der Einleitung, anschließend folgt das Inhaltverzeichnis und schließlich die übrige Einleitung, in der wiederum die zu Beginn abgedruckten Seiten fehlen. Aber gut, wer mit dem Buch arbeitet, wird ohnehin die Mühe des Blätterns auf sich nehmen. Es wird niemanden überraschen, dass sich die hier bequem zugänglich gemachten Quellen primär mit der Marine beschäftigen, weshalb die Edition vor allem für Forscherinnen und Forscher in diesem Feld von besonderem Interesse ist. Aber auch diejenigen, welche zur politischen oder militärischen Geschichte des Kaiserreichs beziehungsweise der Weimarer Republik arbeiten, können hier - je nach Fragestellung - fündig werden. Die künftige marinehistorische Forschung wird jedenfalls an der Berücksichtigung dieser Edition mit ihren zahlreichen Detailinformationen nicht vorbeikommen und man kann sicher sein, dass sie bald in den Fußnoten und im Quellenverzeichnis jeder Untersuchung zu diesem Gegenstandsbereich ihren wohlverdienten Platz finden wird.
Anmerkungen:
[1] Georg Alexander v. Müller an Bachmann (1.9.1915), in: BArch, RM 2/1991, Bl. 16.
[2] Vgl. etwa Klaus Franken: Vizeadmiral Karl Galster. Ein Kritiker des Schlachtflottenbaus der Kaiserlichen Marine (Kleine Schriftenreihe zur Militär- und Marinegeschichte Bd. 22), Bochum 2011 (siehe hierzu auch meine Rezension in: http://www.sehepunkte.de/2014/06/22162.html >); ders.: Das Marinekabinett Kaiser Wilhelms II. und sein erster Chef Admiral Gustav Freiherr von Senden-Bibran, Berlin 2015; ders.: Von Schwarz-Weiß-Rot zu Schwarz-Rot-Gold. Der Übergang von Seeoffizieren der Kaiserlichen Marine in die Marine der Weimarer Republik, Berlin 2018.
[3] Vgl. zur Marinepublizistik u. Geschichtspolitik nach 1918/19 ausführlich Sebastian Rojek: Versunkene Hoffnungen. Die Deutsche Marine im Umgang mit Erwartungen und Enttäuschungen 1871-1930, Berlin/Boston 2017, S. 255-425.
Sebastian Rojek