Rezension über:

Luciana Petracca: Le terre dei baroni ribelli. Poteri feudali e rendita signorile nel Mezzogiorno aragonese (= I libri di Viella; 419), Roma: viella 2022, 334 S., 23 Kt., 28 Tbl., ISBN 979-12-5469-004-8, EUR 32,00
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Rezension von:
Tobias Daniels
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Daniels: Rezension von: Luciana Petracca: Le terre dei baroni ribelli. Poteri feudali e rendita signorile nel Mezzogiorno aragonese, Roma: viella 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/37146.html


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Luciana Petracca: Le terre dei baroni ribelli

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Das Buch spielt mit seinem Titel auf die berühmte "Verschwörung der Barone" (1485-87) gegen die seit 1442 im Königreich Neapel regierenden Aragonesen an, zu der es einen Beitrag aus einer ungewöhnlichen Perspektive leistet. Anhand eines Registers der königlichen Verwaltung im Staatsarchiv Neapel aus dem Jahr 1494, dessen Edition die Verfasserin vorbereitet, werden die herrschaftlichen, ökonomischen und sozialen Strukturen jener Territorien analysiert, welche den "rebellischen Baronen" unterstanden. Das Register entstand im Zuge der Konfiszierungen nach der Verschwörung durch die Königsgewalt, die Geschäftsträger aussandte, um vor Ort durch Nachfragen zu ergründen, was sie einkassiert hatte.

Der (in Kapitel 1 umrissene) politische Konflikt bildet somit eher den Anlass als den Gegenstand des Buches. Das Register eröffnet einen detaillierten Einblick in Makro- und Mikrostrukturen des ländlichen Raumes in Süditalien, der in Kapitel 2 in seinen geographisch-territorialen und herrschaftlich-administrativen Dimensionen vorgestellt wird.

Die Einnahmen der Signori gingen auf die Zeit der Anjou zurück: Nach der Sizilianischen Vesper wollten sie 1282 die monarchische Gewalt stärken, indem sie den Baronen eine Reihe von Rechten in ihren Territorien einräumten; 1443 modifizierte Alfons von Aragón diese. Sie betrafen hauptsächlich zwei Aspekte (Teil II, Kap. 3-5): Einnahmen aus den Ländereien (einerseits die Grundrente, also landwirtschaftliche Erzeugnisse, andererseits Immobilienbesitz und Verpachtung) und die Gerichtsbarkeit mit ihren Ämterstrukturen, -käuflichkeiten sowie daraus sich ergebende Einnahmen.

Durch die Fragen der neapolitanischen Offiziellen lernen wir die genauen Produktionsvolumina und Preise für Oliven, Olivenöl, Brot, Tuche, Leder, Eisen, Holz usw. kennen, schreiten Herrschaftssitze, Gehöfte, Weinberge, Windmühlen, Backstuben etc. ab. Vor allem aber lernen wir - in einem raren Einblick - die Menschen in kleineren Ortschaften, ländlichen Räumen und "multiethnischen" (102) Bereichen kennen, in denen sich viele Juden, Slaven, Albaner, Griechen niedergelassen hatten.

Die Gerichtsbarkeit lässt eine generell gewalttätige und ungehorsame, durch starke ökonomische Ungleichheiten und Ehrvorstellungen geprägte Welt erkennen: 50% der Delikte richten sich gegen die Zentralgewalt, 10% betreffen Fehden, 14% Beleidigungen, 9% körperliche Gewalt (auch gegen Frauen, wobei Verbalinjurien häufiger bestraft werden), knapp 8% Diebstähle und fast die gleiche Anzahl mangelnden Respekt gegenüber Vorschriften (96). Die entsprechenden pekuniären Ahndungen sind genau festgelegt: so etwa 1 tarì für die Teilnahme an Versammlungen auf der Piazza oder einen Fluch. Die Offiziellen notieren eine vulgäre Alltagssprache, meist mit sexueller Konnotierung, bis hin zu drastischen Aussagen wie "yo incaco quillo chi stai in cielo" (101f.).

Die statistische Auswertung kann den Reichtum der Barone beziffern (an der Spitze die Sanseverino, gefolgt von den Gesualdo, Colonna, Caracciolo usw.), die Verschlechterung der Situation der Bauern durch die Wertschöpfung, aber auch die große, von den Baronen geförderte Produktivität, wobei Petracca betont, dass angesichts der regionalen Unterschiede nicht von einem homogenen Mezzogiorno zu sprechen sei. Erkennbar wird all dies auch in den sehr nützlichen, vielen Tabellen, Graphiken und Karten für die einzelnen Territorien sowie den bio-bibliographischen Porträts der einzelnen Barone mit ihren Untertanen. Dass die Dokumentation singulär ist und des Vergleichs mit anderen Realitäten bedürfte, formuliert die Autorin selbst, doch ist auch die geringe Überlieferungschance derartiger Quellen zu bedenken. Die Einblicke, welche das hier untersuchte Register gewährt, sind sehr aufschlussreich - natürlich nur deshalb, weil Petracca sie akkurat aufbereitet und zum Sprechen gebracht hat!

Tobias Daniels