Marcel Albert (Hg.): Handbuch der benediktinischen Ordensgeschichte. Band 1: Von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert (= Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Bendediktinerordens und seiner Zweige; 57), St. Ottilien: EOS Verlag 2022, XL + 643 S., ISBN 978-3-8306-8131-1, EUR 49,95
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Als sich 2014 der Abschluss des rund fünfzig Jahre zuvor begonnenen Projekts der "Germania Benedictina" abzeichnete, wandte sich die Bayerische Benediktinerakademie dem Vorhaben zu, eine umfassende Geschichte der Entwicklung benediktinischen Lebens seit den Anfängen zu erarbeiten. An neuerer Literatur zu diesem Thema herrscht erfreulicherweise kein Mangel [1], doch angesichts der komplexen Genese des Benediktinertums, dessen weltweiter Präsenz und nicht zuletzt wegen des Anspruchs einer erschöpfenden Behandlung entschied man von vornherein, die Last eines solchen historiographischen Großprojekts auf viele Schultern zu verteilen.
Der erste von geplant vier Bänden des "Handbuchs der benediktinischen Ordensgeschichte" liegt nun vor. Für die Mitarbeit an dem Band konnte der Herausgeber Marcel Albert, der selbst mehrere Beiträge verfasst hat, fünfundzwanzig Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Dänemark, Italien und Kroatien gewinnen. Abzüglich des Vorworts (V-XI) beinhaltet das Buch 37 Beiträge, wobei lediglich acht Texte von Autorinnen stammen. Gemäß der anfänglichen Konzeption, die Albert vor einigen Jahren vorstellte [2], sollte der erste Band die Zeitspanne von der christlichen Spätantike bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts abdecken. In der vorliegenden Publikation markieren nunmehr Entwicklungen des 13./14. Jahrhunderts den chronologischen Schlusspunkt - zum einen die Entstehung neuer benediktinischer Reformgruppen in Mittel- und Norditalien, zum anderen die Anpassungsbemühungen der traditionellen Benediktiner an die sozialen, intellektuellen und ökonomischen Herausforderungen dieser Zeit.
Die Reformprozesse, welche im Spätmittelalter sowohl von Papsttum und Kurie als auch durch erneuerungswillige benediktinische Kräfte angeregt und gestaltet wurden, dürften dann im zu erwartenden zweiten Band zur Sprache kommen. Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass der Komplex der klösterlichen Wirtschaftsgeschichte einen eigenen - wenn auch recht knappen - Abschnitt bildet (585-604) und in Julia Bruch eine Bearbeiterin mit ausgewiesener Expertise gefunden hat.
Nach dem Vorbild der "Germania Benedictina"-Bände erfolgt die Darstellung der ersten acht Jahrhunderte benediktinischen Lebens in einem einheitlichen Schema. So gliedert sich der Band in drei größere, chronologisch orientierte Abschnitte, an die sich das bereits erwähnte Kapitel zu Aspekten der klösterlichen Ökonomie anschließt. Jedes der drei Großkapitel beginnt mit einer kurzen Einleitung und wird von einem Text abgeschlossen, der dem "Beitrag der Klöster zur Kultur" in der jeweils betrachteten Phase gewidmet ist. Dieser Frage nach dem kulturellen Schaffen benediktinisch lebender Mönche und Nonnen hat sich der Kunsthistoriker Hans-Walter Stork angenommen. In den Beiträgen, teils sogar vor einzelnen Abschnitten, findet der Leser eine Auswahlbibliografie der benutzten Forschungsliteratur. Manche der aufgeführten Titel sind auch in dem gesonderten Verzeichnis der mehrfach zitierten Literatur (XXVII-XL) enthalten. Weitere Hilfsmittel sind Abkürzungs- und Siglenverzeichnisse sowie das Register zum Band, welches Orte, Personen und Sachen zuverlässig erfasst.
Die große Anzahl der im Band versammelten Texte macht die eingehende Besprechung und Bewertung aller einzelnen Beiträge unmöglich. Daher sei aus der Fülle nur Weniges herausgegriffen. Eine Einführung in die Frühgeschichte des christlichen Mönchtums bietet der Überblick von Thomas Karmann (8-49). Seine Literaturauswahl lässt neuere Untersuchungen zum religiösen Leben in Spätantike und frühem Mittelalter leider vermissen, sodass Karmanns Ausführungen nicht den erreichten Stand der Forschung wiedergeben. Weitere Beiträge dieser ersten Sektion (3-127) widmen sich der Benediktsregel selbst und der Etablierung monastischer Lebensweisen in verschiedenen Regionen Europas, wo - dies wird mehrfach betont - die Regel und Vita Benedikts nur eines von vielen Elementen im Geflecht mündlich und schriftlich tradierter Ordnungen bildeten.
Der zweite Abschnitt (131-422) macht den quantitativen Hauptteil des Bandes aus, was kein Zufall ist, gelten doch die darin behandelten Jahrhunderte nach den Beschlüssen des Aachener Konzils von 816 unbestritten als Blütezeit benediktinischen Mönchtums. In großer Breite werden hier besonders die mit dem Wirken Benedikts von Aniane verbundenen monastischen Reformen im Karolingerreich (Ernst Tremp, 136-166) sowie die Benediktinerabtei Cluny als Keimzelle eines zentralistisch organisierten Klosterverbands (Maria Hillebrandt, 176-240) thematisiert. Von gleichfalls wichtigen Reformzentren und charismatischen Akteuren erfährt der Leser hier ebenso wie von den christlichen Missionen in Böhmen, Polen und Ungarn, an denen Benediktinermönche führend beteiligt waren (Waldemar Könighaus, 394-406).
Tiefgreifende soziokulturelle Veränderungen und religiöse Differenzierungsprozesse prägten die benediktinische Geschichte während des Hochmittelalters, die Gegenstand des dritten Abschnitts (425-582) ist. Wurde einerseits die bestehende Dominanz des klösterlichen Lebens nach der Benediktsregel nachhaltig aufgebrochen - so hebt Anja Ostrowitzki einleitend hervor (425-427) -, ergaben sich andererseits zwischen Teilen des benediktinischen Mönchtums und den neuen religiösen Bewegungen bedeutende Wechselwirkungen. Dies gilt insbesondere für die im Beitrag von Ostrowitzki dargestellte Herausbildung des benediktinisch inspirierten Zisterzienserordens (474-499) und jenen bemerkenswerten Aufschwung des Benediktinerinnentums, den Hedwig Röckelein erörtert (462-473) und der innerhalb des Handbuches noch mehr Raum und Aufmerksamkeit verdient hätte.
Das Anliegen, eine weder auf zu knappem Raum geschriebene noch sich in Details verlierende Gesamtdarstellung der benediktinischen Geschichte bereitzustellen, sieht der Rezensent in dem hier angezeigten ersten Band der Handbuchreihe erfüllt. Allerdings bewegen sich die Beiträge nicht durchgängig auf der Höhe der aktuellen Ordensforschung, wodurch der Gesamteindruck doch geschmälert wird. Zudem wären im Vorwort einige Bemerkungen strukturellen Inhalts sehr wünschenswert gewesen, denn über die Leitlinien des Handbuchs oder auch dessen intendiertes Zielpublikum erfährt man nichts; näheren Aufschluss gibt einzig der erwähnte frühere Aufsatz des Bandherausgebers. Für alle an dem Gebiet der benediktinischen Geschichte im Mittelalter Interessierten stellt der vorliegende Band gewiss eine gute Einstiegslektüre dar. Inwieweit er sich aber innerhalb der deutschsprachigen Mediävistik als Maßstäbe setzendes Handbuch zu etablieren vermag, bleibt abzuwarten.
Anmerkungen:
[1] James G. Clark: The Benedictines in the Middle Ages (Monastic Orders 3), Woodbridge 2011; Mariano Dell'Omo: Geschichte des abendländischen Mönchtums vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Das Charisma des hl. Benedikt zwischen dem 6. und 20. Jahrhundert (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige. Ergänzungsband 51), Sankt Ottilien 2017; Christoph Dartmann: Die Benediktiner. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters (Kohlhammer Urban Taschenbücher), Stuttgart 2018; Georg Jenal: Sub Regula S. Benedicti. Eine Geschichte der Söhne und Töchter Benedikts von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 2018; Mirko Breitenstein: Die Benediktiner. Geschichte, Lebensformen, Spiritualität (C. H. Beck Wissen 2894), München 2019.
[2] Marcel Albert: Projekt "Handbuch der benediktinischen Ordensgeschichte", in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 127 (2016), 490-503, hier 495, Anm. 22, sowie 497f.
Kai Hering