Albert Luce / Ribreau Mickaël: Polémiques en chanson. IVe-XVIe siècles (= Collection "Interférences"), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2022, 403 S., ISBN 978-2-7535-8357-3, EUR 26,00
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Ein Lied kann eine Waffe sein. Was sich fast nach einem Schlagertitel anhört, ist die Programmatik des hier zu besprechenden Sammelbandes, der Einblicke in das konfliktbehaftete Leben in rund 11 Jahrhunderten von der Spätantike bis in die Reformationszeit bietet. Hymnen, Psalmen, geistliche und antihäretische Lieder sowie mythische Dichtung werden untersucht im Hinblick auf die Nutzung von Polemiken und ihre Bedeutung innerhalb von Streitigkeiten.
Neben einer Einleitung durch die beiden Herausgeber umfasst der Sammelband 18 Beiträge in vier Teilen sowie eine Zusammenfassung. Der erste Teil unter der Überschrift "Chanter pour défendre la communauté chrétienne (antiquité) " behandelt die Rolle von Liedern in Konflikten der frühen Kirche. So fragt Céline Urlacher-Becht etwa nach den Funktionen, die den Hymnen in den Werken des Hilarius von Poitiers zukommt ("De trinitate" und "Ante saecula qui manens", 17-44).
Ebenfalls noch in der Spätantike, im vierten Jahrhundert, verortet ist das Untersuchungsfeld von Flavia Ruani, die der Rolle der Polemik im Werk Ephräms des Syrers (franz. Éphrem de Nisibe) nachspürt und in den Kontext der Sangesdichtung des vierten Jahrhunderts stellt (45-57).
Pierre Descotes widmet sich dem Psalm Contra partem Donati des Augustinus und fragt nach der Funktion von Pädagogik und Polemik darin. (59-70) Mit Fulgentius von Ruspe und Augustinus von Hippo und der Thematik von Inklusion und Exklusion in deren antihäretischen Schriften beschäftigt sich Mickaël Ribreau (71-85).
Der zweite Teil des Bandes widmet sich in vier Studien dem Themenfeld der Politik und Gesellschaft in der Lieddichtung des 9. bis 16. Jahrhunderts. Frédéric Rantières untersucht Veränderungen im liturgischen Gesang der Karolingerzeit (105-115), Dominique Demartini die Funktionen von Scham im in Prosa verfassten Tristan, während sich Laurent Vissière mit der Belagerung von Städten in Chansons am Ende des Mittelalters auseinandersetzt. Mit dem Beitrag von Estelle Doudet wird das Feld erweitert um eine Studie zum Zusammenhang von Chansons und Theater, in der erneut die Funktionalisierung von Polemik mit behandelt wird.
Den dritten Teil des Sammelbandes bilden ebenfalls vier Aufsätze unter dem Oberthema latenter Polemiken in geistlichen Chansons des 16. Jahrhunderts. Hier wird ein weiter Bogen von Chansons eines Exilanten über heilige Berge als Symbol böser Versuchungen über den Sinngehalt von Weihnachten bis hin zum Leben an der Sorbonne gespannt.
Den vierten und letzten Teil bilden fünf Beiträge, die sich mit Krieg und Gesang befassen und ebenfalls Texte aus dem 16. Jahrhundert untersuchen. Hier muss der Rezensent unweigerlich an die "Ritter der Kokosnuss" und den durch die französische Burgbesatzung verspotteten König Artus denken, doch gehen die Beiträge dieses Abschnitts tiefer. Hervorzuheben sind hier die Beiträge von Mathilde Bernard, die protestantische Chansons aus der Zeit der Religionskriege bearbeitet, und Tatiana Debbagi Baranova, die sich katholischen Kampfliedern aus dem Paris der Religionskriege widmet.
Am Ende des Bandes stehen eine knappe Zusammenfassung der Beiträge durch die Herausgeber sowie eine Kurzzusammenfassung der Aufsätze und eine Übersicht der Autorinnen und Autoren.
Der Band würdigt die gesamte Bandbreite des Einsatzes von Polemik in Texten zwischen der Spätantike und der Reformationszeit und analysiert durchaus erfolgreich die diesem Begriff innewohnende Dynamik.
Florian Dirks