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Kevin Coogan / Claudia Derichs: Tracing Japanese Leftist Political Activism (1957-2017). The Boomerang Flying Transnational, London / New York: Routledge 2022, 320 S., ISBN 978-0-367-64138-2, GBP 34,99
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Rezension von:
Thomas Riegler
Wien
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Thomas Riegler: Rezension von: Kevin Coogan / Claudia Derichs: Tracing Japanese Leftist Political Activism (1957-2017). The Boomerang Flying Transnational, London / New York: Routledge 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 5 [15.05.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/05/37583.html


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Kevin Coogan / Claudia Derichs: Tracing Japanese Leftist Political Activism (1957-2017)

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Die japanische Neue Linke der 1960er und 1970er Jahre und ihr transnationaler Aktivismus ist in der historischen Forschung außerhalb Japans bislang kaum ein Thema gewesen. Insofern ist es sehr begrüßenswert, dass Claudia Derichs ein Manuskript des kürzlich verstorbenen Kevin Coogan vervollständigt hat. Damit liegt nun eine fundierte und gut lesbare Überblicksgeschichte vor. Das Buch ist ein Wegweiser durch das sehr komplexe Dickicht verschiedenster Organisationen und Strömungen. Es bietet aber auch viele interessante Erkenntnisse zum internationalen Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre, wo Organisationen wie die Japanische Rote Armee (JRA) und die Antiimperialistische Internationale Brigade (AIB) wichtige Rollen spielten. An vielen Stellen können Coogan und Derichs aufgrund der schwierigen Quellenlage keine abschließenden Antworten bieten, liefern aber Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung.

Wie Coogan bereits in der Einleitung feststellt, war die Neue Linke in Japan so gewalttätig und selbstzerstörerisch, dass Mitte der 1970er Jahre niemand mehr mit ihr in Verbindung gebracht werden wollte. Es ist die Geschichte einer sozialen Bewegung, die nicht nur japanische politische Geschichte, sondern auch den Vietnamkrieg, den Blockkonflikt des Kalten Krieges und die transnationale Ideologie einer weltweiten Front von "Befreiungsbewegungen" gegen den "Imperialismus" widerspiegelt (14).

Die Geschichte der japanischen Neuen Linken begann 1958, als sich die Parteijugend Zengakuren von der Japanischen Kommunistischen Partei (JCP) abspaltete. Sie bildeten den Bund, benannt nach dem ursprünglichen "Bund der Kommunisten" aus dem 19. Jahrhundert und definierten sich als leninistische Avantgarde (23). Der Abschluss bilateraler Sicherheitsverträge Japans mit den USA 1959/60 sorgte für eine erste Zuspitzung von Protesten der japanischen Neuen Linken. Eine auf die Auseinandersetzung in den Universitäts-Campus fixierte neue Organisation, die Zenkyōtō übernahm die Führung. 162 Universitäten erlebten schwere Studentenproteste und Streiks. Parallel dazu war seit Mitte der 1960er Jahre Beheiren, die japanische Bewegung gegen den Vietnamkrieg, aktiv und schaffte einige spektakuläre Erfolge, die Aufmerksamkeit auf die Verstrickung Japans in den Konflikt lenkten - etwa durch den Schmuggel von US-amerikanischen Deserteuren nach Europa. 1963 wurde zudem bekannt, dass Seigen Tanaka, einer der Führer der japanischen Rechten, die Hauptströmung der Zengakuren finanziell gefördert hatte. Die Motive dafür sind unklar.

Trotz großer Mobilisierung sollte die japanische Neue Linke bis 1971 komplett zerfallen. Militanz und Gewalt waren nicht auf die Massen übergesprungen, obwohl viele japanische Bürgerinnen und Bürger ihrer Regierung kritisch gegenüberstanden. Die gesamte Linke war in der Krise und konnte sich gegen die herrschende Liberaldemokratische Partei (LDP) nicht durchsetzen. Diese blieb für Jahrzehnte politisch unbesiegbar. Unterstützt von Wirtschaftsverbänden, kleinen Unternehmern und Bauern konnte die LDP seit den 1950er Jahren große Summen in Entwicklungsprojekte in den Provinzen stecken, was ihr populären Rückhalt sicherte.

Von der Neuen Linken spalteten sich immer wieder Kleingruppen ab, die schrittweise in den Terrorismus abglitten. In den späten 1960er Jahren hatte sich die Sekigun-ha, die Rote Armee Fraktion, gebildet, die auch als der "zweite Bund" bekannt wurde. Aus ihr ging die Sekigun, die Rote Armee, hervor, die bis 1971 aktiv war. Nach vielen Rückschlägen im Jahr 1970 entwickelten die Sekigun die Theorie einer "internationalen Operationsbasis", wo man sich neu gruppieren und trainieren konnte, außerhalb des Zugriffs der Autoritäten (147).

1970 unternahmen neun Sekigun-Kader die erste Flugzeugentführung in der Geschichte Japans und kidnappten einen JAL-Flug nach Nordkorea. Das dortige Regime hatte schon 1969 Angehörige einer mexikanischen linksextremen Gruppe, die in Moskau studierten, unterstützt. Von 1968 bis 1970 bekamen sie militärisches Training. In Japan selbst kam es noch 1971 zu einer Vereinigung zwischen einer maoistischen Sekte und den Resten der ursprünglichem Segikun zur Regno Sekigun, der Vereinigten Roten Armee. Ihre Angehörigen zogen sich in die "japanischen Alpen" im Umkreis von Tokio zurück. In dieser Isolation kam zu einer Reihe von Folterungen und 14 Fememorden. Als dann Ende Februar 1972 die Polizei einen Zugriff durchführte und sich eine Belagerung entwickelte, waren schätzungsweise 90 Prozent der japanischen Bevölkerung via TV live dabei. Die Empörung über die Gewalttaten führte zu einer tiefgreifenden Entfremdung mit der Neuen Linken insgesamt.

Dazu trug auch der Terroranschlag am Flughafen Lod am 30. Mai 1972 mit 26 Todesopfern bei. Die drei verantwortlichen Attentäter gehörten zur Nihon Sekigun, der JRA, die sich ab 1971 im Libanon gebildet hatte. Ihre Angehörigen hatten sich dafür entschieden, den Kampf transnational weiterzuführen und unterstützten die Palästinensische Volksbefreiungsfront (PFLP). Das Attentat dürfte ursprünglich Teil einer größer angelegten Operation gewesen sein, die darauf abzielte, die Kontrolle über den Tower des Flughafens zu erhalten. Falls es so geplant war, tauchte die PFLP-Unterstützungseinheit weder auf noch griff sie ein. Jedenfalls dürfte der Anschlag nicht, wie oft dargestellt, als Selbstmordanschlag intendiert gewesen sein.

Die Anführerin der JRA war Fusako Shigenobu. Sie war die Tochter von Sueo Shigenobu, der sich während der Depression in den 1930er Jahren den Keitsumeidan, einer Gruppe rechtsnationalistischer Terroristen, angeschlossen hatte, die 1932 den japanischen Finanzminister ermordete. Die JRA machte in Folge mit mehreren Operationen auf sich aufmerksam, die sie im Jahr 1975 zusammen mit dem Netzwerk von Ilich Ramirez Sanchez ("Carlos") und anderen linksextremen Terrorgruppen unternahm. Darunter fallen die Geiselnahme in der Französischen Botschaft in Den Haag, die Operation Leo, die fehlgeschlagene Entführung der schwedischen Ministerin Anna-Greta Leijon in Stockholm (1975), sowie eine weitere Geiselnahme in Kuala Lumpur. Danach lag die JRA für Jahre still, ehe sich in den 1980er Jahren die AIB herausbildete, die etwa im Auftrag Libyens Anschläge gegen US-Einrichtungen unternahm. Gleichzeitig erfolgte eine Re-Orientierung auf Japan, wohin mehrere Kader zurückkehrten. Das Ende des libanesischen Bürgerkriegs (1990) und mehrere Festnahmen bedeuteten dann das Ende für die JRA. Den symbolischen Schlusspunkt setzte die Verhaftung von Shigenobu in Osaka im Jahr 2000.

Interessant ist, dass Coogan und Derichs den Fokus nicht alleine auf die japanischen Akteure lenken, sondern auch die Strukturen des internationalen Terrorismus beleuchten, in die die JRA eingebettet war. So standen im Hintergrund nicht nur PFLP-Führer Wadi Haddad und dessen Verbindungen zum sowjetischen Geheimdienst, sondern auch das Netzwerk von Henri Curiel, der bis zu seiner rätselhaften Ermordung (1978) die Sache von "Befreiungsbewegungen" unterstützt hatte. Für Curiel bedeutete die Verstrickung mit der JRA das Ende der Protektion durch staatliche französische Kreise. Nicht nur diese Hintergrundrecherchen machen die Studie von Coogan und Derichs für die einschlägige Forschung sehr empfehlenswert. Es bleibt zu hoffen, dass die von ihnen aufgezeigten Spuren und Zusammenhänge aufgegriffen und weiterverfolgt werden.

Thomas Riegler