Christopher McKnight Nichols / David Milne (eds.): Ideology in U.S. Foreign Relations. New Histories, New York: Columbia University Press 2022, 507 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-0-231-20181-0, USD 35,00
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Seit dem Kalten Krieg hat man sich in Europa an eine ideologische Verbundenheit mit den USA gewöhnt. Vielen Europäerinnen und Europäern ist es unmöglich, das transatlantische Verhältnis ohne ideologische Schlagwörter wie Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft zu verstehen. Umso hilfloser wirken viele europäische Regierungen angesichts zunehmender amerikanischer Abkehr von diesen Idealen, hin zu Handelsprotektionismus und neuen Allianzen mit nicht immer demokratischen Partnern im Pazifikraum. Verraten die USA aus politischem Eigennutz ihre ideologische Grundkonstante?
Der Sammelband "Ideology in U.S. Foreign Relations. New Histories" entlarvt diese Frage als Missverständnis. Wie die Herausgeber Christopher McKnight Nichols und David Milne mithilfe von 22 gesammelten Beiträgen zeigen, waren die Beziehungen der USA zur Außenwelt stets von Ideologien geprägt. Diese waren jedoch historischen Entwicklungen unterworfen und öffneten in ihrer Ambiguität auch Interpretationsspielraum. Anstatt also eine gewisse Ideologie identifizieren zu wollen, mit der sich die amerikanischen Außenbeziehungen verstehen lassen, wollen die Herausgeber das Konzept der Ideologie an sich als Leitmotiv des Handelns verstehen.
Zur Veranschaulichung dessen ist der Sammelband in fünf thematische Kategorien unterteilt, deren Trennlinien jedoch bewusst unscharf gehalten sind. "Ideologies and the People" fragt nach dem Verhältnis von Ideologie zum Individuum, zur identifizierbaren Gruppe und zum Verständnis von Inklusion und Exklusion. Die vier Beiträge, die von der britischen Kolonialzeit bis in die Ära Trump blicken, zeigen, wie und warum Individuen und Gruppen Ideologien konstruierten, sie sich aneigneten, oder sich ihnen unterwarfen, um ihren Handlungsraum zu erweitern oder zu verändern.
"Ideologies of Power" untersucht Ideologie als Machtinstrument. An solch unterschiedlichen Beispielen wie Freihandel und Abolitionismus zeigen die Beitragenden, wie ökonomische oder soziale Maximen der globalen Ausweitung amerikanischen Einflusses dienten. Mit Macht kommt allerdings auch Angst vor Unsicherheit, welche Andrew Preston in seinem Beitrag als ideologische Konstante der US-Außenpolitik identifiziert. Christopher Nichols verweist seinerseits auf Unilateralismus als Machtideologie, mit der die USA von der Euroskepsis der Gründerväter bis zu Trumps "America First" ihre eigenen Interessen stets über die einer Weltgemeinschaft stellten. Der Autor betont, dass der in Europa oft als so selbstverständlich wahrgenommene amerikanische Multilateralismus als historisch junges Phänomen der US-Außenpolitik entlarvt wird.
Der dritte Abschnitt, "Ideologies of the International", beleuchtet Prozesse der Sinnfindung und Sinnschaffung im internationalen Raum und erforscht die Situierung einzelner Akteurinnen, Akteure und Gruppen innerhalb internationalistischer Ideen. Eng damit verknüpft zeigt "Ideologies and Democracy" das Spannungsverhältnis zwischen Außen- und Innenpolitik, dem Ideal der Demokratie und der langen Geschichte ihrer Missachtung in den USA sowie ihrer oft zweifelhaften Propagierung nach außen.
Zu guter Letzt widmet sich "Ideologies of Progress" dem Fortschrittsgedanken als ideologischer Leitlinie in der Innen- und Außenpolitik. Auch hier wird wieder ein nicht zuletzt auch militärischer Machtanspruch durch Ideen von Rationalisierung, Modernisierung und Technologisierung verdeutlicht.
Die Vielfältigkeit der Beiträge ermutigt dazu, unser Verständnis von Ideologie und ihren Ausprägungen im US-amerikanischen Kontext zu erweitern. Es geht hier auch, aber nicht nur, um bekannte Schlagworte wie Antikommunismus und Kapitalismus. Wie die Beiträge von Benjamin Coates und Nicholas Guyatt vor Augen führen, bedienten sich politische Entscheidungsträgerinnen und -träger auch vermeintlich europäischer Konzepte von Zivilisation und ethnisch legitimiertem Imperialismus.
Eng damit verbunden war auch Religion als ideologisches Fundament. Emily Conroy-Krutz verweist am Beispiel missionarischer Jugendzeitschriften auf ein Spannungsverhältnis zwischen evangelikalem Reformanspruch, gefühlter ethnischer Überlegenheit und dem gleichzeitigen universalistischen Glauben an die Gleichheit aller Seelen. Raymond Haberski widmet sich der stark theologisch geprägten Lehre vom gerechten Krieg als Legitimation für amerikanische Militärinterventionen nach dem Trauma des Vietnamkrieges. Melani McAlister zeigt anhand der humanitären Hilfe des American Jewish Committee während des Biafra-Krieges die enge Verknüpfung von religiöser Zugehörigkeit und politischem Aktivismus. Dieser starke Fokus auf Religion untermauert auch die Aktualität des Bandes, der nicht zuletzt auch tagespolitischen Debatten um das Erstarken der evangelikalen Rechten innerhalb der Republikanischen Partei geschuldet sein dürfte.
Des Weiteren ist es den Herausgebern ein Anliegen, auf die enge Verknüpfung von Innen- und Außenpolitik ("intermestic") hinzuweisen und damit zu zeigen, dass Ideologie stets in der Wechselbeziehung dieser Räume entsteht. Am Beispiel des Schlagwortes Nationalismus zeigt Michaela Hoenicke-Moore beispielsweise, dass die amerikanische Öffentlichkeit nicht nur Empfängerin außenpolitischer Ideologien von oben war, sondern diese Politik durch Korrespondenzen mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern aktiv mitgestaltete. Ähnlich verhält es sich mit Daniel Tichenors Analyse von Immigrationsdebatten und der Erkenntnis, dass sich diese nicht anhand von Parteizugehörigkeit verstehen lassen. Vielmehr wurde innerhalb der US-Bevölkerung deutlich diverser über Einreisequoten und Rechte von Migranten diskutiert, was sich auch in ambivalenten Migrationspolitiken niederschlug. In Daniel Immerwahrs Beitrag zur Star Wars-Trilogie wird auch der kulturelle Umgang der Öffentlichkeit mit den Auswüchsen amerikanischer Vorherrschaft ergründet. Die zum Imperium verkommene Republik, der mit der späten Einsicht Darth Vaders Absolution erteilt wird, interpretiert er als Hoffnung der USA nach dem Vietnamkrieg wieder zu ideeller Stärke zurückzufinden.
Um der Diversität der Themen gerecht zu werden, verzichten die Herausgeber bewusst auf eine Arbeitsdefinition von Ideologie. Vielmehr sollen das Konzept und seine Grenzen durch die Diversität der Beiträge aufgezeigt werden. Während hierdurch eine interessante Diskussion entsteht, finden sich Leserinnen und Leser gleichzeitig in einem schwer einzugrenzenden Raum wieder, was wiederrum die Anwendbarkeit von Ideologie als analytischer Kategorie infragestellt. Denn wie und wann ein Gefühl, eine Meinung oder eine Theorie zur Ideologie wird, bleibt oft unklar.
Am nützlichsten erscheint Penny Von Eschens Definition von Ideologie als "the ongoing work of naturalizing and normalizing power relations that are constructed and contingent" (301). Ihre Definition nähert sich hier einem Foucaultschen Diskursbegriff an und wird zum flexiblen Sinnstiftungs- und Ordnungsprinzip. Folgt man dieser insgesamt schlüssigen Interpretation, gelangt man jedoch zu der Frage, ob die Kategorie "Ideologies of Power" nicht redundant ist, dient Ideologie doch scheinbar grundsätzlich der Produktion und Reproduktion von Machtverhältnissen.
Allein an dieser Frage zeigt sich aber auch die große Stärke des Sammelbandes. Die vielseitige Auswahl an Beiträgen regt zweifellos zum Denken an und macht damit deutlich, dass es sich bei Ideologie und Außenbeziehungen um einen zweifellos relevanten Themenkomplex handelt, der dringend weiterer Forschung bedarf.
Maximilian Klose