Silvia Kepsch: Dynastie und Konfession. Konfessionsverschiedene Ehen in den Grafenhäusern Nassau, Solms und Isenburg-Büdingen 1580-1648 (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte; 185), Marburg: Historische Kommission für Hessen 2021, VI + 414 S., 21 s/w Abb., ISBN 978-3-88443-340-9, EUR 29,00
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Die Arbeit von Silvia Kepsch, eine Gießener Dissertation aus dem Jahr 2020, verbindet Ansätze der Dynastiegeschichte, der Konfessionalisierungsforschung und der Geschlechtergeschichte. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass bei den Wetterauer Grafenfamilien im 16. und 17. Jahrhundert konfessionsverschiedene Eheschließungen häufig vorkamen. Gemeint sind dabei weniger Verbindungen zwischen protestantischen und katholischen Partnern, sondern vor allem innerprotestantische, also lutherisch-reformierte Allianzen. Vor dem Hintergrund der Forschungsdebatten um frühneuzeitliche Konfessionalisierung und Multikonfessionalität sollen diese Ehen als "Schauplatz konfessioneller Pluralität" (4) genauer untersucht werden. Zugleich öffnet sich damit der Blick auf die Bedeutung von Konfession als Identitätsressource für die Grafenhäuser als Verwandtschaftsverbände, die ohnehin oft selbst in konfessionsverschiedene Zweige geteilt waren. Zudem möchte die Autorin einen Beitrag zur Erforschung der Agency der Gräfinnen im religiösen Bereich leisten, was an zahlreiche jüngere Arbeiten zu den Handlungsspielräumen hochadliger Frauen in der Frühen Neuzeit anknüpft. Die ausführliche Einleitung entwickelt nicht nur die Fragestellung und das begriffliche Instrumentarium für die Arbeit, sondern stellt auch die landesgeschichtlichen Kontextinformationen und insbesondere die behandelten Grafenhäuser - Nassau, Solms und Isenburg-Büdingen - überblicksartig vor.
Die empirischen Untersuchungen verteilen sich auf vier Hauptkapitel. Das erste Kapitel "Eheallianzbildung und Konfession" vermisst die Heiratskreise der behandelten Grafenhäuser in einer längeren Zeitachse, wobei keine eindeutige Tendenz hin zu konfessionell homogenen Eheschließungen konstatiert werden kann. Sodann werden das Zustandekommen der konfessionsverschiedenen Ehen genauer behandelt und deren Motive und Hintergründe anhand sorgsamer Falluntersuchungen in der Bündnis- und Standespolitik der gräflichen Akteure entdeckt. Die Bedeutung von Religionsversicherungen in den Eheverträgen und die penible Inszenierung der Verbindungen im Zeremoniell machen deutlich, in welcher Weise potenzielle Störfaktoren im interdynastischen Verhältnis wahrgenommen wurden und eingehegt werden sollten. Das nächste Kapitel "Christliche Lebenspraxis in konfessionsverschiedenen Ehen" wirft einen Blick auf den konkreten Umgang der Akteurinnen und Akteure mit der konfessionellen Differenz am Hof und im Land. Die Autorin stellt heraus, dass eine aktive Beschäftigung mit Glaubensfragen, auch im Rahmen von theologischen Auseinandersetzungen, bei den Mitgliedern der gräflichen Häuser häufig anzutreffen sei. Während den Gräfinnen mit anderer Konfession als der ihrer Gatten eine konfessionspolitische Einflussnahme auf die Untertanen kaum möglich war, konnten sie Frömmigkeitspraktiken ihrer eigenen Konfession am Hof vielfach ausüben, wobei der Konfessionsgegensatz im alltäglichen Leben mitunter auch bewusst verborgen wurde. Reichweite und Sichtbarkeit der konfessionellen Unterschiede waren Ergebnisse von Abwägungen und Aushandlungsprozessen.
Das folgende Kapitel widmet sich unter der Überschrift "Konfessionelle Kindererziehung" einem der Kernprobleme, die aus der Konfessionsverschiedenheit der gräflichen Eheleute erwuchsen, waren hier doch nicht nur religiöse, sondern auch dynastische Normen und Werte in fundamentaler Weise berührt. Die von der Autorin vorgenommenen Detailuntersuchungen machen einige Spielräume, vor allem aber die Grenzen der Handlungsmacht von Gräfinnen deutlich. Im Interesse herrschaftlicher und konfessioneller Kontinuität verweigerten die Ehemänner in der Regel eine Erziehung der Kinder in der Konfession ihrer Mütter. Entsprechende Möglichkeiten ergaben sich allerdings dann, wenn die gräflichen Ehemänner früh starben und ihre Witwen als vormundschaftliche Regentinnen eingesetzt wurden bzw. andere Vormünder aus größerer Distanz agierten. Entsprechende Fälle werden im letzten empirischen Kapitel "Vormundschaftskonflikte und Konfession" behandelt. Die hier unternommenen Sondierungen zeigen klar, dass die konkreten Konstellationen im transdynastischen Kommunikationsraum einen wesentlichen Einfluss darauf hatten, wie stark die Gräfinnen nun (mit)bestimmen konnten.
Das Schlusskapitel fasst die gewonnenen Erkenntnisse der Arbeit noch einmal zusammen und leitet daraus einige allgemeine Thesen zum Zusammenhang von Konfession und gräflicher Dynastie ab. Hervorzuheben ist dabei die Schlussfolgerung, dass die konfessionsverschiedenen Ehen Symptome einer fehlenden Konfessionalisierbarkeit der Grafenhäuser waren: Die Eingebundenheit in größere Allianzsysteme, individuelle Konversionsentscheidungen und interdynastische Kommunikationen verhinderten, so das Fazit, dass konfessionelle Homogenität ein zentrales Ziel dynastischer Politik werden konnte. Eine solche These fordert dazu heraus, einerseits einen Vergleich mit solchen Herrscherhäusern zu ziehen, die durchaus auf die Konfession als Quelle des kollektiven Selbstverständnisses verwiesen, andererseits den Stellenwert des "Dynastischen" im Rahmen verwandtschaftlicher Praktiken noch genauer zu konturieren. Insgesamt kann festgehalten werden, dass Silvia Kepsch eine profunde Studie vorgelegt hat, die empirische Detailarbeit und konzeptionelle Perspektivierung gut miteinander verschränkt. Sie bietet nicht nur neue Erkenntnisse zu konfessionellen Konflikten und Aushandlungsprozessen im Reichsadel, sondern auch zu den Wetterauer Grafenhäusern im Speziellen und den Logiken dynastisch-verwandtschaftlicher Politik im Allgemeinen.
Michael Hecht