Nicole R. Rice: The Medieval Hospital. Literary Culture and Community in England, 1350-1550 (= Reformations. Medieval and Early Modern), Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2023, XV + 391 S., 25 Farb-Abb., ISBN 978-0-268-20511-9, USD 95,00
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Ruth J. Salter: Saints, Cure-Seekers and Miraculous Healing in Twelfth-Century England, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2021
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In sechs Kapiteln und auf 391 Seiten widmet sich Rice der Verflechtung von Literatur und Gemeinde mit jeweils ortsansässigen Hospitälern in England und vertieft damit einen neueren Aspekt der Hospitalforschung, der Hospitäler als Orte literarischer Produktion und eigenen Kulturraum betrachtet.
Im ersten Kapitel wird ein Prozessionsspiel zu Mariä Lichtmess (Purificatio Beatae Mariae Virginis) in den Blick genommen, das, so die These, vornehmlich weibliche Belange in den gesellschaftlichen Fokus rückte, weil es Maria, ihrer Hebamme und der Prophetin Hanna die prominentesten Rollen zuwies. Dieses von den Zünften, vornehmlich der der Maurer, finanzierte Spiel habe damit auch die Tätigkeit des Hospitals vor der Gemeinde kommemoriert, da mit den weiblichen Rollen auch die Aufgaben des Hospitals in den Belangen der Mutterschaft, der Fürsorge und der Altenfürsorge sichtbar wurden. Darüber hinaus wird dem Spiel als öffentliche Darstellung des Muttersegens ebenfalls eine genderspezifische kulturelle Funktion zugewiesen.
Das zweite Kapitel thematisiert das St. Barts Hospital in London um 1500 und zieht drei unterschiedliche Texte mitsamt deren unterschiedlichen Intentionen (weltlich, medizinisch und geistlich) heran, um eine Dialektik der Verunreinigung und Reinigung hinsichtlich der weiblichen Sexualität nachzuweisen. Die bis heute bestehende Klinik nahm sich im Spätmittelalter insbesondere der Versorgung Prostituierter und von Frauen mit ungewollten Schwangerschaften an. Das Selbstverständnis der Klinik als Ort der Transformation von (weiblicher) Verunreinig zu (auch liturgischer) Reinigung liegt damit auf der Hand, zieht sich durch alle drei Quellengattungen und verweist auf die Jungfräulichkeit sowohl als physischen Zustand als auch als geistiger Haltung. Vor allem die bewertenden Hinzufügungen im medizinischen Traktat, der aus der Trotula kompiliert wurde, und durch diese die Bewertung der Frauen als Korrumpierte verschärfen, überzeugen. Dass die medizinische Hilfestellung auch darin bestand, durch adstringierende Kräutermischungen die Jungfräulichkeit post partum wiederherstellen zu wollen, ist im Kontext der gesellschaftlichen Bewertung der Frauen bemerkenswert, weil immer wieder betont wurde, dass sexuelle Aktivität lediglich in der Ehe akzeptabel sei und die delikate moralische Gratwanderung des Praxisalltags hier zutage tritt. Dass sexuell aktive Frauen aus theologischer Sicht zutiefst suspekt waren, kann nicht verwundern.
Der Autor John Shirley (1366/1456) als Schreiber und Kopist von Texten des St. Barts ist der Protagonist des dritten Kapitels. Aus den verschiedenen Texten einer Handschrift extrahiert Rice genderspezifische moraltheologische Anweisungen für die Lebensführung von Frauen, Kindern und Männern, die dann nicht gesondert behandelt werden. Abseits der Kardinaltugenden (die Rice nicht erwähnt) wird Frauen der Gehorsam auferlegt, und der frauenspezifische Tugendkatalog zudem von Shirley in eine historische Traditionslinie gestellt. Tugendhaftigkeit und Bildung hingegen sind didaktische Ansätze der Kindererziehung.
Gemeinsame Andachtslektüren von St. Barts und dem St. Markus-Hospital, die von Priestern für die Hospitalbewohner gedacht waren, auf die freundschaftliche Verbindung von Shirley mit einem der Autoren zurückgehen und miteinander verglichen werden, stehen im Fokus des vierten Kapitels. Dabei stehen gemeinsame Meditationen und Gebete im Vordergrund.
Kapitel fünf und sechs widmen sich der unter Heinrich VIII. stattgefundenen Kirchenreform und der Auswirkung auf die Hospitäler sowie der frühen Kritik an Hospitälern bei den Lollarden. Den Totengebeten, so die Kritik, sollen dabei mehr Ressourcen zugekommen sein als der Armenfürsorge und die Praxis der Hospitäler stand auf dem Prüfstand. Untersucht werden mehrere Texte, die als Verteidigung der Kliniken vorgestellt werden, die in ihnen einen zwar problematischen aber potenziell rettbaren Ort der sowohl geistlichen als auch medizinischen Rettung sahen.
Die durchaus tragfähigen interpretatorischen Ableitungen werden teilweise durch Anachronismen und Spekulationen empfindlich gestört. Inwieweit es der zeitgenössischen Sicht dienlich ist, einer Sprechrolle Josefs, einer medizinischen Enzyklopädie und einer Theologieschrift, die Prostitution in den (klinischen) Blick nimmt, Misogynie zuzuschreiben, in einem Tableaux vivant eine "mixed-gender Aufführung" sowie in literarischen Adressaten einen "mixed-gender reading context" oder ein Hospital als "multi-gendered" zu sehen, sei abseits der Frage, weshalb diese Zuschreibungen mixed-gender statt mixed-sexes sein sollen, dahingestellt. Ob die von der Autorin den Hospitälern zugeschriebenen Funktionen der Geburtshilfe und der Altenfürsorge für Witwen tatsächlich zu deren originären Aufgaben gehörten, hier also ebenfalls eine genderspezifische Gesundheitsversorgung angenommen werden kann, obwohl in der Forschung nicht mehr als die schiere Patientenanzahl bekannt ist, bleibt eine Leerstelle der Auslegung, die den Leser erstaunt, der Autorin aber, wie sich später herausstellt, bewusst ist: "Yet we have no evidence that the hospital admitted pregnant or laboring women" (63).
Die eigentliche Quellenarbeit hebt in den Kapiteln teilweise nur wenige Auszüge aus komplexen Werken hervor. Das Buch, das mit englischsprachiger Literatur auskommt, verzichtet auch auf eine Einführung in die medizinischen Ideen (Humoralpathologie) und auf den historischen Kontext der spätmittelalterlichen Körper- und Frauengeschichte im Allgemeinen. Trotzdem beleuchtet das Buch die literarische Produktion des Hospitalwesens in England auf eine anschlussfähige und fruchtbare Art und Weise.
Monja Schünemann