Philipp Meller: Kulturkontakt im Frühmittelalter. Das ostfränkische Reich 936-973 in globalhistorischer Perspektive (= Europa im Mittelalter; Bd. 40), Berlin: De Gruyter 2021, VIII + 414 S., 5 Farb-, 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-074375-3, EUR 99,95
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Am 23. März 973 beging Otto der Große - wieder einmal - das Osterfest in Quedlinburg. Nach Widukind von Corvey (III, 75) sei dort eine große Menschenmenge aus verschiedenen Völkern zusammengekommen, um die Rückkehr Ottos und seines gleichnamigen Sohnes aus Italien zu feiern. Der etwa 40 Jahre nach den Ereignissen schreibende Thietmar von Merseburg (II, 31) präzisiert, dass sich auf Anordnung des Kaisers die Herzöge Mieszko und Boleslav, ferner Gesandte der Griechen, Beneventaner, Ungarn, Bulgaren, Dänen, Slawen sowie alle Großen aus dem gesamten Königreich eingefunden hätten. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Ableben Ottos († 7. Mai 973) wurde dieser 'Hoftag in Quedlinburg' leicht zum glanzvollen Höhepunkt der Herrschaft des Kaisers stilisiert. Demgegenüber stellt Philipp Meller in seiner von Michael Borgolte betreuten Dissertation nüchtern fest, dass erst der Rückblick der berichtenden Chronisten das Treffen in dieser Weise verklärt habe, indem die Kontakte aufgewertet und als "Bestätigung ottonischer Universalherrschaft" umgedeutet worden seien (208). Diese Überlieferung aufgreifend, habe auch die Forschung aus dem Hoftag eine "erste Zusammenkunft Europas" gemacht, doch suggerierten solche Wertungen "eine Multikulturalität, die es am Hof Ottos I. de facto nie gegeben hat" (209). So überzeugend dieses Resümee am Ende des Buches - in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der jüngsten, rezeptionsgeschichtlich angelegten Untersuchung [1] - ausfällt, so überraschend ist es vor dem Hintergrund des vom Autor untersuchten Gegenstandes. Denn es sind gerade diese "Kulturkontakt[e] im Frühmittelalter", die Meller in einer "globalhistorische[n] Perspektive" in den Blick nimmt. Die modernistische 'Globalgeschichte' versteht er dabei als "Teil der Beziehungsgeschichte" und definiert als ihr Untersuchungsfeld "konkrete Begegnungen, institutionelle Verflechtungen sowie ideelle und materielle Transfers, die etisch festgelegte Grenzen [sic!] überschreiten" (15). Kulturkontakte seien Begegnungen zwischen Menschen, deren Lebenswelten durch räumliche Distanz voneinander getrennt sind und die sich in ihrer jeweiligen religiösen Zugehörigkeit unterscheiden. Um dieses schnell ausufernde Thema in den Griff zu bekommen, beschränkt sich Meller auf das ostfränkische Reich unter der Herrschaft Ottos des Großen (936-973), sodass der Quedlinburger Hoftag gewissermaßen als Fluchtpunkt der Darstellung fungiert.
In der bereits angesprochenen Nüchternheit der eigenen Funde und Befunde, die gerade nicht als dem Zeitgeist entsprechende Belege für eine anachronistische Hyperglobalisierung des Mittelalters gewertet werden, liegt der große Gewinn dieses flüssig zu lesenden und eher knapp gehaltenen Textes. Einer Einführung, in der zunächst der Forschungsstand und aktuell diskutierte Theorien zum Phänomen des Kulturkontakts, die angewandte Methode sowie die Quellen vorgestellt werden (1-42), folgt ein kursorischer Überblick über die ostfränkischen Außenbeziehungen zwischen 936 und 973. Die dort ebenfalls eingeflochtenen Bemerkungen zum "ostfränkischen Reich" (44-53) sowie zur "Welt im 10. Jahrhundert" (54-57) sind etwas eklektisch und nicht an allen Stellen auf dem aktuellen Stand der Forschung; man hätte sie wohl auch weglassen können. Neben dem lateinisch-griechischen Europa interessieren Meller dann vor allem grenzüberschreitende (oder interreligiöse) Begegnungen, die er regionalisierend als Kontakte zum slawischen Ostmitteleuropa, zur Kiewer Rus, zu Ungarn, Skandinavien sowie Al-Andalus und Fraxinetum fasst (43-95). Einer wiederum sehr komprimierten, als verbindendes Element angelegten Auseinandersetzung mit dem Konzept mittelalterlicher Lebenswelten (97-108), folgen drei Fallstudien zur "Welt der Mönche" (109-144), zur "Welt der Händler" (145-174) und zur "Welt des Königs" (175-209). Diese Beschränkung in der Sache bei gleichzeitiger Erweiterung des klassischen Königszentrismus' ist geschickt gewählt, ermöglicht sie doch, die Unterschiedlichkeit der Kontakte zu funktionalisieren. Trotz potentieller Überschneidungen ist es unmittelbar einsichtig, dass Mönche andere Anliegen verfolgten und an andere Spielregeln gebunden waren als Händler, wohingegen die Sphäre des Königs eine wiederum ganz eigene Welt mit anders gelagerten Begegnungen war.
Die in diesem Teil etwas breiter diskutierten Exempla entstammen insgesamt 98 "grenzüberschreitenden Begegnungen" mit Skandinaviern, Slawen und Muslimen, die Meller aus den Quellen extrahieren konnte und die er in ausführlichen Regesten im Anhang zur Verfügung stellt. Diese Aufbereitung der eigenen Forschungsdaten ist das primäre Verdienst, da dort neben dem Regest selbst sowie den notwendigen Verweisen auf die Quellen und einschlägige Literatur ein mitunter sehr ausführlicher Kommentar die jeweilige Begegnung kontextualisiert und je nach Fall mit anderen Regesten verzahnt. Das so entstehende Panorama zeigt gleichermaßen die Normalität und Vielfalt wie die Situativität und Begrenztheit der Begegnungen. Weder ein systematisches Programm Ottos des Großen noch eine Zunahme der Kulturkontakte im zeitlichen Verlauf seiner Herrschaft (etwa nach der Kaisererhebung 962) lassen sich aus den Regesten herauslesen. Vielmehr handelte es sich bei diesen Begegnungen gewissermaßen um 'alltägliche Besonderheiten', die jeweils ihre eigene Spezifik besaßen. Dies liegt auch in der Überlieferung begründet, die meist nur den Kontakt registriert, ohne weitergehende Antworten auf die sich stellenden Fragen nach der Organisation der Begegnung, nach Vorbereitung und Folgen etc. zu geben, was Meller selbst immer wieder thematisiert. Aufgrund ihrer Quantität und Qualität seien sie allerdings keine "Randerscheinung", sondern ein "konstitutiver Teil des sozialen Zusammenlebens" gewesen (211). Entsprechend resümiert Meller in seiner "Schlussbetrachtung" (211-217): "[Grenzüberschreitende Begegnung] hinterließ Spuren, die das entstehende Reichsgefüge nachhaltig prägen sollten und für die soziale Kohäsion in den ausgewählten Lebenswelten eine konstitutive Wirkung entfalteten - sei es in der konkreten Erfahrung als transkultureller Kontaktraum in der Welt der Händler, in der langfristigen Erinnerung eines kollektiven Gedächtnisses in der Welt der Mönche oder als einseitige Inszenierung imperialer Herrschaft in der Welt des Königs" (217).
Da Meller eigentlich sehr begriffssensibel argumentiert und in seiner Einleitung beispielsweise die gängigen Schlagworte des aktuellen globalgeschichtlichen Diskurses kritisch abwägend einführt, stechen eine Reihe stehengebliebener Unschärfen ins Auge. Während es dem Sprachgebrauch der älteren Forschung entspricht, Lothar, den Sohn Hugos, (* vor 930; † 22. November 950) oder Berengar von Friaul (* um 850; † 7. April 924) als "italienische Nationalkönige" zu bezeichnen (60 / 61 Anm. 83), ist es zumindest unglücklich, die auf der Suche nach Beute durch den ostfränkischen Herrschaftsraum ziehenden Ungarn des 10. Jahrhunderts als "Reisegruppe" zu fassen (104). Und ob das "ostfränkische Reich als Herrschaftsverbund einzelner Herzogtümer [...] zutiefst föderal geprägt" gewesen sei, bliebe intensiver zu diskutieren. Es ist ebenfalls etwas eigentümlich, dass Meller in Bezug auf seinen Gegenstand eher quellenkritisch argumentiert und die Berichte der Historiographen etwa auf ihre jeweilige Darstellungsabsicht hin problematisiert, aber Widukinds Bericht über die Königserhebung Ottos des Großen in Aachen mit dem anschließenden 'Krönungsmahl' als ereignisgeschichtliche Tatsache behandelt (180 und öfters). In der Summe hätte ein strengeres Lektorat nicht geschadet.
Damit bleibt am Ende ein zwiespältiger Gesamteindruck. Trotz der klaren und in sich schlüssigen Gliederung kann der Textteil nur mit Abstrichen überzeugen. Andererseits kommt dem Buch durch die mitgelieferten Regesten darüber hinaus die Funktion eines Arbeitsinstruments zu, das man dankbar zur Hand nimmt. Auch als Ausgangspunkt für weiterführende Studien zu einzelnen Kontakträumen oder Vergleichsfolie für analoge Untersuchungen zu anderen Königen führt kein Weg an Mellers Ausführungen vorbei, die in ihrem Ansatz zweifellos einen neuen Blick auf die Zeit Ottos des Großen bieten.
Anmerkung:
[1] Vgl.: Stephan Freund: Die Rückkehr aus Italien und die Folgen. Die Hoftage von Magdeburg, Quedlinburg und Merseburg, in: Des Kaisers letzte Reise: Höhepunkt und Ende der Herrschaft Ottos des Großen 973 und sein (Weiter-) Leben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hgg. von dems. / Gabriele Köster / Matthias Puhle (= Schriftenreihe des Zentrums für Mittelalterausstellungen Magdeburg; Bd. 8), Halle an der Saale 2023, 115-132.
Simon Groth