Rezension über:

Jeremy Armstrong / Aaron Rhodes-Schroder (eds.): Adoption, Adaption, and Innovation in Pre-Roman Italy. Paradigms for Cultural Change (= Archaeology of the Mediterranean World; Vol. 3), Turnhout: Brepols 2023, 283 S., 89 Farb-, 78 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-60232-5, EUR 110,00
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Rezension von:
Joachim Weidig
Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung für Urgeschichtliche Archäologie, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Weidig: Rezension von: Jeremy Armstrong / Aaron Rhodes-Schroder (eds.): Adoption, Adaption, and Innovation in Pre-Roman Italy. Paradigms for Cultural Change, Turnhout: Brepols 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 5 [15.05.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/05/38546.html


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Jeremy Armstrong / Aaron Rhodes-Schroder (eds.): Adoption, Adaption, and Innovation in Pre-Roman Italy

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So vielversprechend wie der Titel des Bandes, der die Beiträge einer Tagung an der Universität von Auckland in Neuseeland enthält, sind auch die darin behandelten Themen, die von theoretischen und soziologischen Fragen bis hin zu archäologischen und ikonografischen Untersuchungen reichen.

Die von den Herausgebern (J. Armstrong, A. Rhodes-Schroder) verfasste Einleitung bringt das Anliegen der Tagung auf dem Punkt: Die Suche nach methodischen Wegen, um die neuen (postkolonialen) Interpretationen von Mikrohistorien und Mikrokulturen mit sich überschneidenden Netzwerken im antiken Mittelmeerraum zu verbinden, ohne auf die alten, problematischen Etiketten und Konstrukte ("Proto-Nationalstaaten") zurückzugreifen. Dass aber die Griechen, Phönizier, Römer und Etrusker durchaus entscheidende Rollen bei der kulturellen Entwicklung des westlichen Mittelmeergebietes spielten, wird von keinem der Autoren des Bandes bestritten. Geändert hat sich die Sichtweise auf den lokalen Beitrag und auf die gegenseitigen Wechselwirkungen. Solche Phänomene wurden bisher in der ethnologischen und archäologischen Forschung mit Akkulturation und selektiver Adaption umschrieben, wobei auch dieses Konzept wegen seiner einseitigen Betrachtung des Kulturwandels seine theoretischen Schwachstellen besitzt. [1]

Die 14 Aufsätze sind zeitlich (von der Bronzezeit bis zur hellenistischen Epoche, mit Schwerpunkt auf der Eisenzeit), räumlich (Mittelitalien mit Rom, Latium und Etrurien, Adriagebiet von Daunien bis Venetien, Süditalien, Sizilien und Korsika) und thematisch (Siedlungen, Heiligtümer, Architektur, Nekropolen, Landschaftsarchäologie, Ikonografie, Speisen und Wein, Gefäße, Kulturbeziehungen, Mentalitäten) sehr unterschiedlich, dafür aber interessant und anregend.

Der einzige rein theoretische Beitrag (N. Terrenato) befasst sich mit der Frage, wie es im ersten Jahrtausend v. Chr. in Mittelitalien zum Zusammenschluss zu komplexen städtischen Gemeinschaften unter Aufgabe des vermeintlich ruhigen Dorflebens kam. Als Schlüsselkonzept für eine Mentalitätsgeschichte wird die kulturelle Bricolage, die Umgestaltung traditioneller Elemente in neue Formen, vorgeschlagen, um zu verstehen, wie sich der konservative, antike Mensch, im konkreten Fall die Kriegeraristokratie, an große Transformationsprozesse anpassen konnte. Der Versuch, die Mentalität antiker Gesellschaften auf der Grundlage archäologischer Quellen zu rekonstruieren, ist lobenswert, muss aber trotz des methodischen Vorbilds (Fustel de Coulanges) hypothetisch bleiben.

Von großer Bedeutung für die Geschichte Roms und seiner Umgebung im 7. und frühem 6. Jh. v. Chr. sind die Ausgrabungen in den Nekropolen von Crustumerium (P. Attema, B. Belelli Marchesini, M. Catsmann), die den Ort neben Castel di Decima, La Rustica, Laurentina, Fidene und Gabii mit Osteria dell'Osa als weiteres wichtiges autonomes Zentrum der orientalisierenden Zeit im Latium erkennen lassen, bevor er in das Einflussgebiet Roms kam. Die entscheidende geografische Lage machte Crustumerium empfänglich für externe Einflüsse von Städten wie Rom, Veji und Caere, die direkt in den Handel und den kulturellen Austausch im Mittelmeerraum eingebunden waren, sowie von Capena und den faliskischen Siedlungen. Um diese regionalen Beziehungen darzustellen, werden von den Autoren Netzwerkanalysen durchgeführt. Diese scheinen zu belegen, dass die Funeralkultur und Grabarchitektur in Crustumerium das Ergebnis der Übernahme verschiedener Modelle aus den umliegenden Kulturkreisen ist, bei der allerdings sowohl lokale/traditionelle als auch innovative Elemente berücksichtigt wurden. [2]

Was bedeutet es, eine Insel in einer vernetzten und multipolaren Welt zu sein? M. Lechenault und K. Peche-Quilichini gehen dieser Frage am Beispiel Korsikas in der Eisenzeit nach und zeigen, dass die Insel auch zwischen der Bronzezeit und der griechischen Gründung von Alalia/Aleria eine strategische Rolle spielte, die sich von der Sardiniens unterschied. [3] Korsika bildete aufgrund seiner besonderen topografischen Verhältnisse nie ein einheitliches Territorium mit einer homogenen Bevölkerung, sondern war verschiedenen äußeren Einflüssen (Eisenbergbau) ausgesetzt, die zum Teil von der lokalen Elite selbst gefördert worden sein könnten (Fibeln in Etrurien).

Dass die Fokussierung auf die Griechen als "Zivilisationsbringer" im westlichen Mittelmeerraum einer Revision bedarf, zeigt F. De Angelis anhand unabhängiger Weinbautraditionen in Teilen des vorrömischen Italiens vor der Ankunft der Griechen und Phönizier. Hierfür nutzt er Befunde aus der Molekularbiologie und Archäobotanik, Belege aus der materiellen und visuellen Kultur sowie literarische und epigrafische Quellen. Er stellt die Kritik an der angeblichen Hellenisierung der einheimischen Bevölkerung in einen größeren theoretischen und forschungsgeschichtlichen Zusammenhang, der zu überzeugen vermag. Er plädiert zudem dafür, die Konzepte des Mikroregionalismus und der Mikroökologie stärker in die Diskussion einzubeziehen, um das heterogene Panorama der mediterranen Innovationen besser zu verstehen. Der Rezensent stimmt De Angelis nachdrücklich zu, dass ein Teil vieler Forschungsprobleme durch die Trennung zwischen prähistorischer und klassischer Archäologie und deren unterschiedlichen methodologischen und thematischen Schwerpunkten verursacht ist.

Der Versuch, diese künstliche Trennung zu überwinden, zieht sich durch alle Beiträge dieses Bandes. So ermöglicht etwa die Studie zur Ikonografie daunischer Stelen (C. Norman) im Vergleich mit den süditalischen Vasen, dem Holzthron von Verucchio, der Situlenkunst und der hallstattzeitlichen Keramik tiefere Einblicke zu bildlichen und rituellen Gemeinsamkeiten im adriatischen Gebiet, die teilweise über textile Bildträger vermittelt worden sein dürften

Einen anderen Weg geht der Beitrag zur Ficoronischen Ciste (350-315 v. Chr.) (J. N. Hopkins), deren visuelle Komplexität in Details verborgen ist, deren Bedeutung für ein begrenztes Publikum bestimmt war, das die traditionelle Typologie und die lokalen Anspielungen sowie die soziale Bedeutung der Inschrift erkennen konnte.

Nur auf dem ersten Blick theoretischer Natur ist die Studie zum unterschiedlichen Bankettverhalten der Griechen, Phönizier und der indigenen Elymer im westlichen Sizilien (W. M. Balco). Unter Hinzunahme von Inhaltsanalysen bei Speise- und Trankbehältern, archäobotanischen Funden und Keramikgefäßformen ergibt sich ein spannendes Untersuchungsfeld für soziale Implikationen, bei denen der Besitz besonderer Bankettgefäße, kulturelle Zugehörigkeit, sozialen Status und wirtschaftliche Bindungen anzeigt. Zudem belegt die selektive Vorliebe für griechisches, aber nicht phönizisches Tafelgeschirr unter Beibehaltung einheimischer Formen, dass die Elymer ihre Traditionen aktiv bewahrten.

Ein innovativer Forschungsansatz ist die Untersuchung der Keramiktradition in der Sibaritide, speziell in Timpone della Motta (P. Attema u. a.), die die Beziehungen zwischen Griechen und einheimischer Bevölkerung in einem größeren Kontext betrachtet und so eine Kontinuität der lokalen Produktion ägäischer Keramikformen (Italo-Mycenaean pottery, Grey Ware, corded pithoi, matt-painted pottery, Oinotrian-Euboean pottery, Ticino Group, Sub-Thapsos group) von der mittleren Bronzezeit bis zur archaischen Zeit nachweisen kann.

Dass die Untersuchung einzelner Motive auf bemalter Keramik zu wichtigen neuen Erkenntnissen führen kann, zeigen die separaten Kopfdarstellungen auf etruskischen und auf süditalischen rotfigurigen Vasen des 4. Jh.s v. Chr. (K. E. Heuer), die beide ihre ikonografischen Wurzeln in Athen besitzen, in der Forschung bisher aber getrennt voneinander betrachtet wurden. Die gemeinsame Ikonografie, die auch auf Steinskulpturen, Terrakotta und Wandmalereien vorkommt, deutet auf wichtige, möglicherweise auch religiöse Verbindungen hin, die in den literarischen und epigrafischen Quellen nicht überliefert sind.

Die in den letzten Jahren immer schneller zunehmende Publikationsmenge verhindert zum Teil die Rezeption wichtiger Beiträge im Forschungsdiskurs. So auch hier beim anregenden Artikel von A. K. Pavlick über die Einführung der Dachziegel in Mittelitalien [4] und bei der Untersuchung von griechischer Keramik aus etruskischen Grabkontexten von A. Rhodes-Schroder. [5] Nichtsdestotrotz schmälert das die eigentliche Aussage der Beiträge in keiner Weise.

Insgesamt ist das Buch eine sehr anregende Lektüre, die neue Perspektiven für die Forschung eröffnet. Alle Beiträge sind von hoher Qualität, und besonders die fächerübergreifende Verknüpfung von theoretischen Erklärungsmodellen mit archäologischen Befunden und naturwissenschaftlichen Analysen ist für übergeordnete Fragestellungen wie für die Paradigmen von kulturellen Veränderungen im antiken Italien sehr fruchtbar.


Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu K. Hofmann: Der akkulturierte Tod. Bestattungsrituale Südostsiziliens unter den Einflüssen der Griechen, in: R. Karl / J. Leskovar (Hgg.): Interpretierte Eisenzeit 3. Fallstudien, Methoden, Theorie, Linz 2009, 27-45.

[2] Die Beziehungen zu den Sabinern von Eretum/Colle del Forno, das von Crustumerium genauso weit entfernt wie Rom und Veji lag, wären im Zusammenhang mit der komplexen politischen und kulturellen Situation ebenfalls interessant zu untersuchen. Vgl. E. Benelli / P. Santoro: La tomba XI della necropoli di Colle del Forno. Alcune note sulle prime deposizioni, in: V. Acconcia / A. Piergrossi / I. van Kampen (a cura di): Leggere il passato, costruire il futuro. Gli etruschi e gli altri popoli del Mediterraneo. Scritti in onore di Gilda Bartoloni (= Mediterranea; 18), Roma 2021, 103-112.

[3] Dazu auch R. Araque Gonzalez: Inter-Cultural Communications and Iconography in the Western Mediterranean during the Late Bronze Age and the Early Iron Age (= Freiburger Archäologische Studien; 9), Rahden/Westf. 2018.

[4] Zu den Dachziegeln bereits A. Naso: Sulla diffusione delle tegole fittili nell'Italia preromana, in: M. Bentz / Ch. Reusser (Hgg.): Etruskisch-italische und römisch-republikanische Wohnhäuser, Wiesbaden 2010, 255-261. Jetzt S. K. Bruder: Man lebt, wie man wohnt. Untersuchungen zur Wohnhausarchitektur Mittel- und Norditaliens vom ausgehenden 6. bis zum beginnenden 2. Jh. v. Chr., Heidelberg 2022.

[5] Der Vergleich mit griechischer Keramik aus etruskischen Heiligtümern wäre hier interessant gewesen. Vgl. R. Krämer: Etruskische Heiligtümer des 8.-5. Jhs. v. Chr. als Wirtschaftsräume und Konsumptionsorte von Keramik (= Italiká; 8), Wiesbaden 2022.

Joachim Weidig