Rezension über:

Mechtild Opel / Wolfgang Opel: Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching. Ein Lebensbild, Berlin: Lukas Verlag 2022, 471 S., 33 Farb-, 109 s/w-Abb., ISBN 978-3-86732-411-3, EUR 34,90
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Rezension von:
Frank M. Schuster
Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Frank M. Schuster: Rezension von: Mechtild Opel / Wolfgang Opel: Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching. Ein Lebensbild, Berlin: Lukas Verlag 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 5 [15.05.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/05/39014.html


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Mechtild Opel / Wolfgang Opel: Weil ich ein Inuk bin

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Vermutlich kennt kaum jemand den Namen des aus der Lausitz stammenden Johann August Miertsching (1817-1875). Der Herrnhuter Missionar lebte jahrelang in Kanada und Südafrika und wurde auch zum Arktisreisenden. Wer sich für die sorbische Kultur oder die protestantisch-pietistische Religionsgemeinschaft der Herrnhuter interessiert, dürfte von der Lektüre dieses aufwändig und schön gestalteten, reich illustrierten Buches genauso profitieren, wie z. B. Historiker, Polar- oder Klimaforscher. Aber auch diejenigen, die einfach nur an interessanten Biografien, oder gut erzählten Reise- und Abenteuergeschichten interessiert sind, kommen auf ihre Kosten.

Das Buch ist mehr als nur die Biografie eines sorbischen Schusters, der in Labrador die Sprache der Inuit erlernt und deshalb schließlich als Dolmetscher an einer britischen Arktisexpedition teilnahm. Die Autoren, die auch Verfasser teils preisgekrönter Kanada-Reiseführer sind, lassen ihre Leser nämlich an ihrer eigenen Suche nach Informationen über Miertsching und an ihren Reisen auf seinen Spuren an den Orten des Geschehens teilhaben, aber auch in mehr als ein Dutzend staatliche, kirchliche und private Archive.

Was lokalgeschichtlich mit der Rekonstruktion von Kindheit und sorbischen Dorfleben im frühen 19. Jahrhundert und der Darstellung der Schusterlehre im heute zu Bautzen gehörenden Kleinwelka, einem Zentrum der Herrnhuter, und der von den religiösen Wertvorstellungen dieser Religionsgemeinschaft geprägten Lebenswelt beginnt, erhält mit der Entsendung Miertschings 1844 nach Labrador eine globalgeschichtliche Dimension.

Dass Miertsching in einem multilingualen und polykonfessionellen Umfeld sozialisiert wurde, erweist sich, wie die Autoren darlegen, während der anschließenden fünf Jahre in der kanadischen Subarktis als Vorteil. Schließlich hatte er sich nach seiner Muttersprache Sorbisch erst in der Schule Deutsch und später noch den spezifischen Soziolekt der Herrnhuter Bruderschaft aneignen müssen. Daher erlernte er die Sprache der einheimischen Inuit schneller und gründlicher als andere Missionare und kam ihnen, durch seine größere Aufgeschlossenheit gegenüber ihrer Kultur, auch näher als üblich - im Fall einer jungen Frau, nach Meinung eines ohnehin eifersüchtigen Mitbruders, sogar zu nah. Das führte schließlich 1849 zu seiner Abberufung und verhinderte auch später noch seine Rückkehr nach Labrador.

Wegen seiner Sprachkenntnisse wurde Miertsching 1850 eher zufällig einer der ganz wenigen deutschen Teilnehmer einer Suchexpedition nach Sir John Franklin. Dessen Schiffe waren 1845 bei dem Versuch, den lange gesuchte Nordwestpassage entlang der Nordküste Nordamerikas nun endlich zu finden, spurlos verschollen. Deshalb wollte man nun Schiffe sowohl vom Atlantik als auch vom Pazifik auf die Suche schicken. Dabei war nicht ausgeschlossen, auch endlich den gesuchten Seeweg zu finden und zu durchfahren. Miertsching war mehr als nur Dolmetscher der von den Autoren ausführlich dargestellten, analysierten und interpretierten im Eis steckengebliebenen pazifischen Expedition. Als Außenstehender war er ein genauer Beobachter und Chronist der Beinahe-Katastrophe. Wäre sie nicht gerade noch rechtzeitig von Mitgliedern der vom Atlantik kommenden Expedition entdeckt worden, wäre auch die Besatzung der "Investigator" zugrunde gegangen. So aber gelang ihr letztendlich die Durchquerung des arktischen Archipels vom Pazifik zum Atlantik, wenn auch ohne ihr Schiff, das sie im Eis aufgeben musste.

Der deshalb anschließend entbrannte jahrelange Streit, ob seine Schiffskammeraden nun die ersten waren, die die Nordwestpassage bezwungen hatten, betraf Miertsching allerdings nicht mehr. Nach seiner Hochzeit wurde er als Missionar nach Südafrika geschickt. 1869 kam es nach Krankheit und dem Tod mehrerer Kinder erneut zu seiner Abberufung, weil Alkohol, zumindest in den Augen seiner Mitbrüder, zum Problem für ihn geworden war. Er kehrte nach Kleinwelka zurück, wo er 1875 schließlich starb.

Wie die Biografie zeigt, war Mirtsching zwar eigenwillig, behielt aber zeitlebens, selbst als Missionar, einen klaren, kritischen Blick auf seine Umgebung bei, wie nicht nur in seinem Tagebuch und seinen privaten Briefen, sondern auch aus seinen offiziellen Schreiben und selbst den allgemein schematischen, stark ritualisierten veröffentlichten Berichten und seinen Einträgen in die Tagebücher der Missionsstationen deutlich wird. Das mag es dem Autorenehepaar Opel erleichtert haben, bei der Lektüre der zahlreichen von ihnen ausgewerteten Korrespondenzen und Herrnhuter Schriften, eine kritische Distanz zu wahren, die in religions- bzw. missionsgeschichtlichen Studien zu den Herrnhutern selten zu finden ist. Einzig im Südafrika-Kapitel hätte man sich gewünscht, dass die Verfasser stärker auf die von Rassentrennung und den Folgen der Sklaverei geprägte Interaktion der Mission mit der Außenwelt eingehen würden, auch wenn nachvollziehbar ist, dass in den Quellen vor allem Miertschings Familienleben eine zentrale Rolle spielt.

Das Buch wird wohl die definitive historische Biografie zu Miertsching bleiben, auch wenn sie nicht primär ein wissenschaftliches Werk ist. Will man weiterforschen, sollte man sich beim Lesen Notizen machen, denn die Überschriften der Unterkapitel tauchen zwar in der Kopfzeile, nicht aber im Inhaltsverzeichnis auf, und auch das Register ist nicht sehr detailliert. Das Glossar dagegen ist hilfreich. Verständlich ist auch, dass Verfasser und Verlag, den Anmerkungsapparat auf ein Minimum beschränkten, um eine möglichst breite Leserschaft zu erreichen. Dass sie auf die Belege der Zitate aus Korrespondenzen, Tagebüchern und Schriften Miertschings und anderer Herrnhuter verzichten, ist allerdings für die historische, religionswissenschaftliche oder klimatologische Forschung bedauerlich. In dem Buch und den Quellenzitaten finden sich nicht nur eine Vielzahl historisch interessanter Informationen, sondern z. B. auch Beschreibungen des arktischen Wetters und Klimas, die nun nur schwer auffindbar sind.

Die Verfasser hatten nicht nur Zugang zu Briefen aus Familienbesitz, sondern konnten sich auf die Originalhandschrift der Neufassung des ebenfalls in privater Hand befindlichen arktischen Reisetagebuchs stützen. Das ursprüngliche Tagebuch hatte Miertsching beim Verlassen der "Investigator" nicht mitnehmen dürfen. Dabei stellten die Autoren fest, dass dieses nicht nur von der stark lektorierten, 1855 erschienenen Version [1] abweicht, sondern auch von der nur auf einer fehlerhaften Abschrift des Originals basierenden englischen Übersetzung von 1967. [2] (436 Anm. 56) Daher werden alle, dies sich weiter mit dieser Arktisexpedition befassen wollen, das vorliegende Buch mit heranziehen müssen. Es enthält Informationen, die in der bisherigen Forschungsliteratur dazu nicht zu finden sind - es sei denn, die Autoren würden sich dankenswerterweise zu einer Neuedition des Tagebuchs oder/und einer Briefedition entschließen.


Anmerkungen:

[1] Johann August Miertsching: Reise-Tagebuch des Missionars Johann August Miertsching, welcher als Dolmetscher die Nordpol-Expedition zur Aufsuchung Sir John Franklins auf dem Schiffe Investigator begleitete. In den Jahren 1850 bis 1854, Gnadau: Verlag der Unitäts-Buchhandlung bei H. L. Menz; und in Kommission: Leipzig: E. Kummer

[2] Johann August Miertsching: Frozen ships. The Arctic diary of Johann Miertsching 1850-1854. Transl. and ed. by L. H. Neatby, New York: St. Martin's Press, 1967.

Frank M. Schuster