Wolfgang Mährle (Hg.): Im Bann des Sonnenkönigs. Herzog Friedrich Carl von Württemberg-Winnental (1652-1698) (= Geschichte Württembergs. Impulse der Forschung; Bd. 7), Stuttgart: W. Kohlhammer 2022, 219 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-17-041308-5, EUR 28,00
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Wolfgang Mährle (Hg.): Nation im Siegesrausch. Württemberg und die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71. Begleitbuch zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Stuttgart: W. Kohlhammer 2020
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Friedrich Carl von Württemberg war Vater bzw. Großvater der weit über Württemberg hinaus bekannten Herzöge Carl Alexander und Carl Eugen. Zugleich erreichte er die hohe Position eines kaiserlichen Generalfeldmarschalls. Dennoch steht er bislang im Schatten der Geschichtsschreibung. Wolfgang Mährle nennt gleich mehrere Gründe für die bisher nur marginale Wahrnehmung des Herzogs: seine Stellvertreterrolle als Administrator für den noch nicht volljährigen Herzog Eberhard Ludwig; seine militärische Niederlage in der Schlacht bei Ötisheim gegen ein französisches Heer 1692 und nicht zuletzt die traditionell stiefmütterliche Behandlung der Jahrzehnte im ausgehenden 17. Jahrhundert durch die Geschichtswissenschaft. Aufgrund dessen gilt Friedrich Carl, wie Mährle ihn nennt, als "der unbekannte" Administrator. Das ist durchaus überraschend, weil er die ungewöhnlich lange Zeit von fast 15 Jahren in dieser Position war, sodass allein schon diese Zeitspanne, die noch dazu in die für die württembergische Geschichte wichtigen Krisenjahre Ende des 17. Jahrhunderts fallen, eine intensive Auseinandersetzung rechtfertigt.
Mährle nennt in seiner Einführung aber noch einen weiteren Grund für die Rolle des Herzogs als Randfigur: Nämlich, dass das schwierige Verhältnis zur württembergischen Landschaft (Stände), mitunter aber auch zum Geheimen Rat mit ausschlaggebend war, dass der Herzog bislang kaum Beachtung in der Landesgeschichtsschreibung gefunden habe. Leider konnte aber für diesen Hauptaspekt in der Biographie Friedrich Carls kein Experte gefunden werden. Es wäre sicher lohnend gewesen, die Erkenntnisse, die James Allen Vann in seinem Buch über die Rollenverteilung zwischen Regenten und ihren Räten im frühneuzeitlichen Württemberg gewonnen hat, zu überprüfen bzw. zu vertiefen. [1] Deshalb bleibt in diesem sehr lesenswerten Band eine schmerzliche Lücke. Im Beitrag von Frank Kleinehagenbrock werden zwar die Anfänge der Vormundschaftsregierung, die Konkurrenz des Herzogs mit Onkel und Witwe seines verstorbenen Bruders beleuchtet, aber die Schwierigkeiten, die sich dann aufgrund seiner Position "nur" als Administrator ergaben, werden nur sehr kurz am Schluss skizziert.
Diese Lücke wird auch nicht durch den Beitrag von Gerhard Fitz geschlossen. Zwar befasst er sich mit der Regierungszeit des Herzogs in den Friedens- und Krisenjahren, aber er beschreibt dabei eher die allgemeine Situation des Landes, ohne den Eigenanteil des Herzogs bei den Regierungsgeschäften klar zu benennen. Gerade diese Differenzierung wäre aber zentral gewesen, um seine wichtigste Rolle, eben als württembergischer Administrator, deutlich werden zu lassen. Nur ansatzweise kommt die Person des Administrators in den Blick, so in der knappen Passage über die für Friedrich Carl so entscheidende Gefangenschaft in Frankreich, wo Ludwig XIV. ihm eine Mätresse zugeführt habe, um Württemberg auf seine Seite bzw. zur Neutralität zu bewegen. Für diese Annehmlichkeiten sei der Herzog-Administrator dann mit Syphilis "belohnt" worden, an der er auch verstorben sei. Hier hätte man sich mehr Tiefgang gewünscht. Gibt es eindeutige medizinische Befunde? Und: Überraschend ist ja nicht die gute Behandlung des Administrators am französischen Hof, sondern die Einschätzung Frankreichs, dass der Administrator aus der Gefangenschaft heraus Einfluss auf die Politik Württembergs haben bzw. nach seiner Freilassung eine Neutralität Württembergs oder sogar des ganzen Schwäbischen Reichskreises erreichen könnte. Aber wäre eine solche Neutralität wirklich realistisch gewesen? Zumindest sollte man diese Frage in die Überlegungen einbeziehen, wenn man in Reichskriegen über politische Spielräume von Territorialherren des Heiligen Römischen Reiches im Südwesten nachdenkt. Die Neutralitätsfrage wurde offenbar aber vor allem von den Gegnern Friedrich Carls ins Spiel gebracht. Sie sei ausschlaggebend gewesen für die vorzeitige Absetzung des Herzogs als Administrator. Aber ging es Wien nicht einfach darum, die Abwesenheit des Regenten, die für ein Territorium stets höchst problematisch sein konnte, eben nicht zum Problemfall werden zu lassen? Im Grunde war es ja ein fast normaler Vorgang: Die Regierungsfähigkeit eines rechtmäßigen Erbprinzen wurde vom Kaiser vorzeitig erklärt, wenn es die Umstände erforderten. Beide Beiträge sind dennoch lesenswert. Sie machen einerseits den interessanten Konkurrenzkampf um die Vormundschaftsregierung - vor allem auch anhand Wiener Akten - deutlich und andererseits die prekäre Lage Württembergs im Pfälzischen Erbfolgekrieg anschaulich.
Holger Th. Gräf ordnet den Soldatenhandel Friedrich Carls in den historischen Kontext ein und nimmt ihm mit einleuchtenden Argumenten die Schärfe, mit der zeitgenössische Literaten dagegen agierten. Kernaussage dabei ist, dass die Truppenvermietung dazu diente, überhaupt ein stehendes Heer finanzieren zu können und dass davon auch das ganze Land profitieren konnte. Denn ein stehendes Heer war Voraussetzung, um die Anforderungen der Reichskriegsverfassung zu erfüllen - ohne dass Assignationen, Einquartierungen und damit weit höhere Belastungen durch andere armierte Reichsstände drohten. Diese Interpretation des Soldatenhandels sendet auch dieses Signal: Offenbar besteht nach wie vor großer Nachholbedarf, die tradierten Geschichtsbilder in literarischen Werken durch Historiker hinterfragen zu lassen. Die künstlerische Freiheit (mit dem Stilmittel der Überspitzung und Verallgemeinerung) in der Literatur hat mitunter das kollektive Gedächtnis deutlich mehr geprägt als differenzierte Geschichtsschreibung. Wobei bei der Bewertung des Soldatenhandels sicher immer wieder auch Einzelschicksale der betroffenen Soldaten genauer betrachtet werden sollten, was in diesem Aufsatz verständlicherweise ausgeblendet wird.
Die militärische Laufbahn endete für den Herzog abrupt nach der Niederlage gegen deutlich überlegene französische Truppen in der Schlacht bei Ötisheim, mit der sich Max Plassmann befasst. Er reflektiert genau die Schwierigkeiten bei der Beurteilung militärischer Verdienste oder des Scheiterns. Solche Reflexionen wünscht man sich. Es ist eben auch ein Ergebnis, wenn man als Historiker anhand der vorliegenden Quellen sich nicht entscheiden kann, wer schuld an einer militärischen Niederlage trägt. Er geht damit auf Distanz zur Urteilsfreude früherer Historiker. Das gilt auch für den Beitrag von Eberhard Fritz über die Gemahlin des Herzogs, Eleonore Juliana. Wohltuend schlicht heißt es da als Kommentar zu älteren, völlig gegenläufigen Charakterisierungen der Herzogin: "Wir wissen es nicht" (187).
Frankreich diente damals vielen Fürsten als Vorbild für die Erreichung eigener Ziele wie Mehreinnahmen für die fürstlichen Kassen bis hin zur Verfeinerung der fürstlichen Repräsentation. Wenn man auf der Höhe seiner Zeit sein wollte, musste man Frankreich studieren. Auf seiner dreijährigen Bildungsreise tat der junge Adlige das auch intensiv - wie Wolfgang Mährle darstellt. Dabei fällt auf, dass es oft als Überraschung dargestellt wird, dass Auslandsreisen junger Prinzen tatsächlich vor allem der Bildung und Horizonterweiterung dienten. Vielleicht liegt das am Begriff "Kavalierstour", der offenbar immer wieder zu Missverständnissen führt. Es wäre wünschenswert, wenn in Zukunft stärker auch der Fokus auf (Bildungs-)reisen junger Adliger an Höfe innerhalb des Alten Reiches gelegt würde. Die Beziehungen zu anderen Fürstenhöfen spielten für die Reichsfürsten traditionell eine ganz wichtige Rolle - Nähe oder Distanz müssten sich auch an solchen Reisen ablesen lassen.
Katholische Oberschwaben nehmen immer wieder überrascht wahr, dass es im für sie (bis heute) so fremden Altwürttemberg überhaupt Barockbauten gibt. Dank des Aufsatzes von Rolf Bidlingmaier wissen sie jetzt, dass die Anfänge in der Regierungszeit Friedrich Carls liegen. Seine Rolle als Bildungspolitiker, insbesondere als Gründer des Stuttgarter Gymnasiums erforscht Sabine Holtz. Selbst dort geriet der Administrator in den Schatten regierender Herzöge. Als es im späten 19. Jahrhundert um eine Namensnennung für das Gymnasium ging, wurde er einfach übergangen und die Schule nach Herzog Eberhard Ludwig benannt. Joachim Brüser beschreibt die dynastische Absicherungsstrategie Friedrich Carls bei der Gründung der Nebenlinie Württemberg-Winnental. Ulrich Klein blickt auf die Münz- und Medaillenprägungen in der Zeit des Administrators. Dabei schließt er auch die französischen Gedenkmedaillen zur Schlacht von Ötisheim mit ein. Für kommende Projekte über diese Epoche der württembergischen Landesgeschichte wäre es sicher lohnend, wenn französische Historiker eingeladen würden, den Blick Frankreichs auf Württemberg in dieser Zeit zu präzisieren. Dieser gelungene Band motiviert sehr, ältere Forschungsergebnisse zu überprüfen und weitere Forschungswege zu gehen - insbesondere zu adligen Lebensläufen und zur Militärgeschichte der Frühen Neuzeit.
Anmerkung:
[1] James Allen Vann: Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat (1593-1793), Stuttgart 1986.
Martin Fimpel