Rezension über:

Antonio Rigo / Niccolò Zorzi (a cura di): I libri di Bessarione. Studi sui manoscritti del Cardinale a Venezia e in Europa (= Bibliologia. Elementa ad Librorum Studia Pertinentia; Vol. 59), Turnhout: Brepols 2022, 432 S., 4 Farb-, 80 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-58953-4, EUR 85,00
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Rezension von:
Isabel Grimm-Stadelmann
Ludwig-Maximilians-Universität, München / Bayerische Akademie der Wissenschaften
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Isabel Grimm-Stadelmann: Rezension von: Antonio Rigo / Niccolò Zorzi (a cura di): I libri di Bessarione. Studi sui manoscritti del Cardinale a Venezia e in Europa, Turnhout: Brepols 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 6 [15.06.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/06/38721.html


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Antonio Rigo / Niccolò Zorzi (a cura di): I libri di Bessarione

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Im Jahr 2018 hat die Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig eine internationale Tagung anlässlich des 550. Jubiläums der Bibliotheksstiftung Kardinal Bessarions (31. Mai 1468) an die Serenissima veranstaltet. Mit dieser Tagung knüpften die Veranstalter an die am 500. Jahrestag der Stiftung, am 31. Mai 1968, in der Biblioteca Marciana gezeigte Ausstellung "Cento Codici Bessarionei" an. Ziel der Veranstaltung im Jahr 2018 und damit auch der vorliegenden Tagungspublikation "I libri di Bessarione" ist es, den Fortschritt und Zuwachs der einschlägigen Forschung innerhalb der seit 1968 vergangenen 50 Jahre anhand von elf exemplarischen Tagungsbeiträgen zu dokumentieren und in einen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext zu stellen, so die entsprechenden Erläuterungen im Vorwort der beiden Herausgeber, Antonio Rigo und Niccolò Zorzi (9-11), deren beider wissenschaftliche Tätigkeit eng mit der Handschriftensammlung der Biblioteca Nazionale Marciana verbunden ist.

Besagter Zielsetzung entspricht die intensive Konzentration des gesamten Bandes auf kodikologisch-paläographische Fragestellungen, wodurch eine detaillierte Erschließung einzelner Textzeugen ebenso wie spezifischer Sektionen der Bibliothek Bessarions gewährleistet wird. Die sehr gezielte Interaktion der Einzelbeiträge - so z.B. der Aufsätze von Fabio Acerbi (107-218) und Luigi d'Amelia (327-365) oder von Niccolò Zorzi (277-305) und Ottavia Mazzon (307-326) - ebenso wie die äußerst fundierte, kodikologisch-paläographische Basis sämtlicher Einzelanalysen ist der umsichtigen Auswahl der beiden Herausgeber zu verdanken, spiegelt aber ebenso Forschungsfragen und Argumentationsschwerpunkte der gegenwärtigen Bessarionforschung wider. Vor diesem Hintergrund ist es etwas zu bedauern, dass den lateinischen Handschriften in Bessarions Bibliothek kein eigener Beitrag (Marie Cronier, 86-106, erwähnt zumindest einige lateinische Handschriften) gewidmet wurde - der Band konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die griechischen Handschriften -, weshalb der Titel "I libri di Bessarione [...]" etwas irreführend ist; "I libri greci di Bessarione" wäre zutreffender gewesen.

Obgleich im Inhaltsverzeichnis (5-6) nicht explizit angezeigt, folgt die Anordnung der Einzelbeiträge einer sehr stringenten Struktur in vier aufeinander aufbauenden und miteinander interagierenden Abschnitten: An erster Stelle und quasi als Einführung steht die für sämtliche Beiträge maßgebliche Untersuchung von David Speranzi (17-32), der anhand detaillierter Schriftvergleiche und insgesamt zehn weitgehend ganzseitigen Abbildungen auf Veränderungen und wechselnde Präferenzen im Schriftbild des Kardinals hinweist, die in der Vergangenheit häufig zu fehlerhaften Zuweisungen geführt haben. Anhand von Speranzis präziser Argumentation lassen sich etliche Spezifikationen und Richtigstellungen nunmehr konsequent nachvollziehen. In direktem Bezug zu Speranzis Ausführungen stehen, sehr folgerichtig, die beiden den Band abschließenden Beiträge von Donatella Bucca und Eleftherios Despotakis, welche die Provenienzen des in Grottaferrata befindlichen "Euchologium" Crypt. Γ.B.I (Bucca, 367-404) sowie des Oxoniensis Bodl. Holkham gr. 79 (Despotakis, 405-414) eingehend untersuchen.

Der zweite Abschnitt umfasst insgesamt drei Einzelbeiträge, die sich auf die Provenienz von Handschriften(gruppen) außerhalb von Bessarions Stiftung konzentrieren: Stefano Martinelli Tempesta (33-61) kann die Verankerung dreier in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana befindlicher Handschriften im Bibliotheksbestand Bessarions ebenso zweifelsfrei nachweisen wie Marie Cronier (86-106) die Provenienz einer Gruppe von insgesamt 18 griechischen und lateinischen Handschriften in der Pariser Bibliothèque Nationale. Croniers äußerst detaillierte Beschreibungen identifizieren darüber hinaus zahlreiche Kopisten aus dem Umfeld Bessarions (vgl. das Verzeichnis auf Seite 106). Christian Gastgeber (63-83) führt den Nachweis, dass die in Wien vorhandenen Handschriften aus Bessarions Besitz aus dem Nachlass des Wiener Humanisten Johannes Sambucus stammen (73-82). Während seines Aufenthalts in Wien (1460-1461) regte Bessarion im Kontakt mit den Wiener Astronomen Georg von Peuerbach und Johannes Regiomontanus die Neubearbeitung und Übersetzung von Ptolemaios' Almagest auf Basis des griechischen Textes an, was einen wesentlichen Faktor für die Astronomiegeschichte darstellte.

Der dritte Abschnitt des Tagungsbandes ist einer Auswahl unterschiedlicher, in Bessarions Bibliothek vertretener Sammlungsschwerpunkte gewidmet: Mathematik und Astronomie (Fabio Acerbi, 107-218), aristotelische Philosophie (Ciro Giacomelli, 219-275) und Historiographie (Niccolò Zorzi, 277-305). Dieser Abschnitt markiert einen entscheidenden Fortschritt in der aktuellen Bessarionforschung, von der diese drei Gebiete bislang nur kursorisch behandelt wurden: Bessarions naturwissenschaftliches Interesse wurde nahezu ausschließlich mit der Astronomie verbunden; sein vehementer Einsatz für Platons Werk und Reputation ließ das aristotelische Œuvre in den Hintergrund treten, und die Vielzahl der theologischen und kirchengeschichtlichen Werke in seiner Bibliothek überlagerte das Vorhandensein einer äußerst repräsentativen Sammlung historiographischer Literatur, die von der Antike bis ans Ende des byzantinischen Zeitalters reichte. Aus diesem Grund ist es auch gerechtfertigt, dass die Einzelbeiträge in dieser Sektion wesentlich umfangreicher gestaltet sind als die sonstigen Beiträge im Band, da sie (häufig in mehrteiligen Appendizes) detaillierte Verzeichnisse, Typologien, Konkordanzen und kritische (Erst-)Editionen ausgewählter Textpassagen und deren Kontextualisierung mit einer Vielzahl aussagekräftiger Abbildungen enthalten. Deren Bildqualität ist jedoch vielfach leider äußerst fragwürdig und insbesondere die Schwarzweißabbildungen sind im Druck viel zu dunkel (z.B. 24-27, 30, 35, 57, 79, 233-234, 236-237, 296-301, 311, 315-316).

Unmittelbar an den dritten Abschnitt und in enger Verbindung zu diesem schließt sich der vierte und letzte an, dessen insgesamt vier Einzelbeiträge anhand einer repräsentativen Handschriftenauswahl und deren Überlieferungsgeschichte die Argumentation der ersten drei Sektionen aufgreifen und entsprechend vertiefen. An den historiographischen Schwerpunkt knüpft die Anthologie im Marcianus gr. Z 526 (307-326) an, während das "Horologion di Bessarione" des Marcianus gr. Z 14 (327-365) die Verbindung zur naturwissenschaftlichen Sektion herstellt. Ferner wird die mit Bessarions Bibliothek verbundene Zuweisungsproblematik anhand des "Euchologium" Grottaferrata Crypt. Γ.B.I (367-404) und des Oxonioensis Bodl. Holkham gr. 79 (405-414) entsprechend vertieft.

Eleftherios Despotakis werden die beiden alphabetisch geordneten Indizes sämtlicher Handschriften und Eigennamen verdankt, die den Band erschließen. Im Falle der Handschriften, die nach ihrem heutigen Aufbewahrungsort geordnet sind, wäre die Angabe der jeweiligen Diktyonnummern einer weiteren wissenschaftlichen Rezeption förderlich gewesen; vermisst wird außerdem ein generelles Verzeichnis der Bildnachweise.

Zusammenfassend stellt dieser Tagungsband ein äußerst fundiertes und für die fachwissenschaftliche Rezeption nützliches Referenzwerk dar. Reich an kodikologisch-paläographischem Detailwissen beinhaltet er eine Vielzahl maßgeblicher Ersteditionen von Schlüsseltexten (z.B. die Textauswahl aus dem Marcianus gr. Z 333, 186-218) für die Bessarionforschung sowie wertvolle Informationen zu Handschriftenprovenienzen und Zuweisungen. Aus diesem Grund ist er einem entsprechenden Fachpublikum unbedingt zu empfehlen, doch bietet er keinen allgemeinen Überblick über die "Libri di Bessarione" insgesamt, was vielleicht auch gar nicht intendiert war.

Isabel Grimm-Stadelmann