Rezension über:

Monika Wienfort: Katholizismus im Kalten Krieg. Vertriebene in Königstein 1945-1996, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2023, VI + 311 S., ISBN 978-3-506-79538-0, EUR 79,00
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Rezension von:
Markus Krzoska
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Markus Krzoska: Rezension von: Monika Wienfort: Katholizismus im Kalten Krieg. Vertriebene in Königstein 1945-1996, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 6 [15.06.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/06/39287.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Monika Wienfort: Katholizismus im Kalten Krieg

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Auch als Rezensent kann man mitunter komplett ratlos sein. Monika Wienfort, seit 2022 Professorin für Brandenburgisch-Preußische Geschichte an der Universität Potsdam, hat ein Buch geschrieben, das in ein Gebiet fällt, für das sie bisher wissenschaftlich nicht ausgewiesen war. Sie zeichnet über 300 Seiten kompakt, gut gegliedert, detailfreudig und quellengestützt die Geschichte des geistigen Zentrums der katholischen Vertriebenenseelsorge der Bundesrepublik Deutschland in Königstein im Taunus von 1945 bis Mitte der 1990er Jahre chronologisch nach. So weit, so gut.

Nun konnte dem aufmerksamen Beobachter aber nicht entgangen sein, dass der Tübinger Theologe und Kirchenhistoriker Rainer Bendel erst 2014 ein wahrlich erschöpfendes, über 1000 Seiten starkes Kompendium zu demselben Thema vorgelegt hat. [1] Bendel nutzte dafür die gleichen Archivquellen, die sich überwiegend im Archiv der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn befinden, und beleuchtet die Details, dem Umfang seines Werkes entsprechend, noch genauer.

Eine Erklärung für diese ungewöhnliche Doppelung findet sich im Buch ebenso wenig wie etwaige Danksagungen, die Rückschlüsse, etwa auf eine verspätet verfasste Auftragsarbeit, zulassen würden. Lassen wir es also im Raum stehen und gehen auf einige inhaltliche Aspekte ein.

Die Verfasserin kann die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des deutschen katholischen Klerus gerade in den Anfangsjahren des Königsteiner Zentrums gut sichtbar machen. Überall wurde Konkurrenz um die Seelen und Pfründen gewittert. Insbesondere die mächtigen Bischöfe in Köln und Süddeutschland konnten sich nicht so recht damit anfreunden, dass im ziemlich unbedeutenden Bistum Limburg viele Fäden zusammenliefen und Netzwerke aus dem ehemaligen deutschen Osten weitergeführt wurden. Deutlich wird auch, wie der Missionsgedanke auf unterschiedliche Art und Weise an Boden gewann und sich mit den antikommunistischen Vorstellungen der Gründerväter und einiger herbeigeeilter Volksprediger verband, deren bedeutendster Vertreter der auch in Königstein begrabene niederländische Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten war. Es war kein Zufall, dass der generationell bedingte Bedeutungsverlust Königsteins seit den 1960er Jahren mit einem verstärkten Engagement zugunsten der Kirche Osteuropas einherging.

Wienfort blickt auf die Führungsfiguren Königsteins, vom charismatischen Bischof Maximilian Kaller über den langjährigen Leiter, den sudetendeutschen Priester Adolf Kindermann, bis hin zu dessen Nachfolger Richard Hackenberg. Die unterschiedlichen lebensweltlichen Prägungen hatten großen Einfluss auf die Ausrichtung von Bildungsstätte, Priesterseminar, Internat und Schule, wobei Wienforts Auffassung sicher zuzustimmen ist, dass sich hier der eher konservative Teil der katholischen Kirche die Klinke in die Hand gab und eher traditionelle, um nicht zu sagen: antimodernistische Frömmigkeitsstile dominierten. Besonders anschaulich wird das Traditionell-Autoritäre bei der Beschreibung der äußerst harmlosen Forderungen der Schüler und Studenten im Jahre 1968 und den Reaktionen darauf, vor allem wenn man dies mit den Ereignissen im nahe gelegenen Frankfurt am Main vergleicht. Hier wäre es, wie auch bei anderen Themen der neueren Geschichte Königsteins, allerdings nötig und sinnvoll gewesen, Gespräche mit noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu führen, um manche Alltagssituation plastischer darstellen zu können.

Bei allen Schwierigkeiten im Alltag und vor allem bei der finanziellen Ausstattung wird gerade für die ersten beiden Jahrzehnte immer wieder deutlich, dass Königstein für viele, vor allem sudetendeutsche Flüchtlinge und Vertriebene eine Art emotionale Ersatzheimat darstellte, verkörpert durch die Schutzmantelmadonna - das Werk eines aus Stalingrad zurückgekehrten schlesischen Bildhauers aus dem Jahre 1952 - und die umfangreiche Veranstaltungs- und Publikationsaktivität.

Ganz zu Recht weist die Verfasserin darauf hin, wie wenig präsent innerhalb der Strukturen - von dienenden Tätigkeiten einmal abgesehen - Frauen waren. Dies ist angesichts der Verfasstheit der katholischen Kirche bis zum heutigen Tag freilich nicht weiter verwunderlich. Auch die fast komplette Ausblendung der NS-Zeit deckt sich mit den Erfahrungen der westdeutschen Gesellschaft insgesamt. Sehr anschaulich sind die Ausführungen zum Thema Männlichkeit und Automobil, die man an dieser Stelle gar nicht vermuten würde, wo die zölibatär lebenden Männer den Motorenlärm ihrer Personenkraftwagen als Glaubensbezeugung und Ablenkung gleichermaßen verstanden (110-116).

Eine Chance, die die erneute Beschäftigung mit Königstein als Schnittstelle zwischen "Ost" und "West" geboten hätte, kann die Verfasserin aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht nutzen. Es hätte sich angeboten zu fragen, wie die Vertreter des mittel- und osteuropäischen "Exils" die Kongresse vor Ort wahrnahmen oder welche Rolle die orthodoxe Kirche in diesem komplexen Geflecht von Theologien und politischen Vorstellungen spielte.

Wienfort versucht stattdessen immer wieder, Bezüge zu den großen Fragen der Zeitgeschichte herzustellen. Dies ist durchaus sinnvoll und hilft dabei, den westdeutschen Katholizismus aus seinem selbstgewählten ideologischen Ghetto herauszuholen. Manchmal schießt sie hier aber auch über das Ziel hinaus, etwa wenn sie die Auflösung der Philosophisch-Theologischen Hochschule 1977/78 in einen Zusammenhang mit dem angeblichen "globalen Umbruchjahr 1979" bringt, einer direkten Bezugnahme auf das erfolgreiche Buch von Frank Bösch (182). [2] Auch wenn an manchen Stellen das tiefere Verständnis für die Aktivitäten der Akteure fehlt, die zumindest in den ersten Jahren vor allem von den Lebenswelten ihrer Herkunftsregionen geprägt waren und denen der Katholizismus rheinischen Typs oft fremd war, so ist am Ende doch ein stringentes Buch entstanden, das wenige Wünsche offenlässt. Schön, dass wir jetzt zwei solcher Darstellungen zu Königstein haben, aber warum nur?


Anmerkung:

[1] Rainer Bendel: Hochschule und Priesterseminar Königstein. Ein Beitrag zur Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche, Göttingen 2014.

[2] Frank Bösch: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann, München 2019.

Markus Krzoska