Rezension über:

Lars Kjaer / Gustavs Strenga (eds.): Gift-Giving and Materiality in Europe, 1300-1600. Gifts as Objects, London: Bloomsbury 2022, XI + 256 S., 30 s/w-Abb., ISBN 978-1-350-18369-8, GBP 85,00
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Rezension von:
Spyridon P. Panagopoulos
Patras
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Spyridon P. Panagopoulos: Rezension von: Lars Kjaer / Gustavs Strenga (eds.): Gift-Giving and Materiality in Europe, 1300-1600. Gifts as Objects, London: Bloomsbury 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 7/8 [15.07.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/07/38735.html


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Lars Kjaer / Gustavs Strenga (eds.): Gift-Giving and Materiality in Europe, 1300-1600

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Dieser Sammelband untersucht das Zusammenspiel von Schenken und Materialität im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa (1300-1600): die Möglichkeiten, die die physische Materie des Geschenks bot - und die Ängste, die dies auslösen konnte. Dieses Buch hat seinen Ursprung in einem Workshop 'Performing Gifts: Rituals, Symbolic Communication and Gift-Giving in Medieval and Early Modern Europe', der am 23. und 24. August 2019 an der Universität Tallinn stattfand.

Dieser Sammelband konzentriert sich auf den Austausch innerhalb Europas, betrachtet aber auch Material aus anderen europäischen Ländern wie dem Baltikum und Skandinavien, Italien, Spanien und Mitteleuropa. Das Schenken im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa war kein archaisches Überbleibsel, sondern eine lebendige soziale Praxis, die durch die Entwicklungen im religiösen und intellektuellen Leben sowie durch die neuen Möglichkeiten, die sich durch das Wachstum der Handelsnetze und die technologischen Entwicklungen ergaben, neue Dringlichkeit erhielt. Um die besondere Faszination der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gabe einzufangen, ist ein wacher Blick für die Materie der Gabe hilfreich.

Im ersten Kapitel dieses Buches untersucht Anna Boeles Rowland das "geschenkte" Objekt schlechthin: den Ring. Ringe waren lange Zeit ein geschätztes Zeichen der Hingabe und des Bündnisses. Im Spätmittelalter wurden sie, wie Boeles Rowland zeigt, zunehmend mit der Ehe in Verbindung gebracht. In ihrem Kapitel demonstriert Boeles Rowland den Wert einer materiellen Perspektive für Studien über das Schenken. Sie verfolgt den 'Lebenszyklus' spätmittelalterlicher Eheringe, von der Herstellung über ihre Hauptrolle bei der Brautwerbung und der Hochzeitszeremonie bis hin zur Rolle, die sie innerhalb der Ehe und sogar über den Tod einer der beiden Parteien hinaus spielten. Bei der Herstellung von Ringen hebt Boeles Rowland die Unterschiede zwischen den materiellen Gegenständen hervor, die den Reichen und den Armen zur Verfügung stehen. Ebenso faszinierend ist Boeles Rowlands Feststellung, dass der Ehering auch nach dem Tod einer der beiden Parteien symbolisch aufgeladen blieb und sich oft der Wiederzuweisung als einfacher 'Ring' widersetzte (21).

Das Kapitel von Sabine Sommerer untersucht die Beziehung zwischen Bedeutung, Materie und Erinnerung. Hier verlagert sich der Schwerpunkt jedoch vom Austausch zwischen gewöhnlichen Londonern auf die Spitze der Gesellschaft. Sommerer untersucht Darstellungen von Stühlen als Geschenk sowohl in literarischen als auch in erzählerischen Quellen und befasst sich eingehend mit drei erhaltenen Stühlen: a) die Cathedra Petri im Vatikan, die Karl der Kahle (gestorben 877) dem heiligen Petrus am Weihnachtstag 875 anlässlich seiner Kaiserkrönung schenkte; b) der 'Barcelona-Stuhl', soll ebenfalls ein königliches Geschenk gewesen sein, wahrscheinlich von König Martin I. dem Humanen von Aragon (gestorben 1410); der 'Elefantenstuhl' im Benediktinerstift Krems ist eine mobile Sitzgelegenheit aus vier Elefantenknochen, die der Wiener Bürgermeister Sebastian Huetstocker 1553 in Auftrag gab.

Gustavs Strenga setzt die Untersuchung von spektakulären Objekten und der Art und Weise fort, wie sie zur Kontrolle und Bewahrung der Erinnerung an große Zeremonien eingesetzt wurden. Er verweist auf Silvester Stodewescher (gestorben 1479) in Riga, der im Juni 1449 Erzbischof der Stadt wurde. Während des Einzugs musste Silvester seine Beziehungen zu verschiedenen Parteien aushandeln, sowohl zu den anwesenden Bischöfen von Riga, den weltlichen Lehnsherren des Stifts und den Ratsherren der Stadt als auch zu seinem abwesenden Gönner Konrad. Zwei Wochen nach seiner Einreise schrieb Silvester einen Brief, in dem er die Ereignisse für Konrad beschrieb. Strenga zeigt, wie die Parteien Geschenke einsetzten, um Vertrauen zu demonstrieren und die Grundlage für gute Arbeitsbeziehungen zu schaffen, als Silvester sich seinem Besuch näherte. Er fängt auch die Freude des bürgerlichen Silvesters ein, der in die reiche materielle Umgebung eines Kirchenfürsten katapultiert wurde.

Die Substanz wertvoller Objekte und die Art und Weise, wie diese und die Biografien der Objekte zur Selbstdarstellung der Elite beitrugen, steht auch im Mittelpunkt des Kapitels von Ruth Noyes. Es geht um den Austausch wertvoller Gegenstände zwischen Herzog Cosimo III. de Medici (gestorben 1723) in Florenz, der Hauptstadt des Großherzogtums Toskana, einerseits und Michał Kazimierz (gestorben 1682) und Mikołaj Stefan Pac (gestorben 1684) in Vilnius, einer der beiden Hauptstädte des polnisch-litauischen Königreichs, andererseits. Diese Fürsten tauschten "Pferde, Medizin, Pelze, Hermelin, Eisbären, Bernstein, Elfenbein, Gold und Diamanten" über eine Entfernung von mehr als 2.000 Kilometern aus. Noyes untersucht, wie Pac Bernstein für den kunstvollen Reliquienschrein von Kazimierz und die dazugehörigen Geschenke verwendete.

Lebendig gewordene heilige Materie ist auch das Thema des Beitrags von Mads Heilskov, der den Kult der lebenden Bilder im Italien des 14. und 15. Jahrhunderts untersucht und sich dabei auf den Kult von Santa Maria delle Carceri in Prato konzentriert, die 1484 auf wundersame Weise lebendig geworden war. Heilskov bringt lebende Bilder und die Ex-voto-Opfer zusammen, die die Bittsteller zu ihnen brachten. Dieser Austausch wurde als Manifestation der Volkskultur und der Volksreligion abgetan, die sich von den theologischen und künstlerischen Errungenschaften der italienischen Renaissance entfernt haben. Die Beziehung zwischen dem inkarnierten Bild und dem Material, aus dem es hergestellt wurde, war zweideutig: einerseits wollte man es als eine besondere Erscheinungsform der Jungfrau mit einer eigenen Geschichte darstellen; andererseits wirkten Kopien und Darstellungen der Santa Maria delle Carceri auch Wunder.

Die Beziehung zwischen dem Übernatürlichen und der weltlichen Materie und das Gedenken an die Wechselwirkungen zwischen beiden steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von Sari Katajala-Peltomaa. Im Mittelpunkt ihres Kapitels stehen die Opfergaben an den heiligen Nikolaus von Tolentino (kanonisiert 1446) und insbesondere die Votivtafeln, die in Fällen dämonischer Besessenheit dargebracht wurden. Wie Katajala-Peltomaa hervorhebt, berührten diese Opfergaben ein Thema, das gegen Ende des Mittelalters verstärkt diskutiert wurde: der 'geschenkhafte' Austausch mit dem Göttlichen. Nur wenn sie von der spirituellen Hingabe des Bittstellers durchdrungen waren, wurden die materiellen Gaben als Opfergaben für St. Nikolaus akzeptabel.

Der Platz der Materie im Austausch mit dem Göttlichen steht auch im Mittelpunkt des Kapitels von Poul Grinder-Hansen. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem karitativen Engagement für die Armen in Dänemark und im Herzen eines neu geschaffenen, protestantischen Gemeinwesens. Die zentrale Bedeutung der Nächstenliebe zeigte sich in den vielen robusten Almosenschachteln, die in der Nähe der Eingangstüren der Kirchen aufgestellt waren. Diese waren häufig mit Inschriften und Bildern verziert, die die Bedeutung des karitativen Engagements betonten und oft Vorstellungen vermittelten, die der Idee der göttlichen Gegenseitigkeit mehr entgegenkamen, als es die formale Theologie der Kirche zuließ. Grinder-Hansen hebt einen Punkt hervor, dem wir auch in den Beiträgen von Katajala-Peltomaa und Heilskov begegnet sind: dass das Almosengeben nicht nur ein Akt war, der dem Seelenheil diente, sondern auch eine Geste der sozialen Kommunikation. Wie Grinder-Hansen feststellt, machte das Aufstellen der Almosenschachtel den Akt der Nächstenliebe für die breitere Gemeinschaft besonders sichtbar.

Gemeinschaft und die Rolle von materiellen Objekten bei ihrer Schaffung stehen auch im Mittelpunkt des letzten Kapitels von Philipp Höhn. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Rolle von Objekten für die Identitäts- und Gemeinschaftsbildung in den Hansestädten des Spätmittelalters, insbesondere in den "gewaltsam eroberten" ("violently taken") Städten. Höhn konzentriert sich auf drei Fälle: die Waffen und Banner, die die Stadt Hamburg 1525 von dem Seeräuber Hans Kniphof beschlagnahmte; die Beschlagnahmung eines Gemäldes des Jüngsten Gerichts durch Söldner der Stadt Danzig (Gdańsk) im Jahr 1473 unter rechtlich zweifelhaften Umständen; das Banner eines anderen so genannten Piraten, eines Kapitäns in den Diensten von Christian II. von Dänemark (gestorben 1559), das 1526 beschlagnahmt worden war. Höhn schließt mit der Aufforderung, Geschenke im Kontext zu lesen, als Teil von Netzwerken von Objekten, Texten und Performances, die vergangene, gegenwärtige und zukünftig zu erwartende Austauschbeziehungen einbeziehen.

Miri Rubin schließlich beschließt den Band mit Überlegungen zu den Beiträgen und weist auf weitere Perspektiven hin.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beiträge in diesem Band zeigen, wie viel man über das Schenken lernen kann, wenn man sich mit den gegebenen und erhaltenen Materialien beschäftigt. Diese Beugung der Theorien des Schenkens durch eine materielle Wende ist in der Tat fruchtbar. Geschenke und ihre Materialität führen uns also zum Kern der Fragen, die die Geisteswissenschaftler derzeit bewegen. Unentgeltlich oder erzwungen, geschenkt oder erwartet, dauerhaft oder vergänglich - Geschenke führen uns zu menschlichen Beziehungen in ihrer ganzen Komplexität und fordern unser volles Engagement und Mitgefühl heraus.

Spyridon P. Panagopoulos