Romina Ebenhöch: Anhänger in Buchform. Eine Geschichte des europäischen Schmucks (1450-1650), Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2023, 423 S., 177 Farb-, 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01695-3, EUR 49,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Romina Ebenhöch hat mit ihrer 423 Seiten umfassenden Publikation "Anhänger in Buchform" ein wahrhaft gewichtiges Werk geschaffen, dessen Fokus auf Schmuckstücken liegt, die zwischen 1450 und 1650 im europäischen Raum angefertigt wurden.
Mit zunehmender Verbreitung von Büchern in Folge des Buchdruckverfahrens erfreuten sich kostbar ausgeführte Buchanhänger wachsender Beliebtheit. Äußerlich als reich verzierte Miniaturbücher mit Buchrücken, Buchschnitt und Schließen gestaltet, verbargen die Anhänger in ihrem Inneren meist bebilderte Metallblätter oder Reliquien. Für die Träger:innen erfüllten die Objekte vielfältige Funktionen, die Ebenhöch in dem umfangreichen Theorieteil untersucht. Ergänzend werden im Katalogteil die überlieferten Objekte dieses Zeitraumes aufgeführt.
Einleitend definiert und begrenzt die Autorin den Forschungsgegenstand. Die Objektgattung, bei der Buch, Behältnis und Miniatur in einem Objekt komprimiert vorliegen, etablierte sich im Europa des 15. Jahrhunderts. Es entstanden Anhänger in Buchform, "die in ihrer äußeren Form durch Buchrücken, Buchschnitt und Schließen auf die Form des Kodex verweisen und diesen mit einer Durchschnittshöhe von circa drei Zentimetern zum tragbaren Schmuckobjekt werden lassen." (12) Ebenhöch möchte aufzeigen, was "das Buch als Objekt jenseits seiner Funktion als Schriftträger auszeichnet". (13) Sie unterscheidet deshalb terminologisch zwischen den besonders studienrelevanten Buchanhängern bzw. Anhängern in Buchform und den Anhängerbüchern bzw. Schmuckbüchern, die als miniaturisierte Bücher mit ihren beschrifteten Blättern in erster Linie als Schriftträger dienten. Die drei definierten Kriterien Miniaturgröße, tragbarer Schmuckanhänger und Buchform geben die weitere Gliederung der Publikation vor.
Im Kapitel Miniatur werden Nähe und Überschneidungen zwischen Miniatur, Buch und Schmuck um 1500 an ausgesuchten Beispielen der Miniaturmalerei und Buchkunst aufgezeigt und die sich daraus ergebenden Fragestellungen unter Einbeziehung der aktuellen Forschungsliteratur entwickelt. Welche Unterschiede bestehen zwischen dem kleinen Format und der Miniaturisierung, die auf kleinster Fläche dichteste Informationen und Darstellungen präsentiert? Sind Schmuckstücke aufgrund ihres kleinen Formats per se kontextuell in die Miniaturforschung einzugliedern? Ebenhöchs Anliegen ist es, erstmals Aspekte des Formates im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen physischem Buch und (Schrift-)Objekt zu diskutieren, da sich bisherige Studien zu Buchobjekten und Miniaturbüchern jeweils nur auf Teilaspekte fokussiert haben.
Im weiteren Verlauf des Kapitels wird der Bestand an erhaltenen Buchanhängern vorgestellt und im wissenschaftlichen Kontext der Miniaturisierung als Verdichtung untersucht. Ebenhöch unterteilt die Schmuckstücke in vier Hauptgruppen entsprechend dem Grad ihrer Verdichtung. Es gibt Anhänger mit beschriebenen Pergamentblättern, solche mit bildlich gravierten Metallblättern, buchförmige Behältnisse in Hinterglasmalerei, zu denen als Sonderform auch die (Reliquien-)Behältnisse zählen und zuletzt die nicht mit einer Schließe versehenen (Duft-)Behältnisse inklusive der Agnus Dei-Anhänger.
Das Kapitel Buch widmet sich dem Stellenwert des Buches, der sich mit der sukzessiven Verbreitung des Buchdrucks vom mittelalterlichen Luxusgut zum vielschichtigen Objekt wandelte, das nun breiteren gesellschaftlichen Kreisen zur Verfügung stand. In der Porträtmalerei werden Bücher als Buchanhänger sichtbar. Damit "wird der Blick nicht nur auf die unterschiedlichen Trageweisen der Objekte gelenkt, sondern zugleich auf ihre Träger:innen und die damit verbundenen Tragekontexte." (67) Zur Klärung, von welchen Personen in welcher Form, zu welchem Zweck und Anlass Buchanhänger getragen wurden, zieht die Verfasserin Schrift- und Bildquellen wie Inventare, Entwurfszeichnungen und Porträts zu Rate.
Am häufigsten wurden wohl die Buchanhänger sichtbar oder verborgen unter der Kleidung als Halskette in variabler Länge getragen. Ebenfalls weit verbreitet war eine Anbringung an der Kleidung oder die körpermittige Platzierung am Gürtel. Vor allem in der englischsprachigen Forschung haben diese als girdle prayer books bezeichneten Objekte Aufmerksamkeit erfahren. In den Ausführungen der Autorin zu dieser speziellen Form des Bei-sich-Tragens von Büchern verwirrt, dass die anfängliche terminologische Unterscheidung zwischen Buchanhängern und Anhängerbüchern verlassen wird. Die girdle prayer books werden als Anhängerbücher kategorisiert, obwohl sie aufgrund ihrer ausgeprägten Verkleinerung, der prunkvollen Verzierungen und der fest in die Buchdeckel integrierten Ösen mehr als Schmuckstücke denn als Schriftträger erscheinen.
Der weitere Verlauf des Kapitels widmet sich vor allem den potentiellen Träger:innen der Buchanhänger. Die Existenz von sehr vielfältig in Verarbeitung und Materialität gestalteten Schmuckstücken spricht dafür, dass sie in verschiedenen sozialen Schichten getragen wurden. Besonders beliebt jedoch waren sie beim Adel, was die kostbare Beschaffenheit der meisten überlieferten Objekte sowie Inventareinträge und Porträts nahelegen. Das Tragen dieser prunkvollen, oft in Hinterglasmalerei gefertigten Anhänger war einerseits eine Wertschätzung dieser künstlerischen Technik, die im 16. Jahrhundert einen großen Aufschwung erlebte, andererseits sollte es die Belesenheit der Besitzer:innen bezeugen und machte konfessionelle Positionen sichtbar.
Das Kapitel Schmuck beleuchtet die Buchanhänger hinsichtlich ihrer Qualität als multisensorische Schmuckstücke, die den Seh-, Tast- und Geruchssinn ansprechen. Besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf Buchanhänger mit Duftfunktion, die im Kontext der Rosenkranzfrömmigkeit getragen wurden. Folgt man Ebenhöchs These und zählt auch die 20 Hinterglasanhänger zu den Duftbehältnissen, machen diese mehr als die Hälfte des Gesamtbestandes aus. Die Autorin untersucht im Folgenden, wie diese Schmuckstücke "die Buchform für das Beten des Rosenkranzes und seiner Geheimnisse nutzbar machen" (155), eine Fragestellung, die in den bisherigen Forschungen zum Rosenkranzgebet noch keine Beachtung gefunden hat.
Ebenhöch argumentiert auch hier wieder auf der Grundlage einer sehr detaillierten und facettenreichen Analyse der Schmuckobjekte. Unter Einbeziehung kulturgeschichtlicher und religiöser Aspekte verdichten sich ihre Ausführungen zu einer material- und rezeptionsästhetischen Analyse der Buchobjekte und lassen sie als "geheimnisbergendes Behältnis" (177) in Erscheinung treten, in dessen Innerem die dort verwahrten Blätter und bildlichen Darstellungen ebenfalls mit "Strategien des Offenbarens und Verbergens" (177) spielen. Einerseits lädt das miniaturisierte Buch den Betrachter zu nahsichtiger Innerlichkeit ein, grenzt sich aber durch gestalterische Elemente wie beispielsweise metallisch schimmernde Oberflächen oder inszenierte Vorhänge gegen zu tiefe Einblicke ab.
Der rund 120 Seiten umfassende Katalogteil bildet mit den aufgeführten 56 Buchanhängern Grundlage und Herzstück der Publikation. Hilfreich ist die bereits im Kapitel Miniatur erwähnte Gliederung der Objekte in vier Hauptgruppen entsprechend ihrem Miniaturisierungsgrad. Ebenfalls sehr gelungen und übersichtlich sind die meist farbige Bebilderung sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung, die sich bei jedem Anhänger in Kategorien wie Fassung, Amelierung, Darstellung und Literatur widerspiegelt. Dies schafft die von der Autorin intendierte wissenschaftliche Basis, um innerhalb des Bestandes Vergleiche zwischen den Objekten vornehmen zu können und interdisziplinäre Forschungsimpulse zu liefern.
Mit ihrer Publikation legt Ebenhöch eine methodologisch breit aufgestellte Erschließung der bislang kaum beachteten Buchanhänger vor. Weder in der Rosenkranz- und Miniaturbuchforschung noch in Studien zu Duftbehältnissen, Goldschmiedekunst oder Hinterglasmalerei tauchen Anhänger in Buchform als spezielle Objektgattung auf. In anspruchsvoll verdichteter Form trägt die Autorin erstaunlich vielfältige Aspekte aus den "Kernbereichen ihrer Erscheinungsformen Miniatur - Buch - Schmuck" (20) zusammen und lässt so die Buchanhänger als kulturhistorisch relevantes Forschungsthema in Erscheinung treten.
Susanne Paesel