Rezension über:

Thomas A. Fudge: The Kidnapped Bishop. Coerced Ordinations in the Late Medieval Bohemian Province, Lanham: Rowman & Littlefield 2023, 249 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-1-6669-2663-7, USD 110,00
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Rezension von:
Barbara Hallensleben
Université de Fribourg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Hallensleben: Rezension von: Thomas A. Fudge: The Kidnapped Bishop. Coerced Ordinations in the Late Medieval Bohemian Province, Lanham: Rowman & Littlefield 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 7/8 [15.07.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/07/39149.html


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Thomas A. Fudge: The Kidnapped Bishop

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Thomas A. Fudge ist Professor für Geschichte des Mittelalters an der University of New England in Australien. Sein Spezialgebiet liegt im Bereich der Geschichte der europäischen Entwicklung der Christenheit im Übergang vom Mittelalter zur Reformation mit einem besonderen Interesse für die Reformbewegungen in Böhmen und mit einer unverkennbaren Sympathie für Persönlichkeiten und Bewegungen, die als "häretisch" eingestuft werden. Das Jubiläum des Konzils von Konstanz 1414/18-2014/18 profitierte von seinen Publikationen zu bekannten (Jan Hus) und weniger bekannten (Hieronymus von Prag) Opfern der damaligen kirchlichen Wirren.

Das hier vorgelegte Buch ist eigentlich eine "erweiterte Fußnote", die zum stattlichen Umfang von über 250 Seiten angewachsen ist und einen kuriosen Einzelfall aus der Geschichte der Hussiten behandelt: Der böhmische Adlige Vinzenz von Wartenberg (Čeněk von Vartemberk), der anfänglich mit den Hussiten sympathisierte, sorgte sich um einen Klerus für die Gläubigen, die der neuen Bewegung anhingen, denn "the parish clergy were generally not of a high quality". (22) Er ließ kurzerhand den Weihbischof von Prag, Hermann Schwab von Mindelheim, entführen und auf der Burg Lipnitz (Lipnice) gefangen halten. Dort wurde er unter Androhung von Gewalt und Tod dazu gezwungen, die sakramentale Priesterweihe zu erteilen, erstmals am 6. März 1417. Insgesamt handelte es sich um etwa 100 Weihekandidaten, die anschließend in verschiedenen Gemeinden eingesetzt wurden und der Hussitenbewegung erheblichen Einfluss verschafften. Erzbischof Konrad erklärte die Weihen für null und nichtig und enthob Weihbischof Hermann all seiner Ämter und Würden. Dieser scheint später sein Handeln bereut zu haben und nannte die Weihekandidaten 'Halunken'. Einige Jahre später wurde er von radikalen Hussiten ermordet. So weit die aus den Quellen erhebbaren Vorkommnisse.

Thomas A. Fudge möchte strikt als Historiker verstanden werden: "This is a book about church history rather than an exercise or exploration in theory". (XIII) Seine erste Aufmerksamkeit gilt den zeitgenössischen Quellen (6-22) und dem historischen Kontext samt einer Vorstellung der beteiligten Personen einschließlich einiger der Geweihten, die aus Prozessakten namentlich bekannt sind (22-47). Und doch liegt die Stärke des Autors darin, dass er vor einem breiten Horizont, der weit über den engeren geschichtlichen Zusammenhang hinausreicht, die mit dem Vorfall verbundene Grundfrage stellt: Waren diese Weihen legitim und gültig oder nicht? Das Spektrum der Aufmerksamkeit reicht von den Kirchenvätern bis zu Parallelen zu heutigen Priesterweihen von Frauen und zur ökumenischen Frage der Anerkennung altkatholischer und anglikanischer Hierarchen. Angesichts fehlender Forschungsliteratur sieht Fudge sich genötigt "to pose questions that were never asked and suggest possible answers to that silence". (XIII) Sein Verständnis theologischer und kirchenrechtlicher Argumentationsformen ist beachtlich und hält den zuständigen theologischen Fachwissenschaften durchaus stand.

Der Frage nach Legitimität und Gültigkeit der damals durch den entführten Bischof erteilten Weihen liegt eine noch grundsätzlichere Beobachtung zugrunde: Warum lag den Hussiten, die sich so energisch gegen eine kirchliche Ordnung wehrten, die ihnen als äußerlich und willkürlich erschien, in dieser Anfangszeit so viel an der "apostolischen Sukzession", die in altkirchlicher Sicht durch eine bischöfliche Weihe vermittelt wird? Spricht dieses Zeichen nicht deutlich dafür, dass sie keine Spaltung und auch keine "neue Kirche" wollten, sondern die Reform der einen und einzigen Kirche Jesu Christi, der sie sich zugehörig wussten? Eine weitere Grundfrage schließt sich an: Warum wurde der Fall nicht energischer geklärt und in neue Rechtsnormen übertragen - zumal das Konzil von Konstanz mit seinen zahlreichen Kirchenrechtsexperten ein idealer Rahmen gewesen wäre? Äußere Gründe wie das Fehlen eines handlungsfähigen Papstes bieten keine überzeugende Erklärung.

So trägt das Schlusskapitel des Buches den Titel "An Irresolvable Paradox?", nachdem der Autor vorausgehend in Kapitel 2 "Medieval Ordination and Its Challenges" diskutiert hat, gefolgt von Kapitel 3 unter der Fragestellung "Are Forced Consecrations Legitimate?" Die erstaunliche Fülle von teilweise gegenläufigen Argumenten, kirchenrechtlichen Regelungen, Kriterien und Vergleichsfällen führt - weitgehend unausgesprochen - zu dem eigentlichen Problem: Mit der hussitischen Bewegung trat ein Element in das Leben der Kirche, dem mit theologischen und kirchenrechtlichen Normen allein nicht beizukommen war: das Streben nach der authentischen, lebendigen Nachfolge Christi. Die Argumente, die für die Gültigkeit der irregulären Weihen sprechen, gehörten zu den tragenden Pfeilern des altkirchlichen Selbstverständnisses. Im Kern handelt es sich um die objektive Wirksamkeit des Sakraments, wenn es gemäß kirchlichen Normen durch einen dazu befähigten Spender gefeiert wird, unabhängig von dessen Würdigkeit und den Umständen des Ritus. Das Argument der Ungültigkeit aufgrund von Zwang trifft in diesem Sinne nur bedingt auf Bischof Hermann zu, da er den Weg des Martyriums hätte wählen können und folglich nicht einem absoluten, sondern nur einem bedingten Zwang unterlag. Hätte die Kirche die Annullierung der Weihen durch Erzbischof Konrad zu einer allgemeinen Norm erhoben, hätte sie gewissermaßen sich selbst widersprochen und den als häretisch eingestuften Reformern Recht gegeben, denn sie hätte die persönliche Haltung des Weihenden und der Geweihten in neuer Weise in die Kriteriologie einbezogen. Wie Fudge auch in anderen Forschungen herausstellt, stand die Frage nach der Autorität ("conception of authority", XX) auf dem Spiel.

"In 1417, the Latin Church could not have anticipated the storm that would follow in the wake of events that produced Lipnice [...] It is unlikely that leading ecclesiastical thinkers had any prescient understanding of the religious, social, and political implications of the nascent Hussite movement". (192) Die scharfen Reaktionen von Erzbischof Konrad gegen seinen Weihbischof Hermann konnten die hervorgerufenen Folgen nicht mehr eindämmen. Doch das von Thomas A. Fudge konstatierte "irresolvable paradox" gibt auch von hussitischer Seite Rätsel auf: "The modern reader may well be flummoxed to learn that the coterie of men responsible for the abduction believed a Roman prelate was necessary for a stamp of approval or an imprimatur of legitimation for their own religious practices to survive". (199)

Der außergewöhnliche "Fall" von Bischof Hermann kann letztlich von Theologie und Kanonistik nicht gelöst werden. Eine Fußnote der Geschichte erweist sich als Paradigma der Kirchenreform in der Spannung zwischen gottgewirktem Heil und kirchlicher Gestalt, zwischen Gnade und Werk, zwischen Charisma und Institution. So hat das Buch auch und gerade als Einzeluntersuchung eine höchst aktuelle Botschaft: So sehr die Kirche sich in ihren geschichtlichen Ordnungskategorien der Gnade Gottes verdankt, so sehr bleibt der lebendige Gott für sie unverfügbar. Gott lässt sich nicht "kidnappen"!

Barbara Hallensleben