Rezension über:

Maxime Emion: Les protectores Augusti (IIIe-VIe s.p.C.) (= Ausonius-Éditions - Scripta Antiqua; 167), Pessac: Ausonius Editions 2023, 1373 S., ISBN 978-2-35613-560-5, EUR 45,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Christina De Rentiis
Universität Rostock
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Christina De Rentiis: Rezension von: Maxime Emion: Les protectores Augusti (IIIe-VIe s.p.C.), Pessac: Ausonius Editions 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/38086.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Maxime Emion: Les protectores Augusti (IIIe-VIe s.p.C.)

Textgröße: A A A

Die anzuzeigende Studie widmet sich einem wichtigen und komplexen Gegenstand der spätantiken Militärgeschichte, nämlich den so genannten protectores Augusti. Bedeutende Persönlichkeiten der spätantiken Geschichte trugen im Laufe ihrer Karriere den Titel protector, darunter der Historiograph Ammianus Marcellinus und die Kaiser Constantius Chlorus und Konstantin I.; Diokletian, Jovian und Valens wurden sogar direkt aus dieser Position ins Kaiseramt erhoben. Komplex ist der Gegenstand, da trotz wiederholter Behandlung in der Forschung immer noch keine Einigkeit über die Grundfrage herrscht: Was waren protectores - Mitglieder einer Art Offiziersseminar, eine neue Leibgardeeinheit, die Zenturionen der Spätantike? [1] Und welche Veränderung erlebten sie von ihrem ersten Auftreten in den Quellen im 3. bis zum 6. Jahrhundert?

Maxime Emion behandelt dieses Thema nun nicht nur erstmals umfassend vom 3.-6. Jahrhundert (Band 1), er legt darüber hinaus eine 355 Individuen umfassende Prosopographie vor, die die entsprechenden Einträge in der PLRE nicht nur um neue Individuen ergänzt, sondern auch ausführlich kommentiert und teilweise korrigiert (Band 2). In drei Appendices sind alle die protectores betreffenden Rechtstexte zusammengestellt und teilweise übersetzt. Die Materialfülle der Studie ist beeindruckend.

Zur umstrittenen Grundfrage vertritt Emion folgende These: Die protectores ließen sich nicht über eine "approche fonctionnelle" (118) definieren. So lasse sich für sie keine Spezialisierung nachweisen, die eine Einordnung in soldatische Ränge unterhalb der Offiziersämter ermöglichen würde. Ebenso wenig fänden sich in den Quellen Belege dafür, dass protectores Einheiten anführten oder dass alle protectores in Ämter mit Kommandofunktion aufstiegen. Der Autor schlägt daher statt des funktionalen ein relationales Herangehen vor: Von den 240er Jahren bis zum 6. Jahrhundert habe das Führen der Bezeichnung protector angezeigt, dass die Person in einer "relation privilégiée" zum Kaiser stand (89, 101). Ausgehend von dieser Auffassung setzt sich Emion zum Ziel, das "protectorat" (17, Fußnote 43) einerseits in der "hiérarchie militaire" (17) zu verorten, darüber hinaus aber auch in der spätantiken Gesellschaft.

Die Studie gliedert sich in drei chronologische Abschnitte: Teil 1 (Kapitel 1-3), 3. Jahrhundert; Teil 2 (Kapitel 4-8), 300-450; Teil 3 (Kapitel 9-10), 5.-6. Jahrhundert.

Im ersten Teil bestätigt Emion die bisherige Forschung grundsätzlich in ihrer Ansicht, dass die protectores wesentlich zur Verdrängung von Mitgliedern des ordo senatorius aus Kommandopositionen beitrugen; denn die Verleihung des protector-Titels habe einfachen Soldaten privilegierten Zugang zu hohen Kommandopositionen verschafft. Emions Ausführungen präzisieren die Forschung an vielen Stellen, allen voran: protector sei nicht die Bezeichnung für eine eigene Karrierestufe gewesen, sondern dem jeweiligen Soldaten zusätzlich zu seinem Rang verliehen worden. Der Kaiser habe ihn verdienten Soldaten verliehen, um anzuzeigen, dass sie seiner Gunst würdig seien und ihre Laufbahn fortsetzen könnten.

Zu Beginn des zweiten Teils findet sich die zentrale These des Buches: Im Zuge der diokletianischen und konstantinischen Reformen sei der Titel des protector als protectoria dignitas präziser definiert worden. Nun habe es sich um eine "position éminente" (451) in der sich verändernden Hierarchie des kaiserlichen Dienstes gehandelt, die durch den Grad der Nähe zum Herrscher definiert worden sei. "Signe de ce privilège" (452) sei die adoratio purpurae gewesen.

Die wichtigsten Konsequenzen dieses Wandels, die der Autor eingehend und kleinschrittig beschreibt, lassen sich in drei Punkten zusammenfassen. Nach Emion wies die protectoria dignitas dieselben Charakteristika wie andere Ämter des spätantiken Beamtenapparats auf: Die Würdenträger seien in Verwaltungseinheiten (scholae) organisiert worden, deren innere Struktur keinen Hinweis auf einen militärischen Einsatz als Einheit biete; die dignitas sei nicht nur aktiven Soldaten verliehen worden, sondern auch ehrenhalber zivilen Staatbeamten oder Soldaten bei ihrer Entlassung; alle Würdenträger hätten annona militaris bezogen.

Der Einsatzbereich der aktiven Würdenträger sei derart vielfältig gewesen (von Leibwächter über Zollaufgaben bis zu Stabsoffizieren), dass der Autor zu dem Schluss kommt, protectores seien nach ihren jeweiligen persönlichen Fähigkeiten eingesetzt worden. In Hinblick auf ihre soziale Zusammensetzung charakterisiert Emion die scholae der protectores als Schmelztiegel, in dem junge Aristokraten, Menschen aus allen Provinzen des Reiches und "Barbaren" (453) vereint gewesen seien.

Im dritten Teil zeigt Emion, dass der Titel protector im Westen des Reiches bis in ostgotische Zeit fortbestanden habe, allerdings dort ausschließlich ehrenhalber verliehen worden sei. Aus den zahlreichen Beobachtungen, die der Autor für den Osten formuliert, sind zwei hervorzuheben: 1) Ab der Herrschaft Zenos seien keine Soldaten mehr aufgrund ihres Verdienstes protectores geworden. Obwohl bereits im 4. Jahrhundert jedes Mitglied einen Aufnahmebeitrag hätte leisten müssen, sei der Betrag nun in solche Höhen gestiegen, dass einfache Soldaten ihn nicht mehr hätten aufbringen können. Das habe allerdings den militärischen Wert der Einheit nicht geschmälert; Protectores ließen sich nach wie vor in militärischen Einsätzen nachweisen. 2) Der Autor vertritt die These, dass es zeitweise zur institutionellen Verschmelzung der protectores mit Teilen der Leibgardeeinheiten gekommen sei (excubitores und scholae palatinae).

Die Arbeit ist bei großem Umfang äußerst sorgfältig angefertigt. Doch nicht jeder der zahlreichen Teilbeobachtungen, die Emion äußert, kann zugestimmt werden, und sein Umgang mit den Quellen ist nicht über Kritik erhaben. Allzu oft wird zu den zahlreichen Fragen, die der Autor in Hinblick auf die protectores beantworten möchte, Ammians Geschichtswerk analysiert, ohne dass deutlich wird, welche Reichweite und Aussagekraft die Ergebnisse haben.

Emions Kritik an der bisherigen Forschung überzeugt. Sein Vorschlag, protectores durch ihre privilegierte Beziehung zum Kaiser zu definieren, ist allerdings kaum geeignet, um allen Zielen seiner Arbeit gerecht zu werden. Daran ändert auch die Definition als dignitas nichts. Emion räumt selbst ein, dass sich der Begriff kaum definieren lässt, zumal nicht in Abgrenzung zu militia (121). Dies befreit allerdings nicht von der Notwendigkeit, klar umrissene Kategorien zu schaffen, mit denen eine soziologische Einordnung nachvollziehbar erfolgen kann. Es wird insbesondere nicht deutlich, inwiefern sich innerhalb der heterogen zusammengesetzten Gruppe, deren aktive Mitglieder eine Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben im militärischen Bereich versahen, die sie teilweise über das gesamte Reich verstreute, und deren Mitglieder nicht selten nach wenigen Jahren in hohe Kommandopositionen weiterbefördert wurden, eine Gruppenidentität herausbildete, und wenn ja, in welchen Aspekten des Lebens. Erst die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht aber eine Einschätzung, ob Christopher Kellys überzeugend gezeichnetes Sozialprofil eines spätrömischen Bürokraten, das Emion als Inspiration dient (17), methodisch auch auf protectores übertragbar ist. [2]

All dies schmälert allerdings nur eingeschränkt den wichtigen Beitrag, den Maxime Emion für die spätantike Militärgeschichte und die Erforschung des spätantiken Beamtenapparates geleistet hat. Die Studie wird allein schon aufgrund der Fülle an zusammengetragenen, teils wenig bekannten Quellen und der ausführlich kommentierten Prosopographie künftigen Arbeiten zum spätantiken Militär und Beamtenapparat noch für lange Zeit eine hervorragende Grundlage bieten.


Anmerkungen:

[1] Jüngere und viel rezipierte Darstellungen der protectores finden sich bei: Karl Strobel: Strategy and Army Structure between Septimius Severus and Constantine the Great, in: A Companion to the Roman Army, ed. by Paul Erdkamp, Oxford 2007, 273; Calian Davenport: A History of the Roman Equestrian Order, Cambridge 2019, 533-537; 545-546.

[2] Christopher Kelly: Ruling the Later Roman Empire, Cambridge 2004 (Revealing antiquity; 15).

Christina De Rentiis