Benjamin Auberer: 'From the Australian Bush to the international Jungle'. Internationale Karrieren und der Völkerbund, Heidelberg: Heidelberg University Publishing 2023, X + 458 S., ISBN 978-3-96822-208-0, EUR 56,00
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Genf ist sicher nicht dafür bekannt, im Dschungel zu liegen; vielmehr schmiegt sich die calvinistische Stadt zu Füßen des Mont Blanc elegant an das Ufer des blauen Sees, geprägt durch mondäne Architektur und ebensolche Gäste. Doch gab es ihn, den Genfer Urwald, so die Dissertation von Benjamin Auberer - nämlich in Form des "international jungle", der nicht weniger dicht gewesen sei als der "Australian Bush", aus dem einer der Protagonist*innen in Auberers Buch stammte.
Das Verdienst des Autors ist es, für den Leser Schneisen in dieses Dickicht zu schlagen. Das gelingt ihm, indem er sich die Biographien von Beamt*innen aus Genf herauspickt und den Protagonist*innen dicht auf den Fersen bleibt, sie vom Beginn ihrer Ausbildung über ihre Tätigkeit beim Völkerbund und ihre Anschlussaktivitäten verfolgt. Gerade darin, sich nicht damit zufrieden zu geben, nachzuzeichnen, wie die Personen nach Genf kamen und was sie beim Völkerbund taten, sondern deren Geschichten auch nach ihrem Ausscheiden weiter im Blick zu behalten, ist Auberers Studie beispielgebend: Er zeichnet so nach, welche positiven wie negativen Konsequenzen eine Beschäftigung beim Völkerbund für den heimischen Arbeitsmarkt haben konnte, zeigt auf, in welchen Bereichen die internationale Erfahrung gefragt war und mit welchem Misstrauen man den international ausgewiesenen Expert*innen nun zuweilen begegnete.
Selbst verortet Auberer seine Arbeit im Grenzbereich zwischen einer Geschichte des Internationalen, einer Sozialgeschichte des Völkerbundsekretariats und einer transnational geöffneten Geschichte Neuseelands und Australiens (alle untersuchten Protagonist*innen stammten von dort). Er erfüllt sein Versprechen, eine "Globalgeschichte von unten" (7) zu schreiben, insgesamt herausragend gut. Es geht ihm um Personen, "für die der Internationalismus das tägliche Auskommen bedeutete" (10). Um diesen Personen nahezukommen, wählt Auberer einen spezifischen Weg zu einer globalen Mikrogeschichte - die "internationale Karriere als mikrohistorisches Konzept zur biographischen Untersuchung des Internationalismus" (22) bzw. als "konzeptionellen Zugriff für eine globalhistorisch fundierte akteurszentrierte Untersuchung des Internationalismus" (32). Dass so "übergeordnete historische Strukturen aus der Perspektive von einzelnen Akteurinnen und Akteuren" erschlossen werden können (33), ist dabei nicht bloße Ankündigung, sondern wird von Auberer in den biographischen Fallstudien immer wieder aufs Neue bewiesen.
Unter "internationaler Karriere" versteht Auberer unter Berufung auf sozialwissenschaftliche Studien den "beruflichen Lebensentwurf eines Individuums [...], welcher innerhalb der Strukturen des liberalen Internationalismus stattfand oder durch ihn wesentlich bestimmt wurde." (34) Drei Elemente seien kennzeichnend: die nationale Rückbindung der Akteur*innen, deren grenzüberschreitende Mobilität und deren internationale Fähigkeiten. (35)
Derart methodisch-theoretisch gerüstet geht Auberer daran, in der Folge quasi fünfmal die Geschichte des Völkerbunds bzw. der jeweils biographischen Verbundenheit zum Völkerbund nachzuzeichnen. Kern jeder Einzelgeschichte ist immer die Schweizer Episode, also Genf als "Brennpunkt des Internationalismus" (45) im Leben der Protagonist*innen, wo sie sich auf den "internationalen Arbeitsmarkt" (ebd.) begaben.
Besonders gelungen ist Auberers Studie auch deshalb, weil er sich die Mühe macht, nicht nur die hochrangigeren Vertreter*innen des Sekretariats in den Blick zu nehmen, sondern dass er auch in den 'Niederungen' des internationalen Dschungels wildert, also im Range der Stenotypist*innen etc. Das hat auch den Vorteil, dass nunmehr verstärkt auch die internationalen Karrieren von Frauen nachvollzogen werden können, die es trotz der de jure Offenheit und per Satzung beschlossenen Gleichberechtigung bei den Einstellungen im Sekretariat gerade in den Rängen von Abteilungsleitungen äußerst selten gab.
Was so entsteht, ist ein Panorama möglicher Wege zum Völkerbund - vom zielgerichteten Hinarbeiten auf eine Karriere in Genf, über den Einsatz der Tätigkeit in Genf als Pfand für eine nationale Karriere bis hin zur internationalen Karriere, die ganz andere Ziele - zum Beispiel ganz profan Reiselust - ermöglichen sollte. Was wir so erhalten, ist ein immer bunteres Bild des Völkerbundsekretariats und damit auch einen "kaleidoskopartigen Blick auf verschiedene Arbeitsgebiete des Völkerbundes". (401)
In einem einzigen Punkte möchte man dem Autor allerdings widersprechen, auch wenn man sein Argument natürlich versteht: Das Buch sei keine "beliebig erweiterbare Aneinanderreihung von Biographien" (403). Natürlich ist es das nicht, dass er mehr leistet, wurde sicher schon deutlich. Ich denke aber doch, dass gerade man ins Personalverzeichnis des Völkerbundsekretariats schauen könnte, um eine beliebige Person herauszupicken, um die Studie somit "beliebig [zu] erweitern". Ich bin mir sicher, dass diese Erweiterung - die entsprechenden Quellen und ein derart methodisch reflektiertes Vorgehen, wie Auberer es vorexerziert, vorausgesetzt - immer zu einem noch runderen Bild des Völkerbundsekretariats beitragen wird.
Jonathan Voges