Dorothée Goetze / Lena Oetzel / Georg Buchbauer u.a. (eds.): Early Modern European Diplomacy. A Handbook, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024, VIII + 830 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-067193-3, EUR 159,95
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Niccolò Fattori: Migration and Community in the Early Modern Mediterranean. The Greeks of Ancona, 1510-1595, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2019
Die Diplomatiegeschichte darf wohl als das klassische Feld der Geschichtswissenschaften gelten. Es ist bekannt, wie stark Leopold von Ranke von den Relationen der venezianischen Botschafter bei der Niederschrift seiner Werke beeinflusst war und wie sehr diese auf sein historiographisches Programm im Allgemeinen gewirkt haben. Der Historismus an sich war bekanntermaßen von diesem Erbe bis in die 1970er Jahre hinein geprägt. Entsprechend brachte die Etablierung neuer geschichtswissenschaftlicher Paradigmata in einem teilweisen Überschuss an Abgrenzungsbedarf auch einen gewissen Bruch mit der Diplomatiegeschichte an sich.
Von einer etablierten "neuen Diplomatiegeschichte" kann seit mindestens 20, evtl. sogar 30 Jahren gesprochen werden. Dabei ist auf der allgemeinsten Ebene wohl der wesentliche Unterschied zur 'klassischen' Diplomatiegeschichte, dass ereignisgeschichtliche sowie politische Aspekte in den Hintergrund getreten und stattdessen strukturgeschichtliche, systemtheoretische sowie anthropologische Perspektiven in den Vordergrund gerückt sind. Die einschlägige Literatur, die diesen Ansatz für verschiedenste Forschungen nutzbar gemacht hat, ist inzwischen stark angewachsen und entsprechend sind Studien zur Diplomatiegeschichte gerade für die Epoche der Frühen Neuzeit wieder ein Kernbestandteil des Faches geworden. Dabei ist auch der Umstand bedeutsam geworden, dass in dieser Epoche Staatsbildungsprozesse erst zu einer Diplomatie im modernen Sinne geführt haben und daher einschlägige Forschungen mit Fokus auf Klientel- oder Patronagenetzen sowie Handlungsspielräume von Einzelakteuren Grundlagencharakter für das Verständnis der Frühen Neuzeit beanspruchen können.
Ein eigentümlicher Mangel der neuen Diplomatiegeschichte war das Fehlen eines Referenzwerks. Ein solches ist nun als "Handbook" erschienen, wobei der Titel im geläufigen Sinne irreführend ist. Hier wird vielmehr ein Grundlagentitel vorgelegt, der in vielerlei Hinsicht deutlich über die Zusammenführung der etablierten Wissensbestände hinausgeht.
Stattliche 39 Kapitel (eines über die Höfe in drei Einzelkapiteln, da der Papsthof und die Hohe Pforte als Spezialfälle noch einmal gesondert beschrieben werden) umfasst das Werk mit 830 Seiten Länge, wobei die letzten ca. 30 Seiten ausschließlich eine Auswahlbibliographie von gedruckten Quellen aus der Frühen Neuzeit selbst und verschiedenen modernen Editionen sowie einem gemischten Namens-, Orts- und Sachregister darstellen.
In der Einleitung lassen die Herausgeberinnen Dorothée Goetze und Lena Oetzel die fachlichen Entwicklungen der letzten Jahre und vor allem die methodologischen Innovationen und Debatten Revue passieren. Es werden weitere Perspektiven und Desiderate aufgezeigt sowie der Aufbau des Handbuchs als eine Mischung von Fokussierungen auf politische Entitäten sowie eher sachbezogenen Kapiteln erläutert.
Auf der obersten Gliederungsebene ist das Buch in fünf Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt "Historiographical Perspectives" gibt einen Überblick über die neue Diplomatiegeschichte und die Geschichte der internationalen Beziehungen. Darüber hinaus werden methodische Anregungen gegeben. Der zweite Abschnitt "(Contemporary) Diplomatic Discourses" geht der Frage nach, wie die Diplomatie in der Frühen Neuzeit beschrieben und theoretisiert wurde, wie sie sich in Handbüchern und Traktaten, aber auch in Kunst und Literatur niederschlug. Damit wird gewissermaßen die normative und kulturelle Rahmung der frühneuzeitlichen Diplomatie erfasst. Der dritte Abschnitt "Development of European Diplomacy - An Overview" fokussiert auf spezifische europäische Regionen und Staatswesen. Dabei werden die besonderen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für diplomatisches Handeln analysiert. Im vierten Abschnitt "Spheres of Diplomatic Interactions" werden verschiedene Interaktionsbereiche untersucht, auch jenseits des klassischen Fokus auf den Hof. Neben diesem Zentralraum von Diplomatie geraten Kongresse oder (semi-)permanente Versammlungen in den Blick, wie der Reichstag oder die Schweizer Tagsatzung. Auch werden Städte als spezielle Räume der diplomatischen Interaktion eingehend gewürdigt. Der fünfte Abschnitt "Diplomatic Actors" fokussiert auf die individuellen Gestalter von Außenbeziehungen. Neben den Herrschern und Gesandten sowie dem erweiterten diplomatischen Personal werden dabei auch informelle Diplomaten in den Blick genommen, so die Ehefrauen der Diplomaten oder Kaufleute und weitere, wie Konsuln, die zwischen den entsandten, "offiziellen" Diplomaten, den Kaufleuten und den spezifischen Orten ihres Wirkens standen.
Angesichts des Umfangs dieses Werkes seien im Folgenden nur zwei Kapitel exemplarisch genauer dargestellt. Alexander Koller liefert im Kapitel "Representing Spiritual and Secular Interests: The Development of Papal Diplomacy" die erste umfassende Darstellung der päpstlichen Diplomatie in der Frühen Neuzeit. Dabei gelingt es ihm, den hohen Organisationsgrad sowie die außergewöhnliche Professionalisierung der päpstlichen Diplomatie mit ihrer doppelten Funktion, der geistlichen und weltlichen Repräsentation des Heiligen Stuhls, eingehend herauszuarbeiten. Bemerkenswert ist die Jurisdiktionsgewalt der päpstlichen Gesandten in Angelegenheiten des kanonischen Rechts. Legaten und Nuntien wirkten zwar formal im Ausland, hatten aber als Repräsentanten der Kurie innerhalb der katholischen Welt Befugnisse, die teilweise weit über diejenigen von anderem diplomatischem Personal hinausgingen. Eine unvermeidliche Folge waren häufige Konflikte mit Bischöfen oder anderen regionalen kirchlichen Würdenträgern. Koller arbeitet auch das typische Profil von päpstlichen Diplomaten als universitär gebildete, kirchliche Eliten heraus, die sich durch ihre Tätigkeiten im Ausland häufig für höhere Weihen empfohlen. Ein praxeologischer Blick auf den diplomatischen Alltag und Reisetätigkeiten, die finanzielle Ausstattung sowie die Wechselfälle des "Berufs" runden den bemerkenswerten Blick auf die Strukturbedingungen der päpstlichen frühneuzeitlichen Diplomatie ab.
Carolyn James analysiert "Women and Diplomacy in the Early Modern Period". Durch die Erweiterung des begrifflichen Analyserahmens von Diplomaten auf Akteure der Außenbeziehungen sind im Zuge der Neuausrichtung der Diplomatiegeschichte auch Personenkreise in den Blick geraten, die bislang eher wenig Beachtung fanden. Damit gewinnen auch die Ehefrauen von Fürsten oder Adeligen sowie von verschiedensten Arten von Diplomaten eine bislang häufig eher übersehene Bedeutung. Insbesondere der Hof als ein Raum von diplomatischer Interaktion, auf dem Frauen in verschiedenster Weise wirken konnten, wird hier eingehender thematisiert. Eng damit verwoben war das Potential von Frauen am Hof, in der Spionage tätig zu werden. Eine eingehende Beleuchtung erfährt die "Ambassadress" (in einigen europäischen Sprachen ein zeitgenössischer Terminus), die Ehefrau des Botschafters als eigenständige Figur mit bemerkenswerten Handlungsmöglichkeiten. Unterlegt sind die rahmenden Ausführungen mit einer Vielzahl von Beispielen. Abschließend werden in diesem Kapitel weiterführende Forschungsperspektiven aufgezeigt.
Ähnlich grundlegend wie diese zwei Beispiele sind auch ein Großteil der weiteren Kapitel des Werkes. Hier wurde in der Tat ein Referenzbuch erstellt, auf das zurückzugreifen in Zukunft für alle mit der frühneuzeitlichen Diplomatie beschäftigten Forschenden sehr nützlich sein wird. Etwas bedauerlich ist der Verzicht auf ein Titelbild des Buches aufgrund der Unmöglichkeit, in einem solchen alle Aspekte des Handbuchs zu bündeln. Dem entspricht eine starke Abbildungsarmut im Buch, ich zähle nur drei vor 1900 datierende Abbildungen. Das scheint mir in der Zeit eines "pictorial turn", oder wenigstens einer erneuten starken Hinwendung der historischen Wissenschaften zu Bildquellen eine leicht verpasste Chance. Ebenso wie ein kurz vor Drucklegung nicht mehr geliefertes Kapitel zum diplomatischen Personal bei diplomatischen Delegationen kann eine solche Lücke aber im Sinne des Handbuches vor allem als eine Aufforderung zu einer vertieften Hinwendung zu einer erneuerten Diplomatiegeschichte mit weiteren Themenfeldern angesehen werden. Hierfür bietet das vorliegende Handbuch eine hervorragende Grundlage.
Magnus Ressel