Rezension über:

Louis Van Tongeren / Gisela Gerritsen-Geywitz (eds.): The Liber Ordinarius of the Chapter Church of Saint Saviour at Utrecht . (Also Called Oldminster or St Boniface's) C. 1330-1340 (= Spicilegium Friburgenese; Vol. 52), Münster: Aschendorff 2022, 348 S., 4 Farb-Abb., ISBN 978-3-402-13823-6, EUR 54,00
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Rezension von:
Matthias Hamann
Regional-Priesterseminar für die Diözesen Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg, Erfurt
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Hamann: Rezension von: Louis Van Tongeren / Gisela Gerritsen-Geywitz (eds.): The Liber Ordinarius of the Chapter Church of Saint Saviour at Utrecht . (Also Called Oldminster or St Boniface's) C. 1330-1340, Münster: Aschendorff 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/10/38240.html


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Louis Van Tongeren / Gisela Gerritsen-Geywitz (eds.): The Liber Ordinarius of the Chapter Church of Saint Saviour at Utrecht

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Die Edition des Liber Ordinarius des Altmünsters in Utrecht hat einen sehr langen Weg bis zu ihrer Veröffentlichung nehmen müssen. Die Arbeiten an der Handschrift mit der Signatur OM 395 im Utrecht Archiv (niedrl.: Het Utrechts Archief - HUA) hat der Utrechter Musikwissenschaftler Kees Vellekoop begonnen. Als dieser 2002 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, übernahm seine einstige Mitarbeiterin Ike de Loos bis zu ihrem Tod 2010 die Arbeit an dessen unvollendeter Transkription. Nach Jahren der Unterbrechung hat nun der Liturgiewissenschaftler Louis van Tongeren in Zusammenarbeit mit der Mediävistin Gisela Gerritsen-Geywitz das Projekt abschließen können. Beide legen in der Reihe Spicilegium Friburgense die fertiggestellte Edition (91-278) vor. Dieser wird eine englischsprachige Einführung (11-88) vorangestellt und ein rekonstruiertes Kalendarium (279-299) sowie verschiedene Indices und Abbildungen (301-348) hinzugefügt.

Das erste Einleitungskapitel (11-21) gibt zunächst einen Abriss der Geschichte des St. Salvatorstiftes als Teil der Utrechter Kirchenfamilie und erläutert die Liturgie der Kanoniker. Dabei wird der aktuelle Forschungsstand ausgewertet. Die Ursprünge des Altmünsters gehen auf eine Gründung Willibrords im 7. Jahrhundert zurück. Der Missionsbischof errichtete damals im Bereich der Domfreiheit eine zweite Kirche für eine Mönchsgemeinschaft, die das Salvatorpatrozinium erhielt. Diese wird in den Quellen als vetus monasterium bezeichnet, wovon sich der Name Altmünster ableitet. In den reformatorischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts wurde die Kirche dann vollständig zerstört. Im 11. Jahrhundert waren im Stadtbereich drei weitere Kollegiatskirchen errichtet worden, die zusammen mit Dom und Altmünster eine Kirchenfamilie bildeten. Diese fünf Kirchen mit ihren angegliederten Kapiteln prägten eine "urban canonical liturgy" (16) aus, die als Ausdruck der Einheit der örtlichen Kirchengemeinschaft im 13. Jahrhundert in die Form einer "Bruderschaft" (confraternity) gefasst wurde. Aus dieser historischen Perspektive ordnen die Herausgeber anschließend die vorliegende Quelle in die aktuelle Libri-Ordinarii-Forschung ein (17-19). Das erste Kapitel wird abgeschlossen mit der Kontextualisierung des Codex in das bisher editierte Supplement Utrechter Ordinarien, bestehend aus Kathedralordinarius und dem Ordinarius des Stiftes Maria Maior (19-21).

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels (21-27) steht HUA, OM 395 als Handschrift: Der Codex wird sehr präzise unter kodikologischen und paläographischen Aspekten beschrieben. Die herausgearbeiteten Ergebnisse erlauben einen klaren Datierungsansatz: Der Hauptteil der Handschrift, der von zwei Händen stammt, kann auf 1330-1340 datiert werden. Zwei Lagen des Codex wurden erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts hinzugefügt und von einer dritten Hand beschrieben, die dem Schreiber Jacob van Dorsschen zugeordnet werden kann. Regeln und Gebräuche, die der Ordinarius festschreibt, gehen jedoch teilweise auf das 11. oder 12. Jahrhundert zurück. Hingewiesen wird auch auf zwei weitere handschriftliche Überlieferungen des Ordinarius im HUA unter den Signaturen OM 397 und OM 392, wobei neben OM 395 auch OM 397 bereits digitalisiert vorliegt.

Das dritte und umfangreichste Kapitel der Einleitung widmet sich schließlich der Liturgie des Altmünsters, wie sie der Liber Ordinarius darstellt. Dabei wählen die Herausgeber weder eine exemplarische Auswertung bestimmter liturgischer Themen oder einzelner gottesdienstlicher Feiern, noch ordnen sie den Liber Ordinarius in die bereits ediert vorliegenden Quellen ein. Vielmehr geben sie dem Leser einen Gesamtüberblick über den Inhalt des Codex. Dazu werden Formen und Ordnungen der Liturgie sowie die liturgischen Texte, Gesänge und Ausstattungen systematisiert und kategorisiert. Werden zunächst die Allgemeinen Kennzeichen (28-32) und der Aufbau (32-40) der Handschrift dargelegt, folgen im Anschluss Erörterungen sowohl zu den inhaltlichen Angaben des Ordinarius über die Tagzeitenliturgie (40-56) als auch zu den gar nicht so umfänglichen Angaben über die Messformulare (56-57). Auch die eingeteilten Dienste und die jeweiligen mitfeiernden Personengruppen, die im Ordinarius benannt sind, werden vorgestellt (57-60). Daraufhin widmen sich die Autoren umfänglich der Sakraltopografie (61-77). So rekonstruieren sie aus den Angaben des Liber Ordinarius eine Raumsituation des Altmünsters und widmen sich schließlich den zahlreich verzeichneten Prozessionen. Abschließend werden die beschriebenen liturgischen Eigenriten und Gebräuche (77-82), die Ausstattung mit liturgischen Textilien und Geräten (83-87) sowie die berücksichtigten musikalischen Aspekte der Liturgie am Altmünster (87-88) besprochen. Dieser sehr gut systematisierte Überblick gestattet es dem fachlich orientierten Leser, nun selbst die Besonderheiten des Liber Ordinarius im Vergleich zu anderen Quellen einzuordnen und die Edition der Handschrift ganz gezielt auf eigene Anliegen hin zu befragen und für die eigene Forschung auszuwerten.

Der zweite Teil des vorliegenden Bandes bietet sodann die eigentliche Textedition, die von Editionsregeln eingeleitet wird (89-90). Dabei machen die Herausgeber deutlich, dass ihre wesentliche editorische Prämisse darin liegt, das Schriftbild der Handschrift soweit als möglich zu erhalten, statt ihr eine moderne Form zu geben. Einige Anpassungen und Vereinheitlichungen lassen sich jedoch nicht vermeiden, werden jedoch behutsam vorgenommen. Die in der Edition verwendeten Abkürzungen und editorischen Kennzeichnungen werden aufgelistet. Eine Besonderheit der Handschrift sind die häufigen Zitate aus dem Rationale divinorum officiorum des Wilhelm Durandus von Mende. In der Edition werden diese Zitate durch ein besonderes Druckbild kenntlich gemacht. [1] Die Edition selbst erscheint verlässlich und exakt.

Der Codex HUA, OM 395 verfügt selbst über kein eigenes Kalendarium. Die Herausgeber haben deshalb ein solches rekonstruiert und der Edition angefügt (279-299). Dazu wurden aus den Angaben des Ordinarius die Bezeichnungen des liturgischen Tages sowie deren Rang, der in den Rubriken erwähnt wird, erhoben. Außerdem erfolgte die Übernahme der Sonntagsbuchstaben und der Tageszählung des römischen Kalenders. Ergänzt wird das Kalendarium um eine moderne Tageszählung. Die sieben kalendarischen Varianten der Adventszeit werden separat hintereinander angeführt. Auch für das Kalendarium wurde ein Abkürzungsverzeichnis erstellt.

Die Editionsausgabe wird im vierten Teil abgerundet durch hilfreiche Indices (301-343). Hier ist vor allem der Initien-Index (301-331) zu nennen, der sowohl biblische Referenzen als auch Verweise auf liturgische Quellen enthält. Es folgen der Personen- und Ortsindex (331-342) sowie der Index der Zitate aus dem Rationale divinorum officiorum des Wilhelm Durandus von Mende (343). Im abschließenden fünften Teil sind Fotografien von vier Seiten des Codex abgebildet (345-348).

Die Edition verdankt ihre wechselvolle Entstehung wichtigen Akteuren der Libri-Ordinarii-Forschung aus dem niederländischen Raum und markiert so ein breites Forschungsfeld. Alle an dieser Edition beteiligten Personen haben ihre persönliche Fachkompetenz eingebracht. Dieses interdisziplinäre Zusammenwirken bereichert die Edition und ihrer Einleitung ungemein. Für die Erforschung der Liturgiegeschichte der Stadt Utrecht konnte so eine wesentliche Quelle erschlossen werden. Gerade weil das Kirchengebäude der Altmünsters nicht erhalten ist, wird vor allem der historischen Forschung wichtiges Material bereitgestellt. Dem kommen die umfangreichen Ausführungen zur Sakraltopographie sehr entgegen. Der Hinweis auf das bereitgestellte Digitalisat des Codex auf der Homepage des Het Utrechts Archief mag die Arbeit an der Edition noch ergänzen und bereichern. Das jedenfalls trifft ganz die Intention der Herausgeber, die ihre Arbeit am Liber Ordinarius des Utrechter Altmünsters als hilfreichen Impuls für weitergehende Studien verstanden wissen wollen.


Anmerkung:

[1] In den Fußnoten angegeben wird jeweils die Referenzstelle aus folgender Edition: Anselme Davril / Timothy M. Thibodeau (eds.): Guillelmi Duranti Rationale divinorum officiorum, 3 vols. (CCCM, 140-140B), Turnhout 1995-2000.

Matthias Hamann