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Lara Track: Frieden und Frauenrechte im Kalten Krieg. »Women Strike for Peace« und die amerikanische Frauenrechtsbewegung im Spiegel transnationaler Kooperationen, 1961-1990 (= Historische Geschlechterforschung), Bielefeld: transcript 2024, 338 S., ISBN 978-3-8376-7093-6, EUR 50,00
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Rezension von:
Marianne Zepp
Berlin
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Marianne Zepp: Rezension von: Lara Track: Frieden und Frauenrechte im Kalten Krieg. »Women Strike for Peace« und die amerikanische Frauenrechtsbewegung im Spiegel transnationaler Kooperationen, 1961-1990, Bielefeld: transcript 2024, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 11 [15.11.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/11/39214.html


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Lara Track: Frieden und Frauenrechte im Kalten Krieg

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Am 1. November 1961 rief eine Gruppe von Frauen, die sich Women Strike for Peace (WSP) nannte, zu einem nationalen Protest gegen Atomwaffentests auf. Tausende Amerikanerinnen folgten diesem Aufruf. In den folgenden drei Jahrzehnten stand die WSP als nationales Netzwerk in allen Staaten der USA für weiblichen Protest gegen atomare Tests und Aufrüstung.

In Lawrence Wittners grundlegender Darstellung der Nuklearproteste erscheint die WSP als Teil der US-Protestkultur, ihre spezifische Rolle in der Mobilisierung der Mittelschicht und ihre internationale Ausrichtung wird allerdings nicht gesondert gewürdigt. [1] Jon Coburn wiederum unterzieht in seiner Dissertation das von den Aktivistinnen selbst propagierte, maternalistische (Selbst-)Bild der Bewegung einer kritischen Revision, verweist auf ihre Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit sowie auf innere Dynamiken und Spannungen. [2]

Hier setzt Lara Tracks Arbeit an: Sie verortet im vorliegenden Buch, hervorgegangen aus einer Dissertation an der Universität Heidelberg, die WSP ebenfalls in der Protestgeschichte der US-Gesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei stellt sie die Herkunft ihrer Protagonistinnen, ihre soziale und politische Zugehörigkeit, Organisationsform/en, Ziele und nicht zuletzt ihre Wandlungsfähigkeit über drei Jahrzehnte in den Mittelpunkt. Tracks Verdienst liegt allerdings vor allem in der umfassenden Darstellung der transnationalen Aktivitäten und ihrer Auswirkungen auf das Selbstverständnis der WSP.

Auch Track erstreckt die WSP als maternalistische Bewegung. Sie zeichnet nach, dass von Beginn an die Aktivistinnen Mutterschaft als Legitimation für ihr Engagement einsetzten. Die in der Forschung breit diskutierte Frage, inwieweit Mütterlichkeitsrhetoriken einer Bewegung Spielräume eröffnen, ihnen Legitimation verschaffen oder Geschlechterzuschreibungen und -rollen zementieren, untersucht die Autorin anhand der Strategien der WSP. Dabei konfrontiert sie diese mit der in den 1970er Jahren erstarkten Frauenrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten, die rechtliche und soziale Gleichstellung forderte und dem traditionellen Frauenbild eine Absage erteilte.

Um die Handlungsweise und politische Verortung der WSP zu kennzeichnen, zieht die Autorin drei Kriterien heran: Die WSP verstand sich als eine single issue-Bewegung. Organisationsform und Selbstverständnis waren die einer sozialen Bewegung, das heißt als ein Netzwerk mit minimalen Strukturen und ohne interne Hierarchien. Das entspricht der Definition, wie sie die soziale Bewegungsforschung in den letzten Jahren vorgelegt hat.

Welchen Begriff des Friedens hatten die Aktivistinnen und wie verorteten sie sich innerhalb der Antinuklear- und Antiaufrüstungsproteste? Welchen Stellenwert nahm die WSP ein bei der Neubewertung der politischen und sozialen Wirkungsgeschichte der Friedens- und Antinuklearbewegung im zeitlichen Ablauf des Kalten Krieges zwischen Systemkonkurrenz und Globalität?

Mit der Entscheidung, Kontakte zu dem Soviet Women's Committee aufzunehmen und zu einem relativ frühen Zeitpunkt (1962) eine Einladung in die Sowjetunion anzunehmen, positionierte sie sich im Kalten Krieg als unabhängige, einem ethischen Friedenskonzept verpflichteten Bewegung, die ihre Unparteilichkeit betonte.

In ähnlicher Weise definierte die WSP ihre Identität durch die Begegnung mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Wie die Autorin überzeugend darlegt, wurde durchaus eine Beteiligung schwarzer Aktivistinnen gewollt und gefördert, allerdings stellte die sozioökonomische Ausgangslage der Mehrzahl der schwarzen Frauen und ihr Kampf für rechtliche und soziale Gleichstellung Ausschlusskriterien dar, die diese von den Aktivistinnen des WSP als wohlsituierte Mittelstandsfrauen unterschied. Die Autorin kommt zum Schluss, dass zu diesem Zeitpunkt, in den 1960er Jahren, die Beschränkung auf die Frage der nuklearen Abrüstung die WSP nicht befähigte, intersektional einen erweiterten Friedensbegriff zu übernehmen.

Der Autorin gelingt es, die in den ersten Jahren bis Mitte der 1960er Jahre immer wieder betonten Konformitätsbehauptungen der weißen Mittelstandsfrauen in der WSP durch familiäre, persönliche und politische Biografien der Aktivistinnen zu widerlegen. Einige von ihnen waren Mitglieder der Kommunistischen Partei, worauf Track hinweist. Damit bewiesen die Aktivistinnen eine pragmatische und flexible Einstellung zu dem Maternalismus der ersten beiden Dekaden. Sie benutzten ihn als Machtressource, indem sie sich damit Kompetenzen zuschrieben und Zugangsmöglichkeiten zu öffentlichen Debatten einforderten.

Mit dem Vietnamkrieg setzte eine Phase der Radikalisierung ein. Durch die Zusammenarbeit mit nordvietnamesischen Frauenorganisationen, Reisen von Aktivistinnen nach Nordvietnam und ihrer Beteiligung an internationalen Antikriegskongressen (Jakarta 1965, Paris 1967) positionierte sich der WSP als radikale Friedenspartei innerhalb des US-amerikanischen Protestspektrums. Track stellt überzeugend dar, wie dieses internationale Engagement und die Begegnungen mit vietnamesischen Frauen den Blick von WSP-Aktivistinnen auf Weiblichkeit veränderten. Mit Erkenntnissen über die strukturellen und gesellschaftlichen Folgen des Krieges näherten sie sich der radikalen Frauenbewegung in den USA an.

In Ronald Reagans Amtszeit gelang es der WSP noch einmal, wirksamem Protest gegen die nukleare Aufrüstung zu neuer Blüte zu verhelfen. Der Protest von unten gegen das Star Wars-Programm, angeführt von Women's Action for Nuclear Disarmament, mobilisierte auch international den weiblichen Widerstand gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa. Mit der FREEZE-Kampagne, die unterschiedlichste Gruppen zusammenfasste, zielte man auf die Mitte der Gesellschaft über die eher im linken Spektrum agierenden Gruppen hinaus.

In den 1980er Jahren kam es zu weiteren Annäherungen zwischen der WSP und feministischem Pazifismus, der auch eine jüngere Frauengeneration bei der WSP aktiv werden ließ. Die These der bisherigen Forschung, die Differenz zur US-Frauenrechtsbewegung der 1970er und 1980er Jahre als generationellen Unterschied zu deuten, weist die Autorin zurück. Sie arbeitet die organisatorischen und ideologischen Differenzen präzise heraus. Die in den 1970er Jahren entwickelte erweiterte Definition von Weiblichkeit und Mütterlichkeit blieb auch in den 1980er Jahre handlungsleitend und führte zu einem erweiterten positiven Friedensbegriff. Damit weist die Autorin nach, dass die geschlechtlich verortete Performanz und das Selbstverständnis der Bewegung als mütterlich/weiblich auch radikale gesellschaftliche Positionen ermöglichten. Leider führt die Autorin diesen Befund theoretisch nicht weiter aus. War das Agieren der WSP als eine Vereinigung der Mütter eine Legitimierungsstrategie auf der einen Seite, während es andererseits ihre politische Reichweite und den Einfluss auf gesellschaftliche Strukturfragen verstellte?

Einschränkend ist anzumerken, dass die Analyse der Wirkungsgeschichte der immerhin über 30 Jahre aktiven Bewegung wenig Raum einnimmt. Besonders in der letzten Phase gelang es der WSP offensichtlich kaum, Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen. Sie blieben auch in dieser Phase auf eingeübte aktionistische Interventionen beschränkt, wie Track deutlich macht.

Die Langzeitwirkung gerade der transnationalen Aktivitäten der Frauenfriedensbewegung im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert auf die internationale Politik sieht die Autorin noch unterbewertet. Eine genauere Analyse dieses Einflusses bleibt sie allerdings schuldig. Das Radikalisierungspotential und die Interventionen gegen eine als patriarchal verstandene Ordnung, die auch der maternalistisch argumentierenden, ihren besonderen gesellschaftlichen Einsatz als Frauen und Mütter propagierenden Strategie des WSP zugrunde liegt, arbeitet Track hingegen genau heraus. Basierend auf dieser Analyse ist das Buch als ein wichtiger Beitrag zur feministischen Geschichtsforschung im Rahmen der Konflikt- und Friedensforschung zu werten.


Anmerkungen:

[1] Lawrence S. Wittner: Resisting the Bomb. A History of the World Nuclear Disarmament Movement, 1954-1970, Stanford 1997; Lawrence S. Wittner: Toward Nuclear Abolition: A History of the World Nuclear Disarmament Movement, 1971 to the Present, Stanford 2003.

[2] Jon Coburn: Making a Difference. The History and Memory of "Women Strike for Peace", 1961-1990, Northumbria 2015.

Marianne Zepp