Rezension über:

Sabine Fees: Das päpstliche Corporate Design. Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden im hohen und späten Mittelalter (= Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde; Beiheft 21), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023, 384 S., ISBN 978-3-412-52815-7, EUR 65,00
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Rezension von:
Daniel Berger
Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Berger: Rezension von: Sabine Fees: Das päpstliche Corporate Design. Quellen zur äußeren Ausstattung von Papsturkunden im hohen und späten Mittelalter, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 1 [15.01.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/01/38770.html


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Sabine Fees: Das päpstliche Corporate Design

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Sabine Fees' Dissertation fügt sich ein in eine Reihe jüngerer Qualifikationsschriften, welche die formale Entwicklung mittelalterlicher Papsturkunden in den Blick nehmen. [1] Die Arbeiten behandeln aus unterschiedlicher Schwerpunktsetzung die Organisation und Ausdifferenzierung des päpstlichen Urkundenwesens, mithin die Entwicklung der päpstlichen Kanzlei, deren Leistungsfähigkeit im Hoch- und Spätmittelalter diejenige aller anderen Kanzleien übertraf. Die ab dem 12. Jahrhundert stark zunehmende Zahl überlieferter Papsturkunden zeugt dabei von der wachsenden Anerkennung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats und von der allgemeinen Ausrichtung der lateinischen Christenheit auf die römische Kirche. Das Thema ist somit auch jenseits diplomatischer Spezialinteressen von einiger Relevanz.

Die zu besprechende Arbeit wurde vom allzu früh verstorbenen Marburger Mediävisten und Kanzleiexperten Andreas Meyer betreut. Ihr Untersuchungsgegenstand sind sämtliche überlieferten Quellen, in denen Vorschriften und Vorgaben zur äußeren Gestaltung von Papsturkunden zu finden sind. Der Verfasserin geht es also nicht um die Entwicklung des Urkundenformulars, sondern um das zunehmend standardisierte Erscheinungsbild der päpstlichen Urkundentypen (litterae, Privilegien, Bullen). Der zeitliche Rahmen der Arbeit wird vom Überlieferungsbefund vorgegeben und erstreckt sich vom 12. bis ins 15. Jahrhundert.

Die Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt, deren erste drei relativ knapp gehalten sind und hinführenden Charakter haben. Fees resümiert darin den aktuellen Forschungsstand, skizziert die Entwicklung der päpstlichen Kanzlei (Urkundenarten, Geschäftsgang, Personal) und stellt die ältesten, kurienfernen Quellen zur Urkundengestaltung vor. Bei diesen handelt es sich um in Frankreich und Norditalien entstandene artes dictandi, die wie schon der Prototyp dieser Gattung, das Breviarium de dictamine Alberichs von Montecassino (gestorben 1094/99), Angaben zur äußeren Gestalt päpstlicher Privilegien beinhalten. In späteren, an der Kurie selbst bzw. im kurialen Umfeld entstandenen artes dictandi sind vergleichbare Urkundenlehren nicht mehr zu finden, wohl weil man nun auf andere Textgattungen bzw. Texte zurückgreifen konnte, in die solche Regelungen integriert waren.

Diese kurialen Quellen, die Fees vorsichtig unter dem Begriff "Regularien" (16) zusammenfasst, um dem Eindruck entgegenzutreten, es handele sich dabei um vom Papst "offiziell approbierte Regelwerke und normative Vorschriften" (17), untersucht das vierte Kapitel, das sich schon aufgrund seines Umfangs (55-323) als eigentliches Kernstück der Arbeit erweist. In ihm leistet die Verfasserin echte Grundlagenarbeit, indem sie für jede Urkundenart die in sehr unterschiedlichen Kontexten (Formelsammlungen, Zeremonienbücher, Kanzleiordnungen, Prozessordnungen ...) überlieferten Regularien zusammenstellt, nach der jeweiligen Autorschaft und dem Rezipientenkreis (Skriptoren, Abbreviatoren, sonstige Kanzleimitarbeiter) fragt und Überlegungen zur Intention und Funktion der Texte anstellt. Im Anschluss werden für jeden Urkundentyp die inhaltlichen Entwicklungen in den Gestaltungsregeln präzise beschrieben, wobei unter anderem deutlich wird, dass zeitlich gesehen Änderungen bei den äußeren Merkmalen weniger mit Pontifikatswechseln zusammenfallen, sondern eher entlang der Amtszeiten von Kanzleileitern bzw. Vizekanzlern zu beobachten sind. Dementsprechend unterstreicht Fees, dass die Päpste "nach Ausweis der untersuchten Quellen vom 13. bis in das 15. Jahrhundert zu keiner Zeit direkten Einfluss auf die äußere Erscheinung ihrer Urkunden" nahmen (332).

Auch bei der Frage nach der causa scribendi der Texte - als Beispiel seien hier die Vorgaben in der Vulgataredaktion des Formularium audientiae hervorgehoben - kann Fees unter Berücksichtigung des allgemeinen historischen Kontexts plausible Erklärungen für deren Entstehung anbieten. Deutlich wird, dass die Verschriftlichung oftmals in Zeiten (drohender) personeller und/oder lokaler Diskontinuität stattfand (häufige Wechsel in der Kanzleileitung unter Bonifaz VIII.; Umsiedlung der Kurie nach Avignon im frühen 14. Jahrhundert; Rückkehr nach Rom Ende des 14. Jahrhunderts) sowie in für das Papsttum allgemein unsicheren Phasen wie der mehrjährigen Sedisvakanz nach dem Tod Clemens' IV. (1268), während der der Kanzleibetrieb stark eingeschränkt war. Es zeigt sich so, dass die Abfassung der meisten Regeln weniger normierenden als kodifizierenden Charakter hatte, in dem Sinne, dass dadurch bereits eingeübte Gewohnheiten schriftlich fixiert wurden und Praxiswissen über unsichere Zeiten hinweg tradiert wurde. Nur in seltenen Fällen (Kanzleiordnungen) handelt es sich um Vorschriften, die wirkliche Neuerungen einführten.

Bemerkenswert erscheint die an verschiedenen Stellen der Untersuchung zu gewinnende Erkenntnis, dass die Standardisierung der äußeren Merkmale vornehmlich dem Zweck diente, die Dokumente fälschungssicher zu machen bzw. Fälschungen leichter erkennen zu können. Dies zeigt sich schon bei den ältesten der von Fees behandelten Texte, den Fälscherkonstitutionen Innocenz' III. aus der Zeit um 1200, mit denen die Anbringungsart und die Gestaltung der päpstlichen Bleibulle (u.a. Anzahl der Punkte auf dem Siegelbild) als Echtheits- bzw. Fälschungskriterien propagiert wurden. Authentizität und Rechtssicherheit können so als zentrale Motive hinter der Normierung des äußeren Erscheinungsbildes benannt werden. Vor diesem Hintergrund mag man sich vielleicht fragen, ob der für den Buchtitel gewählte Begriff des 'Corporate Design', der aus dem Bereich der Wirtschaft stammt und auf das Erscheinungsbild von Unternehmen abzielt, nicht zu falschen Assoziationen führen kann. In jedem Fall ist der Verfasserin für ihre klar und konzise geschriebene Studie sehr zu danken. Mit ihr wurde eine Forschungslücke gefüllt und der Boden bereitet, um die Entwicklung des Urkundenformulars und der äußeren Merkmale der Papsturkunden in Zukunft zusammen zu betrachten.

Anmerkung:

[1] Judith Werner: Papsturkunden vom 9. bis ins 11. Jahrhundert. Untersuchungen zum Empfängereinfluss auf die äußere Urkundengestalt (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge; 43), Berlin / Boston 2017; Benjamin Schönfeld: Die Urkunden der Gegenpäpste. Zur Normierung der römischen Kanzleigewohnheiten im 11. und beginnenden 12. Jahrhundert (= Papsttum im mittelalterlichen Europa; 7), Köln / Weimar / Wien 2018; Benedikt Hotz: Litterae apostolicae. Untersuchungen zu päpstlichen Briefen und einfachen Privilegien im 11. und 12. Jahrhundert (= Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft; 9), München 2018.

Daniel Berger