Björn Forsén / Antti Lampinen (eds.): Oriental Mirages. Stereotypes and Identity Creation in the Ancient World (= Oriens et Occidens. Studien zu antiken Kulturkontakten und ihrem Nachleben; Bd. 42), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024, 344 S., 13 Farb-Abb., ISBN 978-3-515-13672-3, EUR 62,00
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Der hier zu besprechende Sammelband stellt in erster Linie die Publikation der Beiträge einer Konferenz dar, die die beiden Herausgeber Björn Forsén und Antti Lampinen 2019 unter dem Titel "Creating and Strengthening Identities: Greek and Roman Stereotypes of the East" für das Finnish Institute at Athens organisiert hatten. Allerdings fehlen gegenüber der Tagung im Band Anca Dan und Emma Dench, während Texte von zwei Forschern zusätzliche Aufnahme gefunden haben, die nicht an der Tagung teilgenommen hatten (Omar Coloru und Dominique Lenfant).
Als intellektuellen Ausgangspunkt des Bandes geben die Herausgeber in Edward Saids "Orientalism" von 1978 an, der festgestellt hatte, dass sich westliche Konstruktionen des 19. Jhds. vom Orient inhaltlich ganz erheblich mit denen überschnitten, die schon die griechisch-römische Antike hervorgebracht hatte, wonach Orientale exotisch, rückständig, unzivilisiert, degeneriert und gefährlich seien.
Saids Ansichten betrachten die beiden jedoch mit Recht als unterkomplex und unvollständig, weswegen sie um Aspekte wie etwa die lange Konfliktgeschichte im und um den 'Mittleren Osten' oder auch die ähnlich lange Tradition bewundernder, mitunter neidischer westlicher Perspektiven auf den Orient mit seinen uralten Hochkulturen zu ergänzen seien. Vor diesem Hintergrund wenden sich Forsén und Lampinen mit ihrem Band dann einer näheren Untersuchung der "Greek and Roman stereotypes of the East", aber auch der entgegengesetzten Blickwinkel zu.
Die zehn Beiträge, die sich dem Preface anschließen, sind thematisch geordnet, jedoch nicht explizit in Sektionen unterteilt. Der Aufsatz "Barbarians and Empire: Greek and Roman conceptions of the East", den die beiden Herausgeber gemeinsam verfasst haben, weist einen stark einführend-überblickshaften Charakter auf. Entsprechend finden sich darin Kurzabrisse der Forschungsgeschichte und der ereignisgeschichtlichen Entwicklung west-östlicher Kulturkontakte von der späten griechischen Archaik bis in die Zeit der sog. Adoptivkaiser, Überlegungen zu den gängigsten Stereotypien, zum sozialwissenschaftlichen Konzept der In- und Outgroups, sowie zur Frage, wie das wissenschaftliche Erbe Edward Saids überwunden werden könne.
Joseph Skinner wendet sich dann den Zusammenhängen zwischen griechischem Söldnerwesen im Osten, der Herausbildung von gegenseitigen Stereotypen und der Formierung griechischer Identität in archaischer Zeit zu. Er konstatiert, dass das erstere in der Tat ein wichtiger Faktor für die beiden letzteren gewesen sei, was jedoch in weitaus größere Entwicklungslinien und Diskurstraditionen einzuordnen sei.
Kostas Vlassopoulos befasst sich mit dem "Barbarian Repertoire" und dessen bildlicher Vermittlung um 500 v.u.Z. Wie er zurecht betont, lassen sich in dieser Hinsicht keine eindeutigen allgemeinen Tendenzen oder gar einfache Narrative feststellen bzw. erzeugen. Vielmehr erfordere die komplizierte und heterogene Lage der Befunde ein ganz neues "methodological framework", um adäquat erforscht werden zu können.
Thomas Harrisons Beitrag geht dem Thema "Greek Religion and the Other" nach. Dabei stellt er fest, dass die mitunter stark abwertende Stereotypie, mit der Griechen der Antike die Religiosität anderer Völker darstellten, schlecht vereinbar sei mit Narrativen, die antike Polytheismen als wechselseitig kompatibel und geradezu als Vehikel der Völkerverständigung lobpreisen.
"Gratuitous Sex and Senseless Violence? The Oriental Queen as the Absolute Other" von Elena Pyy ist dem literarischen Bild hellenistischer Königinnen gewidmet. Anhand von fünf Fallstudien von Olympias bis Kleopatra VII. arbeitet sie heraus, dass diese seit Augustus immer stärker zu literarischen Verkörperungen 'animalischer' Aspekte des Menschseins geraten: Sexuelle Unersättlichkeit, Inzest, Kindsmord und Mordlust werden so zu narrativen Charakteristika dieser Königinnen, die römischen Lesern damit als "the Absolute Other" erscheinen konnten.
Omar Colorus Beitrag "Indians in the Graeco-Roman World: A Stereotype of Otherness" befasst sich mit dem Bild der Bewohner des indischen Subkontinents in der griechisch-römischen Antike. Er stellt heraus, dass die Feldzüge Alexanders 'des Großen' insbesondere die Vorstellung vom 'weisen Gymnosophisten' hervorbrachten. Allgemein gesprochen sei das Bild Indiens in der antiken Mittelmeerwelt aber erstaunlich stabil und topisch geblieben.
Antti Lampinen untersucht in seinem Beitrag "Galatae between Northern and Eastern Stereotypes: Methods, Motives and Motifs of 'Orientalisation'" Vorstellungen von den kleinasiatischen Galatern zwischen 'nord-' und 'ostbarbarischen' Topoi. Diesen sei das Schicksal zuteil geworden, in der griechisch-römischen Literatur zwar mitunter als 'orientalisierte Barbaren' präsentiert zu werden, ohne jedoch mit den entsprechenden positiven Charakteristika bedacht zu werden.
Im Artikel "Stereotypes, Cultural Identities and Code-Switching: Polybius' and Livy's Portrayals of Antiochus IV" beschäftigt sich Jasmin Lukkari mit der Darstellung des Antiochos IV. bei Polybios und Livius im Hinblick auf die jeweils verfolgte narrative Strategie. Während Polybios den Monarchen als geisteskranke Karikatur eines romanisierten Griechen präsentiere, verfolge Livius das Bild eines zum allseitigen Nutzen an der römischen Kultur teilhaftig gewordenen Königs, was bei beiden stark durch persönliche Erfahrungen und Zeitumstände beeinflusst sei.
Dominique Lenfant schreibt mit "A Persian Seraglio in a Greek Novel? Chariton's Callirhoe and Modern Stereotypes on the Orient" gegen Edward Saids These von der engen Verwandtschaft antiker und moderner Stereotypen vom Orient an. Dazu untersucht er insbesondere Charitons Roman Kallirhoe bezüglich des Konzepts des Harem, das dort trotz anderslautender moderner Interpretationen nicht enthalten sei. Entsprechend endet sein Beitrag mit einem berechtigten Aufruf gegen die Überbetonung der Kontinuitäten antiker zu modernen Orientbildern.
Ein zweiter Artikel von Antti Lampinen beschließt den Inhaltsteil ("Explaining the East: Forming and Applying Eastern Stereotypes in the Graeco-Roman Tradition"). Darin wird in diachroner Perspektive untersucht, inwieweit und wie "the Graeco-Roman tradition tended to justify and reify the stereotypes concerning the East and its peoples from the Classical era to the Roman Imperial period" (279), wodurch der Beitrag offenbar ein echtes Fazit des Bandes ersetzen soll. Ein Index nominum sowie ein Index locorum beschließen das Buch.
Auf inhaltlicher Ebene wirkt der Sammelband nachvollziehbar gegliedert, sinnvoll koordiniert und passend durch Lampinens 'Hybridfazit' in Kontext gesetzt. Man mag sich indes an der eher unzureichenden Aufarbeitung deutschsprachiger Forschung stören. So finden etwa die thematisch einschlägigen Monographien von Holger Sonnabend oder Fuad Alidoust keinerlei Erwähnung. [1] Doch angesichts der generell starken Ausrichtung auf angelsächsische Forschungstraditionen, wie sie ja etwa auch im Bezug auf Saids "Orientalism" zum Ausdruck kommt, verwundert dies kaum. Ungeachtet dessen handelt es sich aber um einen durchaus empfehlenswerten Band, dessen Beiträge wenigstens teilweise geeignet sind, der Fachwelt neue Impulse zu geben.
Anmerkung:
[1] Holger Sonnabend: Fremdenbild und Politik. Vorstellungen der Römer von Ägypten und dem Partherreich in der späten Republik und frühen Kaiserzeit (Europäische Hochschulschriften; III/286), Frankfurt/M. / Bern / New York 1986; Fuad Alidoust: Natio molestissima. Römerzeitliche Perserbilder von Cicero bis Ammianus Marcellinus, Gutenberg 2020.
Jonas Scherr