Martin Buchsteiner / Michael Busch (Hgg.): "Prelaten Manne Unde Stede". Aspekte ständischer Herrschaft im nördlichen Deutschland (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg. Reihe B Neue Folge: Schriften zur mecklenburgischen Geschichte; Bd. 9), Rostock: Schmidt-Römhild 2024, 384 S., ISBN 978-3-7950-3767-3, EUR 34,90
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Um es gleich eingangs klarzustellen: Der Untertitel könnte falsche Erwartungen wecken, es geht in diesem Band vor allem um Mecklenburg. Er ist die Dokumentation einer Tagung der Historischen Kommission für Mecklenburg, die am 15. und 16. September 2023 aus Anlass der 500. Wiederkehr der Gründung der Union der Landstände Mecklenburgs stattfand. Die beiden Unionsurkunden von 1523 sind Anlass und Ausgangspunkt der zusammengetragenen 14 Forschungsbeiträge, die nun in der Tat Aspekte ständischer Herrschaft auch anderswo erfassen: Im Erzstift Bremen (Michael Ehrhardt), in den Herzogtümern Bremen und Verden in der Schwedenzeit (Beate-Christine Fiedler), im Königreich Westphalen (Martin Knauer). Der abschließende Beitrag von Michael Busch über Theorie und Praxis ständischer Regierungsbeteiligung schlägt souverän und kenntnisreich einen Bogen von Althusius in Emden und seinen staatstheoretischen Überlegungen über den verfassungsrechtlichen Diskurs im 17., 18. und 19. Jahrhundert bis hin zu letzten ständischen Elementen in der Verfassung des Freistaates Bayern in Form der Zweiten Kammer, des Senats, die erst 1999 per Volksentscheid abgeschafft wurde. Hier wird eine Gesamtschau versucht, die über norddeutsche Aspekte ständischer Herrschaft weit hinausgeht, Württemberg thematisiert, Schweden als Ausnahme erwähnt wegen der Einbeziehung von Bauern in die Landstände und den Österreicher Othmar Spann im 20. Jahrhundert als Vordenker der faschistischen Bewegungen in Österreich, Italien, Spanien und Portugal. Damit gelingt die Einbettung der zunächst eher speziellen Tagungsthematik in die deutsche und europäische Geschichte.
Die Einpassung Mecklenburgs in einen größeren Rahmen vollzieht Oliver Auge schon in seinem wichtigen Eingangsreferat "Mecklenburg und das Reich um 1500", in dem mit Recht auf die prägenden Jahre verwiesen wird, die Herzog Heinrich V. am Hof Maximilians verbrachte. Die Aussage, Heinrich habe Maximilians Interesse an Memoria und Genealogie imitiert (31), geht dennoch etwas zu weit - für eine Nachahmung der königlichen Interessen fehlten in Mecklenburg einfach die Mittel. Schade, dass man die schönen Bildvorlagen der Herzöge der Zeit nur Schwarzweiß wiedergegeben hat, und die Bildunterschrift zum bekannten Porträt Heinrichs V. von 1507 (17) sollte ihn nicht als "Jüngling" bezeichnen: Er war immerhin 28 Jahre alt und Ehemann.
Mit den Unionsurkunden und ihren Untersieglern setzt sich der erfahrene Landeshistoriker Ernst Münch auseinander und liefert im Anhang auch die Texte der beiden Urkunden und Verzeichnisse der Untersiegler. Die Urkunden waren eine Zäsur in der mecklenburgischen Verfassungsentwicklung und werden gemeinhin als Geburtsurkunden der landständischen Verfassung des Landes angesehen (36). Ein 23-köpfiger ständischer Rat wird benannt (38), aus dem später der Engere Ausschuss hervorging, der neun Mitglieder zählte (45). Münch weist darauf hin, dass die Johanniterkomture nicht als Prälaten aufgeführt werden, sondern zur adeligen "Mannschaft" zählen, das an sich reichsunmittelbare Bistum Schwerin wird de facto als Landstand behandelt (42). Die Prälaten als mit Ehrenvorrang in der Unionsurkunde zuerst genannter Stand thematisiert Robert Harlaß. Sie schieden mit der Reformation aus der Union der Stände aus.
Mit der Geschichte der Ritterschaftlichen Ämter in ihrer Doppelfunktion als obrigkeitliche Organe und als Organe der kommunalen Selbstverwaltung (101) beschreitet Martin Buchsteiner ein weitgehend unbeackertes Forschungsfeld und vermittelt Einblicke in das Funktionieren der ständischen Verwaltung vor Ort. Amtskonvente fanden zweimal im Jahr statt, Amtsumlagen sind seit 1675 nachzuweisen. 1855 wurden die Zuständigkeiten auf kommunale Belange beschränkt (117). Bei Wahlen muss man persönlich anwesend sein, Briefwahl gibt es nicht. Die gewählten Deputierten vertreten ihre Ämter auf Kreis- und Landeskonventen, die Einnehmer fordern jährlich die Kontribution ein, müssen Briefbücher führen und die Akten in Ordnung halten (129). Buchsteiner hat nützliche Listen der Deputierten und Einnehmer der 21 Ritterschaftlichen Ämter erarbeitet und fügt diese als Anhang dem Beitrag bei, der einen substantiellen Gewinn für die Landesgeschichte darstellt.
Ähnliches gilt für die Untersuchung der Dirigierenden Landräte 1755-1918 von Bernd Kasten. Der Dirigierende Landrat übt nach 1819 Einfluss aus, weil er die Tagesordnung des Landtags bestimmt. Entscheidend bleibt bis zum Ende der Monarchie und des ständischen Landtags immer das Plenum.
Eine Besonderheit der mecklenburgischen Verfassungswirklichkeit stellt das Fürstentum Ratzeburg dar, das Reno Stutz thematisiert. In Ratzeburg gab es keine Leibeigenschaft, die Ratzeburger nahmen am ständischen Landtag nicht teil. Als ihnen 1869 eine Verfassung vom Landesfürsten oktroyiert wurde, reagierten sie mit bemerkenswerter Eigensinnigkeit: Wahlen wurden zwar durchgeführt, aber die Kandidaten versicherten vorab, dass sie unter den gegebenen Umständen ihr Amt nicht wahrnehmen und den Landtag nicht beziehen würden. Dieser Boykott wurde bis 1906 durchgehalten, bis eine verbesserte Verfassung den Abgeordneten mehr Rechte einräumte.
Weitere Themen zum Mecklenburger Landtag betreffen die Eröffnung des Landtags auf dem Judenberg bei Sternberg (René Wiese), die Landtagsuniform, die nur den adeligen, nicht den bürgerlichen Gutsbesitzern zustand (Jakob Schwichtenberg) und das Archiv der Ritter- und Landschaft (Kathleen Jandausch), bei dessen Überführung in das Staatliche Archiv 1924 sich der letzte Archivar das Leben nahm.
Bleibt noch der Hinweis auf zwei Beiträge, die besondere Quellen in den Vordergrund rücken: Torsten Fried beschreibt den Einsatz einer Medaille im Ständekampf 1718, der im Reich auf weite mediale Resonanz traf (307). Die Enteignung zahlreicher Güter durch Herzog Karl Leopold wurde visualisiert durch einen Bienenschwarm, der seinen Korb verlässt. Der Herzog ließ eine Gegenmedaille entwerfen, die aber nicht realisiert wurde. In Württemberg wurde eine Bienenkorb-Medaille geprägt als Zeichen der Verankerung der Stände im Staat (313). 1695 feierte eine Medaille die Huldigung des brandenburgischen Kurfürsten durch die ostfriesischen Stände.
Der Beitrag zu den Ständen im Königreich Westphalen (Martin Knauer) ist wohl als Kontrastprogramm zu den Verhältnissen in Mecklenburg aufgenommen. Die gewählten Stände trafen sich zweimal, 1808 und 1810, in dem Königreich, das nur sechs Jahre Bestand hatte. Die historische Bildinterpretation, Knauers Spezialität, steht auf verlorenem Posten, wenn ohne Lupe nicht zu erkennen ist, was beschrieben wird. Ein Historiengemälde im Format 180 x 360 cm verliert als Bildquelle seinen Reiz, wenn es, bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft, im Format 5,5 x 11,5 cm und in Schwarzweiß auf einer halben Buchseite erscheint. Das ist ausgesprochen unglücklich.
Dennoch: Der vielfältige Tagungsband ist ein Gewinn. Er rückt nicht nur die besondere ständestaatliche Tradition Mecklenburgs erneut in das öffentliche Bewusstsein, er leistet wichtige landesgeschichtliche Forschungsarbeit auf dem Feld und regt das Nachdenken und die Diskussion über alte Fragen an: Ist ständische Partizipation an der Macht für die staatliche Entwicklung negativ oder letztlich doch positiv zu bewerten? Hatten die ständischen Landtage eine Vorläuferfunktion für den modernen repräsentativen Parlamentarismus oder (gar) nicht? Die Antworten waren in der Vergangenheit kontrovers und werden es bleiben, können aber der Forschung neue Impulse geben.
Andreas Röpcke