Rezension über:

Thomas Zeller: Consuming Landscapes. What We See When We Drive and Why It Matters, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2022, 248 S., 36 s/w-Abb., ISBN 978-1-4214-4482-6, USD 55,00
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Rezension von:
Fabienne Will
Deutsches Museum, München
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Fabienne Will: Rezension von: Thomas Zeller: Consuming Landscapes. What We See When We Drive and Why It Matters, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2022, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 3 [15.03.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/03/37932.html


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Thomas Zeller: Consuming Landscapes

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Autofahren ist seit jeher ein visuelles Erlebnis. Auch heute noch ist die Windschutzscheibe der Rahmen, der den sichtbaren Ausschnitt der vorbeiziehenden landschaftlichen Szenerie vorgibt. In Consuming Landscapes untersucht Thomas Zeller das Autofahren als konstruierte visuelle Erfahrung und zeigt, wie eng Technik-, Mobilitäts-, Umwelt-, Landschafts- und Sozialgeschichte dabei verflochten sind. Die Ausführungen basieren auf umfangreich gesichtetem Quellenmaterial, das sowohl für den us-amerikanischen als auch für den deutschsprachigen Raum aus nationalen sowie den relevanten regionalen und lokalen Archiven zusammengetragen wurde. Eingebettet in die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der Verbindung von Bewegung und Szenerie ergänzt Zeller auf gut 180 Seiten die rein infrastrukturhistorische Perspektive auf Straßen durch den Blick auf deren szenische Konstruktion und Wirkung als umweltgebundene Kunstwerke. Das Konzept der "roadmindedness" führt die Rezipierenden dabei durch das Buch. "Roadmindedness was built on the simple yet powerful belief that roads had intrinsic value; perhaps the most important attribute of roadmindedness was to make their utility and cultural worth self-evident" (24).

Beginnend mit der Zwischenkriegszeit nimmt Zeller in vergleichender Perspektive die USA und (West-)Deutschland in den Blick und zeichnet in insgesamt vier Kapiteln Absichten, Argumentationslinien und Kooperationen zwischen Ingenieuren, Landschaftsarchitekten und Regierungen sowie daraus resultierende Konflikte unter den verschiedenen am Straßenbau beteiligten oder davon betroffenen Akteursgruppen über das 20. Jahrhundert hinweg nach, wobei der Schwerpunkt auf den 1920er und 1930er Jahren liegt. Dabei rekonstruiert er, wie die in den 1920er Jahren als Verbindung von Mensch und Natur durch Technik gefeierten inszenierten Straßen, die nicht selten Produkte einer Kultur der Glorifizierung national aufgeladener Landschaften waren, über das 20. Jahrhundert hinweg zum Sinnbild für Umweltzerstörung wurden und sich in der Folge zu Objekten der Verurteilung entwickelten. Er illustriert dabei auf eindrückliche und überzeugende Weise, "how one generation's solution to environmental questions can end up as the next generation's problem" (180), und adressiert damit ein Spannungsverhältnis, das auch in gegenwärtigen intergenerationellen Diskussionen um die globale Umweltkrise wiederholt hervortritt.

Das erste von vier Kapiteln mit dem Titel Roads to Nature führt in die internationale Bewegung der roadmindedness ein. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln, dem von Ingenieuren, der Politik und nationalen Institutionen wie etwa dem National Park Service, analysiert Zeller, wie Straßen als komfortablere und sauberere Alternative zu Eisenbahnstrecken konstruiert wurden und wie ihnen die gezielt inszenierte Verbindung mit einer neuen Art von mobilen Landschaften zum Siegeszug verhalf. Insbesondere die Schweiz, die zur Ankurbelung des Tourismus mit ihrem alpinen Straßennetz vergleichsweise früh den erhabenen Blick von oben in die Berg- und Tallandschaft forcierte, diente sowohl für die USA als auch für Deutschland nicht nur als ästhetisches Vorbild, sondern war auch Referenzpunkt im straßenbaulichen Wettstreit zwischen den USA und Europa. Zeller zeigt eindrücklich, dass die Fortbewegungsgeschwindigkeit in der Frühphase des Straßenbaus dem Ziel, den Automobilfahrenden eine tiefe und bewegende immersive Erfahrung in die Natur zu ermöglichen, nachgeordnet war.

Im zweiten Kapitel, Roads to Power, zeichnet Zeller Exklusionsprozesse nach, die sowohl in den USA als auch im Deutschland des Dritten Reiches mit der Nutzung von Straßen verbunden waren. Entlang des Wirkens zweier prominenter Landschaftsarchitekten, dem Amerikaner Gilmore D. Clarke und dem Deutschen Alwin Seifert, die während des Ersten Weltkrieges in Frankreich mit der Konstruktion militärischer Infrastrukturen betraut waren, rekonstruiert Zeller in transatlantischer Perspektive die verblüffend ähnlichen Zielvorstellungen: die Inszenierung von Straßen, insbesondere von Alleen und Autobahnen, in der us-amerikanischen Demokratie einerseits und der nationalsozialistischen Diktatur andererseits. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf Exklusionsprozessen. Während in den USA etwa Immigranten für den Bau von Alleen umgesiedelt wurden, war es Juden in Deutschland seit 1938 verboten, mit dem Auto zu fahren. Das Motiv der Exklusion greift das vierte Kapitel erneut auf: "By design, African Americans were planned to be segregated from white visitors at restrooms, campgrounds, and restaurants" (152). Damit gelingt es Zeller, einen bisher noch immer zu häufig vernachlässigten Teil technikhistorischer Realitäten explizit zu machen.

Im Zentrum der Analyse des dritten Kapitels, Roads in Place, stehen der 1936 eingeweihte Blue Ridge Parkway, der entlang der Gebirgskette der Appalachen von Virginia und North Carolina verläuft, sowie die Deutsche Alpenstraße, deren Bau 1933 begonnen, aufgrund ihrer starken nationalsozialistischen Konnotation jedoch nie fertiggestellt wurde. Dieses Kapitel zeichnet insbesondere die Nationalisierung und Politisierung szenischer Straßenkonstruktion nach. Beide Phänomene waren eng verbunden mit dem sich intensivierenden Tourismus, der zu einem zunehmenden wirtschaftlichen Faktor aufstieg und die Erschaffung konsumierbarer Landschaften weiter befeuerte. Dabei wird deutlich, dass trotz der politisch gegenläufigen Realitäten zwischen den beiden Ländern im Bereich der landschaftlichen Inszenierung von Straßen weiterhin enge Verflechtungsprozesse bestanden, und Deutschland über die Kriegsjahre hinweg ein Referenzpunkt für die USA blieb, die sich insbesondere vom "scale of German roadbuilding" (112) beeindruckt zeigte. Auf praktischer Ebene traten dennoch offenkundige Unterschiede hervor: Während Unstimmigkeiten und Kontroversen um die Konstruktion des Blue Ridge Parkway offen ausgetragen wurden, erstickte das nationalsozialistische Regime jeden Anflug von Kritik an der Deutschen Alpenstraße im Keim.

Die angeklungenen Gegenreaktionen sind zentraler Bestandteil des vierten und letzten Kapitels, Roads out of Place. Hierzu zählen sowohl die in den USA bereits in den späten 1930er Jahren aktive Truck-Bewegung, die sich für ein nationales Highway-System aussprach, das anders als die glorifizierten Alleen die historische Funktion von Straßen als Transportwege wieder in den Mittelpunkt rücken sollte, als auch die globale Umweltbewegung, die ausgehend von den USA - zu denken sei hier an den Sierra Club oder die Wilderness Society - auch in globaler Perspektive in den frühen 1960er Jahren zunehmend Fahrt aufnahm. "For environmentalists from the 1960s onward, cars and roads stood for everything that was wrong with modern society" (137). Spannungen dieser Art verbanden sich mit sozialen Fragen und entluden sich innerhalb der USA schließlich in den sogenannten "Freeway Revolten", die letztlich in der Begehung des ersten Earth Day im Jahr 1960 kulminierten. Trotz in transatlantischer Perspektive vergleichbarer Phänomene hatte man im Nachkriegsdeutschland der 1950er und 1960er Jahre vorerst andere Prioritäten. So galt es, das Prestigeprojekt der Deutschen Alpenstraße ebenso wie die Autobahnen, während des Nationalsozialismus vielfach zu Propagandazwecken genutzt, von ihrem Image zu befreien. Der Besitz eines Automobils wurde zum Prestigeobjekt der Individualisierung stilisiert, "[t]rying to strip the autobahn of its Nazi heritage, they stressed the capitalist values of moving freight quickly, and the personal freedom of the road in a liberal democracy" (142).

Mit Consuming Landscapes hat Thomas Zeller ein Buch vorgelegt, das der bisherigen technikhistorischen Betrachtung von Straßen eine Enviro-Tech-Perspektive an die Seite stellt, die eine instruktive Ergänzung etablierter Narrative bietet. Das Buch leistet zweifelsohne einen wichtigen Beitrag für das Feld der Infrastructure Studies, indem es den Blick auf die Geschichte menschlicher Eingriffe in die Umwelt in den ästhetischen Raum hinein weitet. Dabei gelingt es Zeller, die Geschichte der roadmindedness im Spannungsfeld transnationaler Ver- und Entflechtungsprozesse zu erzählen und dabei unter Bezugnahme auf spezifische Akteure schlaglichtartig tiefe Einblicke in nationale und lokale Argumentationsmuster zu geben, ohne jedoch internationale Austauschprozesse und transnationale Zirkulationen von Wissen aus den Augen zu verlieren.

Ein nächster Schritt in Richtung einer Verbindung derartiger historischer Analysen mit gesundheitlichen Auswirkungen des Landschaftskonsums, insbesondere mit Blick auf die mentale Gesundheit - ein Forschungsfeld, das angesichts der gegenwärtigen Doppelkrise aus Klimawandel und Biodiversitätsverlust stetig wächst - liegt nicht mehr fern.

Fabienne Will