Christian Faludi / Stephan Zänker (Hgg.): Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [für Ernst Thälmann]. Zur Geschichte eines ambivalenten Erinnerungsortes (= Beiträge zur Geschichte der Demokratie und Erinnerungskultur; Bd. 1), Göttingen: Wallstein 2023, 168 S., 42 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-5379-4, EUR 22,00
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In diesem Buch steckt mehr, als man denkt. Das hängt nicht nur mit dem engen Satzspiegel zusammen, sondern vor allem mit der Vielstimmigkeit der Erinnerungskultur. Für die Städte und Kommunen in der Bundesrepublik gelten bei Benennungen von Straßen und Plätzen kaum Regeln. Es galten der demokratische Diskurs und in Fragen der Gestaltung mitunter der Denkmal- und Ensembleschutz.
Die Herausgeber stellen ihrem Buch einige Grundüberlegungen voran. Sie gehen davon aus, dass in der Geschichte "keine Person [zu] finden [sei], die als lupenreines Vorbild dient. Deshalb kann eine kritiklose Würdigung historischer Persönlichkeiten nicht Bestandteil der demokratischen Erinnerungskultur sein. Vielmehr gehe es darum Komplexität zu bewahren, Widersprüche auszuhalten". (9) Vorbilder sollen demnach Orientierung geben und im Gedenken ermöglichen, sich heute in sie hineinzuversetzen. Diese Sicht der Herausgeber fordert zum Nach- und Mitdenken auf. Muss aber jedes alte Denkmal den historischen Lackmustest dieser Nützlichkeit bestehen oder kann man in demokratischen Gesellschaften nicht auch einfach Überreste vergangener Denkmalskultur ertragen?
Die Gliederung folgt zunächst der Geschichte des Buchenwaldplatzes in Weimar chronologisch von 1863 bis 1997. Weimar als "Ilm-Athen" und "ideale Geisteshauptstadt" mit viel Goethe, etwas Schiller und dem Herrscher der Weimarer Klassik Carl August. Alf Rößner wirft einen Blick auf ein ambitioniertes Projekt, das bis heute nachwirkt, wobei das Stadtbild auch in gewisser Weise das Opfer einer nationalen Erwartungshaltung geworden ist. Das Projekt einer "Kulturpilgerachse" (16) des ambitionierten Großherzogs Carl Alexander bezog daran anknüpfend den Bahnhof, das Museum, Schulbauten und ein Kriegerdenkmal am damaligen Watzdorfplatz (heute Buchenwaldplatz) ein. Ein Platz zum Gedenken und zum Präsentieren von auch damals schon infrage gestellten Machtverhältnissen mit Militärparaden. Ein Reiterdenkmal Carl Alexanders komplettierte diese Konstruktion des öffentlichen Raumes. Erst im Nationalsozialismus wurde dies maßgeblich durch das sogenannte Gauforum verändert. Die neue Militarisierung machte auch vor den alten Denkmälern nicht halt. So verengte das Verlegen des Reiterdenkmals in eine Sichtbeziehung mit dem Kriegerdenkmal die städtische Erinnerung, wie Rößner herausarbeitet. Am Ende wurde auch das Opfergedenken exklusiv. Weimar wurde so im Kern eine "sozialistische Kulturstadt, in deren Weichbild das Konzentrationslager Buchenwald lag". (36)
Die Zeit von 1945 bis 1997 ist das Thema von Christian Faludi. Auch in der Nachkriegszeit knüpfte Weimar an die eigene Kulturstadterzählung an. Faludi erweitert dies mit einer ostdeutschen Entwicklung von DDR, SED-Macht sowie wiedererlangter demokratischer, thüringischer Souveränität nach 1990. Er beginnt mit der Rolle der "Politischen", dem ehemaligen "Kapo", Ernst Busse, und der kommunistischen Organisation Opfer des Faschismus mit Ottomar Geschke und Richard Großkopf. Ernst Thälmann wurde so zum herausragenden Opfer und "Kämpfer" stilisiert, zum Muster eines "Blutzeugen und Märtyrers für ein besseres Deutschland". (42) Er steht jedoch im aktuellen Gedenkensemble auch für die Opfer von Buchenwald im Zusammenhang mit dem "Platz der 56 000". Besonders die Deutung von kommunistischen Inhaftierten mit dem "roten Winkel" als "aktive Widerstandskämpfer" gegen den Faschismus sollte lange Wirkung zeigen (51). Die Gedenkkultur wurde von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zunächst bis zu deren Auflösung 1953 weitergeführt. Später wurde das Gedenken vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer geprägt. Der steinige Weg zur Realisierung von Denkmal und Platzgestaltung wird eingehend beschrieben. Am Ende zeigte die beherrschende Inschrift an der Platzmauer, dass es weniger um Gedenken und Mahnung als vielmehr um einen ideologischen Appell gehen sollte: "Aus Eurem Opfertod wächst unsere sozialistische Tat". (76) Faludi schildert die über die Jahre einsetzende rituelle Abnutzung: Der ideologische Gehalt der Gedenkkonstruktion "verfing [...] immer weniger". (85)
In einem zweiten großen Abschnitt befassen sich Beiträge mit Aspekten des Buchenwaldplatzes und des Thälmann-Denkmals von 1958. Das konnte als Ausdruck einer zeitgebundenen, künstlerischen und gestalterischen Qualität überzeugen und Maßstäbe setzen. Auch Hans-Rudolf Meier stellt das Narrativ heraus, dass Opfer "weniger als Leidende denn als Helden" (100) dargestellt werden. Er vertieft das Thema mit einem Blick auf das schon früh ideologisch zuverlässige Schaffen des Bildhauers Walter Arnold. Die Skulptur Thälmanns gleiche in der Klassikerstadt Weimar ein wenig dem Speerträger des Polyklet. Auch die Mauer im Hintergrund könne noch dem Vergleich mit Exedren aus dem Hellenismus standhalten. Die fotografischen Vorbilder aus der Weimarer Republik würden deutlich machen, warum Thälmann auf dem Podest der Situation damaliger Wahlkämpfe entsprach.
Justus H. Ulbricht zieht in seinem Beitrag einen weiten Bogen von der Erinnerungskultur der "Klassikerstadt" und deren Umgang mit gleich mehreren Zeitenwenden und historischen Brüchen. Eine gewisse distanzierte Ambivalenz bis hin zur Verdrängung waren die unschönen Aspekte, denen man sich auch im Stadtraum bewusst werden sollte. Annette Leo zieht mit Blick auf eigene Arbeit und Erleben Vergleiche vor und nach 1990 zum erst 1986 eingeweihten monumentalen Thälmann-Kopf Lew Kerbels samt Gedenkanlage in (Ost-)Berlin. Mangels echter Öffentlichkeit in der DDR wurde auch dieses Denkmal erst nach 1990 diskutiert. Schließlich beschreiben Marc Bartuschka und Katharina Vogt als Chronisten in eigener Sache den Verlauf der öffentlichen Diskussion über die Erinnerungskultur im Weimarer Stadtraum. Interessant ist dabei, wie sich plötzlich unsichtbare Verbindungen des Denkmals zeigten, wenn Organisationen und Personen ihre Kritik oder ihr ganz eigenes "Framing" des Denkmals offenbarten (136). Und nicht zuletzt äußerten sich dabei Vorbehalte gegen eine vermeintliche "Oktroyierung einer westdeutschen Meistererzählung". (140)
Es ist ein anregendes Buch, streckenweise mit Redundanzen, aber auch mit einer sorgfältigen Bildauswahl. Mitunter hat das den Charakter der Beschwörung einer kommenden, besseren Erinnerungskultur. Ein Buch, das auch Fragen über die in den ostdeutschen Bundesländern vielerorts kommentarlos erhaltenen Gedenk- und Erinnerungstafeln im Geiste der einstigen SED aufwirft. Jede Generation kann sich ihre Helden wählen. Die demokratischste Aktion gegen falsche Helden ist wohl das Vergessen, aber im öffentlichen Raum ist nun einmal der Staat ab und an gefordert. Wie so oft, ist auch in der Gedenkkultur das Nichtstun nicht frei von Folgen.
Heiner Bröckermann