Andrew Kloiber: Brewing Socialism. Coffee, East Germans, and 20th Century Globalization (= Studies in German History; Vol. 27), New York / Oxford: Berghahn Books 2023, xiii + 206 S., 5 illus., 17 tables, ISBN 978-1-80073-669-6, GBP 99,00
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Mark Landsman: Dictatorship and Demand. The Politics of Consumerism in East Germany, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2005
Stefan Grüner / Sabine Mecking (Hgg.): Wirtschaftsräume und Lebenschancen. Wahrnehmung und Steuerung von sozialökonomischem Wandel in Deutschland 1945-2000, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
Sophie Gerber: Küche, Kühlschrank, Kilowatt. Zur Geschichte des privaten Energiekonsums in Deutschland, 1945-1990, Bielefeld: transcript 2014
1977 stiegen die Weltmarktpreise für Kaffee aufgrund einer schlechten Ernte abrupt an. Die an Devisen notorisch klamme DDR-Staats- und Parteiführung versuchte, den Kaffeekonsum zu reduzieren, indem sie die preisgünstigste und populärste Kaffeesorte "Kosta" von einem Tag auf den anderen vom Markt nahm und durch einen so genannten "Kaffee-Mix" ersetzte, der zur Hälfte aus Bohnenkaffee minderer Qualität und zur Hälfte aus Ersatzkaffee (v.a. Roggen) bestand. Wütende Proteste und ein Boykott des Ersatzprodukts waren die Folge. Diese so genannte Kaffeekrise der DDR scheint eine unwiderstehliche Faszination für Historikerinnen und Historiker zu besitzen. Nach einem wegweisenden Aufsatz von Volker Wünderich [1] und der lesenswerten Dissertation von Monika Sigmund [2] versucht sich nun der nordamerikanische Historiker Andrew Kloiber an dem Thema. Keine der Autorinnen und keiner der Autoren kommt dabei ohne die in satirischem Ton, aber mit ernster Absicht verfasste Eingabe des "Kaffeetrinker-Kollektivs" aus Karl-Marx-Stadt aus, das empfahl, den "Kaffee-Mix" entweder als Unkrautvernichter oder als Abführmittel zu verwenden. Dank Kloibers gelungener Übersetzung kommen nun auch englischsprachige Leserinnen und Leser in den Genuss dieses amüsanten Dokuments.
Sind dem deutschsprachigen Leser somit manche Teile der Arbeit bereits bekannt, setzt Kloiber durchaus eigene Akzente. Insbesondere zielt die Arbeit darauf ab, den Kaffeekonsum in der DDR in einem globalen Kontext zu untersuchen. Darin unterscheidet sie sich von der deutsch-deutschen Perspektive Sigmunds und stellt insofern eine wertvolle Ergänzung der vorhandenen Literatur dar. Das Ziel des Autors ist es, die Verbindung zwischen der materiellen Kultur der DDR und den globalen Verflechtungen des deutschen Teilstaates aufzuzeigen. Das Buch ist somit Teil neuerer Ansätze, die sich für die Einbettung des "Kalten Krieges" in ökonomische, politische und kulturelle Globalisierungsprozesse interessieren.
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Das erste bietet einen Überblick über die Versorgung mit Kaffee in den 1950er und frühen 1960er Jahren, und schildert die Bedingungen, unter denen die DDR sich auf dem Weltmarkt das begehrte Naturprodukt verschaffen konnte. Kaffee war in den ersten Jahren der DDR schwer zu bekommen, aber mit dem "Neuen Kurs" 1953 versuchte die Staats- und Parteiführung, die Versorgungslage zu verbessern, musste dabei aber die Unwägbarkeiten des Weltmarktes in Kauf nehmen. Das zweite Kapitel widmet sich der allmählichen Etablierung einer Kaffee-Kultur durch die Gründung von Cafés, die Einführung neuer Röstkaffeesorten und die Propagierung eines modernen sozialistischen Lebensstils, der mit Kaffeekonsum offenbar unweigerlich verbunden war. Zur Analyse sozialer Praktiken greift die Arbeit auf zeitgenössische DDR-Zeitschriften und andere populäre Literatur zurück und fördert dabei einige interessante Details zutage wie das Weiterleben rassistischer Stereotype in der Darstellung des "Moketta-Manns" (53). Während die quantitative Dimension des Kaffeekonsums bereits bekannt war, betritt das Buch hier Neuland.
Das dritte und in gewisser Weise zentrale Kapitel beschäftigt sich mit der "Kaffeekrise" von 1977, die ausführlich dargestellt wird. Die Schilderung der Ereignisse vom plötzlichen Preisanstieg des Rohkaffees über die Diskussionen im Politbüro bis hin zu den ergriffenen Maßnahmen und erbitterten Reaktionen der Bevölkerung unterscheidet sich kaum von den bisherigen Darstellungen. Dafür versucht Kloiber, sich in der Interpretation der Krise abzusetzen. Zum einen unterstellt er, Wünderich würde in seiner Darstellung die politische Dimension der Versorgungskrise unterschätzen. Zum anderen versteht er den Protest der Bürger und Bürgerinnen als Ausdruck der Individualisierung, da der "Kaffee-Mix" nicht ihren persönlichen Geschmackserwartungen entsprochen habe. Beides ist nicht ganz zutreffend. Wünderich hat lediglich argumentiert, die "Kaffeekrise" gehöre nicht in die Geschichte der politischen Opposition, und stärker als Individualisierungsprozesse wirkten hier kollektive Erinnerungen an die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit nach.
Kapitel vier und fünf widmen sich den Versuchen der DDR-Staats- und Parteiführung, die Kaffeeversorgung durch Abkommen mit sozialistischen Staaten in Afrika und Asien zu sichern. Kapitel vier nimmt dabei zunächst die Beziehungen zu den Anbaustaaten Äthiopien und Angola in den Blick. Im Zuge der "Kaffeekrise" versuchte die DDR mit Erfolg, ihre Kaffeeimporte aus diesen Staaten auf dem Weg des Gütertauschs zu erhöhen, unter anderem durch die Lieferung von Waffen nach Äthiopien. Allerdings zeigten sich die beiden afrikanischen Regierungen unwillig, längerfristige Abkommen auf dieser Basis einzugehen. Daher versuchte die DDR, den Kaffeeanbau in Laos und Vietnam zu forcieren, wie Kapitel fünf darlegt. Die Zusammenarbeit zwischen den ostdeutschen Experten und den lokalen Eliten verlief nicht immer spannungsfrei, zumal die DDR-Seite eine etwas paternalistische Sichtweise auf die asiatischen Länder hatte. Dennoch gelang es, in beiden Ländern den Kaffee als Exportgut zu etablieren. Die DDR konnte davon aber kaum profitieren, da sie zusammenbrach, bevor die Exportmengen ein bedeutendes Ausmaß erreicht hatten. Insgesamt kommt Kloiber dennoch zu einer positiven Einschätzung der Entwicklungszusammenarbeit der DDR mit Laos und Vietnam. Leider hat er keine Quellen aus diesen Staaten herangezogen, so dass dieses Urteil allein auf der DDR-Überlieferung beruht. Es wäre interessant, die Sicht der anderen Seite kennenzulernen. Ähnliches gilt für die Zusammenarbeit mit Äthiopien und Angola, wo doch einige Fragen offenbleiben. So ist unklar, warum die angolanische Regierung, die zunächst einen Handel auf Tauschbasis ablehnte, im Juni 1978 ihre Meinung plötzlich änderte.
Insgesamt wiederholt die Arbeit zwar manches, das schon bekannt war, bietet aber auch neue und wichtige Einsichten. Sie zeigt, dass die DDR (und die sozialistischen Staaten insgesamt) nicht nur passive Opfer von Globalisierungsprozessen waren, sondern versuchten, diese aktiv mitzugestalten. Ob diese Entwicklungszusammenarbeit wirklich zur Stabilisierung des Regimes beitrug, wie der Autor argumentiert, sei dahingestellt. Dem Zugewinn an internationaler Reputation standen jedenfalls ökonomische Ausgaben gegenüber, die nach Meinung mancher Bürgerinnen und Bürger besser im Inland Verwendung gefunden hätten. Insgesamt handelt es sich dennoch um ein anregendes und lesenswertes Buch.
Anmerkungen:
[1] Volker Wünderich: Die "Kaffeekrise" von 1977. Genussmittel und Verbraucherproteste in der DDR, in: Historische Anthropologie 11 (2003), 240-261.
[2] Monika Sigmund: Genuss als Politikum. Kaffeekonsum in beiden deutschen Staaten, Berlin 2015.
Manuel Schramm