Petra Brouwer / Martin Bressani / Christopher Drew Armstrong (eds.): Narrating the Globe. The Emergence of World Histories of Architecture, Cambridge, Mass.: MIT Press 2023, 564 S., ISBN 978-0-262-04797-5, USD 60,00
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Robin Schuldenfrei: Luxury and Modernism. Architecture and the Object in Germany 1900-1933, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2018
Wolfgang Pehnt: Städtebau des Erinnerns. Mythen und Zitate westlicher Städte, Ostfildern: Hatje Cantz 2021
Arbeitskreis historische Bildforschung (Hg.): Der Krieg im Bild - Bilder vom Krieg, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003
Das Buch verschafft sich einen prachtvollen Auftritt: Groß bemessenes Quart-Format, der Buchrücken mit Leinen bespannt, der hintere Buchdeckel mit Schlangenhautimitat; etwa ein Fünftel des Umfangs ist für die Wiedergabe der Quellentexte in gestochen scharfen Farbtafeln reserviert; unter der Regie der Herausgeber haben sich weitere 21 Autorinnen und Autoren eingefunden, die sich der Geschichtsschreibung der Weltarchitektur im 19. Jahrhundert widmen. Man hat es unverkennbar mit einer buchästhetischen, durchaus widersprüchlichen Mimesis zu tun, wenn im Buch berechtigter Weise Warnschilder an den zeitgebundenen methodischen Prämissen der Architekturgeschichtsschreibung in der Ära von Kolonialismus und Imperialismus aufgestellt werden, sich aber die Publikation selbst in das prächtige historistische Ornat der seinerzeitigen Buchverlautbarungen kleidet.
Das umfangreiche Werk gliedert sich in drei Textteile. Der erste Teil ("The Genre Invented") bietet eine systematische Einführung. Mitgeteilt wird, so wird man wohl sagen können, wenig Überraschendes oder Neues, dafür aber viel Grundlegendes und Verbindliches für das Verständnis jener speziellen Sparte des Architekturhandbuches. Die Bücher einer - heute obsolet gewordenen - alten Weltgeschichte haben ihre Voraussetzung in der Aufklärungshistorie sowie in den Antikenpublikationen und etablierten sich im 19. Jahrhundert. Diese Weltgeschichten nahmen nicht nur in Anspruch, über das Weltganze der Architektur Bescheid zu wissen, sondern diesen Überblick auch noch auf eine geschichtsphilosophische Perspektive auszurichten. Deren Prämissen beziehen sich in der Hauptsache auf die Sinnhaftigkeit der Geschichtsentwicklung in der Fortschrittsidee sowie auf die Superiorität bestimmter Kulturbereiche, insbesondere der Baukunst Europas. In den einleitenden Beiträgen wird dieser ideengeschichtliche Hintergrund ausführlich entfaltet und auch in seinen Zuspitzungen in der Volks-, Nationen- und Rasselehre dargelegt.
Grundsätzliche Zustimmung schließt Nachfragen nicht aus. So lässt sich nachhaken, ob angesichts der ideologiekritischen Vorbehalte einer weiterhin strikt von Europa her gedachten Konnektographie die Dialektik des globalisierten Geschehens nicht zu kurz kommt. Mittlerweile besteht auch in der Globalgeschichte kein Zweifel daran, dass der Versuch einer Erfassung des Weltganzen im Zuge der europäischen Expansion für alle Beteiligten auch eine erhebliche Wissenserweiterung bedeutete und den transkulturellen Austausch sukzessive ermöglichte. [1] Zudem wäre zu erörtern, wie eine Syntheseleistung, die es mit einer riesigen Fülle von global ausgedehnter Materialerfassung zu tun hat, überhaupt zu einer sozusagen nur in der Fläche ausgebreiteten Darstellung gelangen könnte. Die Diagrammforschung ist dieser Frage auch für die Kunst- und Architekturgeschichte nachgegangen und hat Modelle einer radikal nicht-hierarchischen Synthesebildung herausgearbeitet, die ihre Voraussetzungen zwar in den auch in die Architekturgeschichte aufgenommenen Systematiken des 19. Jahrhunderts haben (insbesondere der Biologie und der Geographie), jedoch letztlich die moderne Systemtheorie und Kybernetik bedingen, die noch außerhalb des früheren Erkenntnishorizonts lagen. [2]
Diesen Überlegungen zu einer kritischen Interpretation des Materials treten im ersten Teil des vorliegenden Buches Detailuntersuchungen zur Buchproduktion an die Seite. Verdeutlicht wird, wie sich die einschlägigen Handbücher in den expandierenden Buchmarkt eingliedern. Instruktiv sind die Nachforschungen zu der am Beispiel der Tagespresse orientierten Beschaffung von Bildvorlagen bei den Indien- und Ostasien-Publikationen von James Fergusson, der sich auf sein Netzwerk von Kartographen, Geographen und anderen Militärangestellten der Verwaltung des British Empire stützen konnte. Bei den Büchern gingen normative Erkenntnisinteressen der Autorschaft mit Erwartungskonventionen der Leserschaft und mit marktförmig organisierten Publikationsmechanismen der Verleger auf dem Publikationssektor des Architekturhandbuches Hand in Hand. Während sich dieses Dreierbündnis für die Gattungsbestimmung als fundamental erweist, sei zugleich ein Zweifel formuliert, ob es sich bei den hier inspizierten Büchern tatsächlich um eine eigene Gattung handelt oder nicht einfach um eine Spezialform des Handbuchs. Solche Manuale stellen sich, unabhängig von den Inhalten, die Aufgabe, systematisiertes Wissen im Kontext der Bildungskonventionen der jeweiligen Zeit verlegerisch attraktiv darzulegen. [3]
Der Hauptteil des Buches ("The Genre Examined") entfaltet ein eindrucksvoll weites und in seiner Vertiefung in einzelne Bücher überaus informatives Panorama der Geschichtsschreibung der Weltarchitektur, wie sie im 19. Jahrhundert an Prägnanz und Popularität gewann. Dies geschieht in der Form von 15 buchmonographischen Studien. Zeitlich spannt sich der Bogen mit Christian Ludwig Stiglitz' "Geschichte der Baukunst vom frühesten Alterthume bis in die neuern Zeiten" (1827), die auch die Architektur Ägyptens und Japans mit einbezieht, bis zu Auguste Choisys "Histoire de l'architecture" (1899), die mit ihren Raumuntersuchungen für die Architekten der Moderne einflussreich wurde. Im Hinblick auf die Nationalität der Autoren und der Verlagsorte kommen England (James Elmes, Thomas Hope, Thomas T. Bury, Edward A. Freeman, James Fergusson, Alfred D.F. Hamlin, Banister Fletcher), Deutschland (C.L. Stieglitz, Wilhelm Lübke, Franz Kugler, A(lbert?) Rosengarten), Frankreich (Daniel Ramée, Charles Garnier und Auguste Amman, Auguste Choisy) sowie die USA (Luisa C. Tuthill) und die Niederlande (Eugen Gugel) mit ihren Büchern zu Wort.
Herausgearbeitet werden für die einzelnen Publikationen die geographischen Untersuchungsräume mit den baugeschichtlichen Gegenstandsbereichen, die methodischen Leitlinien der Darstellungen und deren historische Voraussetzungen, die oben angesprochene Tripelallianz von Autor, Leser und Verleger. Die Beiträge vermitteln ein recht vielfältiges Bild vom intellektuellen Profil der Autoren: Gelehrte aus dem Universitätsmilieu stehen praktizierende Architekten, Künstlern und Akteuren aus dem Militär und den Kolonialverwaltungen gegenüber. Selbstverständlich unterscheiden sich die inhaltliche Relevanz und die auch an den Auflagen und Überarbeitungen zu bemessenden Reichweiten der Bücher deutlich voneinander. So steht etwa einer markant von den Altertumswissenschaften inspirierten deutschen und französischen Architekturgeschichte eine von der kolonialen Kommunikationsverdichtung des British Empire beförderte Geschichtsschreibung gegenüber. In den einzelnen Lesarten der Quellenschriften finden schließlich auch die methodischen und ideologischen Implikationen der Texte eine jeweils ausführliche Ausdeutung. Mit einer eurozentrischen Präjudizierung wird dem Steinbau sowie dem europäischen Kirchen- und dem asiatischen Tempelbau jeweils eine entwicklungsgeschichtliche Priorität eingeräumt. Dies hat auch mit der Verwirrung zu tun, wie mit dem Holz- und Lehmbau der außereuropäischen Kulturen im Hinblick auf seine schwierige materielle Überlieferung und auf seine ästhetisch-normative Einschätzung umzugehen wäre.
Es ist unter anderem diese Erhaltungssituation, derer sich die heutige global ausgerichtete Architekturgeschichtsschreibung nur zu bewusst ist. Im dritten Teil des Buches ("The Genre in the Present") schildern vier Autoren (Kathleen James-Chakraborty, Mark Jarzombek, Murray Fraser, Dell Upton) ihre methodischen Bedenken beim Verfassen oder beim Edieren einer Weltarchitekturgeschichte. Die Erfahrungsberichte plädieren auf je unterschiedliche Weise für eine weitere Reform der Universitätsausbildung, für eine ausgedehnte Reisetätigkeit zur Untersuchung der Baukulturen vor Ort, für eine Ausweitung der Perspektive von der Monumentalarchitektur auf die gebaute Umwelt und für eine notwendige Verständigung der Architekturgeschichte mit der allgemeinen Anthropologie und der Architekturanthropologie. Als Fazit laufen diese Überlegungen darauf hinaus, dass es, ähnlich wie bei der allgemeinen Geschichtswissenschaft, auch für die globale Architekturgeschichte darum geht, sich im Kontext der Diskussionen über die Globalgeschichte mit den theoretischen Grundlagen der Architekturgeschichte selbst auseinanderzusetzen.
Es sei ans Herz gelegt, das Buch "Narrating the Globe" zusammen mit den auf eine Buchausstellung am Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte zurückgehenden "Weltgeschichten der Architektur" zu lesen. [4] Hier werden die einschlägigen Quellenschriften in kürzeren Einträgen besprochen, und das Buch unternimmt eine Erkundungsreise in die vielstimmigen Erzählungen von "Weltgeschichten" im Plural. Beide Bücher lassen mit ihrer Vorsicht und mit ihrer Skepsis beim Verstehen des Globalen keinen Zweifel daran, dass es mit dem ehemals obwaltenden Geschichtsoptimismus der alten Weltgeschichtserzählung vorbei ist.
Anmerkungen:
[1] Hierzu als aktuelle geschichtstheoretische Auseinandersetzung Stefanie Gänger / Jürgen Osterhammel (eds.): Rethinking Global History, Cambridge 2024.
[2] Wolfgang Cortjaens / Karsten Heck (Hgg.): Stil-Linien diagrammatischer Kunstgeschichte, Berlin / München 2014.
[3] Zur Gattungstheorie Dietrich Erben (Hg.): Das Buch als Entwurf. Textgattungen in der Geschichte der Architekturtheorie. Ein Handbuch, Paderborn 2019 und speziell zum Themenfeld auch Vittorio Magnago Lampugnani / Katrin Albrecht / Helene Bihlmaier / Lukas Zurfluh (Hgg.): Manuale zum Städtebau. Die Systematisierung des Wissens von der Stadt 1870-1950, Berlin 2017.
[4] Matteo Burioni (Hg.): Weltgeschichten der Architektur. Ursprünge, Narrative, Bilder 1700-2016, Passau 2016.
Dietrich Erben