Shigeru Akita (ed.): Oil Crises of the 1970s and the Transformation of International Order. Economy, Development, and Aid in Asia and Africa, London: Bloomsbury 2024, IX + 266 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-1-350-41380-1, EUR 85,00
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Die 1970er Jahre mit den beiden Ölkrisen von 1973/74 und 1979 und ihren rasant steigenden Energiepreisen wurden bereits zeitgenössisch als "Dekade der Energiepolitik" apostrophiert. Seit den 1990er Jahren sind eine Reihe wichtiger geschichtswissenschaftlicher Arbeiten entstanden, die sich diesen Energiekrisen zugewandt haben. Allerdings haben sie das ganz überwiegend mit Blick auf die Erfahrungen westlicher Industriestaaten getan. Hier setzt der vorliegende vom japanischen Globalhistoriker Shigeru Akita herausgegebene Sammelband an, der Afrika und vor allem Asien in den Fokus rückt. Denn der Effekt der Ölkrisen, so bemerkt Akita treffend in der Einleitung, "on the non-Western world was in many respects even more profound" (1) als im Westen.
Diesen nicht-westlichen Erfahrungen geht der Band in drei Teilen nach. Der Erste Oil Diplomacy and the Cold War beginnt mit einem umfangreichen "foundational chapter" (10), in dem David Painter die Ölkrisen der 1970er ereignisgeschichtlich einführt und souverän in den größeren geopolitischen Kontext einordnet. Dabei betont er, dass die Krisen zwar zunächst eine Schwächung des Westens im Kalten Krieg zu bringen schienen, mittelfristig hingegen zum Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa und der Sowjetunion beigetragen hätten. Dane Kennedy konzentriert sich im Anschluss auf den Nord-Süd-Konflikt der 1970er Jahre. Überzeugend argumentiert er, dass die Ölkrisen einerseits halfen, das "Third World project" einer Neuen Weltwirtschaftsordnung auf die internationale Agenda zu setzen, sie aber mittelfristig zum Verschwinden der Dritten Welt "as a distinct and coherent force in international affairs" (58) beitrugen. Hideki Kan beschreibt schließlich, wie die Asian Development Bank zur "Entwicklung" Südostasiens in und nach den 1970er Jahren beitrug.
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit dem Einfluss der Ölkrisen auf das internationale Finanzsystem bis in die frühen 1980er Jahre. Das Recycling der gigantischen Öleinnahmen von Ländern wie Saudi-Arabien oder Kuwait durch westliche Privatbanken führte, so argumentiert Ikuto Yamaguchi, zu einer "privatization of international development finance" (101) für sogenannte Entwicklungsländer mittleren Einkommens wie Südkorea oder Brasilien. Diese entwickelten sich dann unter dem Eindruck der zweiten Ölkrise auseinander, wobei die asiatischen "Tigerstaaten" durch ihre stärkere Exportorientierung dauerhaftes Wachstum generierten, während Lateinamerika in die Schuldenfalle tappte. Hier zeichnet sich bereits eine Periodisierung der Jahre von 1973 bis 1982 als distinkter Phase ab, wie Mark Metzler in seinem Aufsatz explizit zeigt. Metzler argumentiert, dass beide Ölkrisen in Wirklichkeit kombinierte Dollar-Öl- und Nahrungs-Krisen gewesen seien. Anfang der 1970er habe nicht nur das Energieregime der Nachkriegszeit geendet, sondern ebenso das globale Währungs- und Nahrungssystem. Schließlich verdeutlicht Shigeru Sato, wie Öleinnahmen in Malaysia und Singapur zur rasanten Entwicklung der beiden Ökonomien beigetragen haben.
Dieser Aufsatz verweist bereits auf den dritten und letzten Teil des Bandes, der Länderstudien zum Umgang mit den Ölkrisen in China (Kazushi Minami), Indien (Shigeru Akita) und Ghana/Kenia (Gareth Austin) umfasst. Dabei scheint China als Ölproduzent eher ein Profiteur der Ölkrisen gewesen zu sein. Gerade die Kooperation mit westlichen Ölfirmen erlaubte China eine stärkere Öffnung zur kapitalistischen Welt. In Indien bedrohten vor allem die stark gestiegenen Düngerpreise im Gefolge der Ölkrisen die sogenannte grüne Revolution und damit die Nahrungsversorgung des Landes. Während Indien auf die erste Ölkrise mit einer erfolgreichen Exportoffensive antwortete, erwies sich die zweite als schwerwiegender. Mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) gelang es der Regierung Indira Gandhis dennoch, Indiens heraufziehende Finanzkrise zu bewältigen. Schwieriger war die Lage auf dem afrikanischen Kontinent. Mit Blick auf Ghana und Kenia verdeutlicht Austin, dass die Reaktionen auf die Herausforderungen der Ölkrise und der sie begleitenden ökonomischen Verwerfungen sehr unterschiedlich ausfallen konnten. Dass Kenias Wirtschaft in den 1970er Jahren wuchs, während Ghanas schrumpfte, ist für ihn die Konsequenz unterschiedlicher nationaler Politiken, denn der externe Schock war in beiden Fällen ähnlich groß.
Zusammengenommen erweitern die Beiträge des vorliegenden Bandes unser Wissen um die Geschichte der Ölkrisen in den 1970er Jahren ganz erheblich, eben weil sie den Fokus von westlichen Industriestaaten und den Erdöl produzierenden Ländern auf den bislang kaum untersuchten Globalen Süden verschieben. Die Aufsätze basieren fast alle auf umfangreichen Archivstudien, wobei es sich primär um westliche Archive bzw. um Archive internationaler Organisationen (etwa Weltbank, IWF, OECD) handelt. Hier wäre eine stärkere Einbindung von Archivalien aus dem Globalen Süden für zukünftige Forschungen sicherlich wünschenswert. Ohnehin ist zu hoffen, dass dieser Band erst der Anfang einer umfangreicheren Beschäftigung mit dem Umgang der nicht-erdölproduzierenden postkolonialen Staaten mit den Energiekrisen der 1970er Jahre ist. Denn auch wenn etwa Gareth Austins Argument plausibel ist, dass nicht der externe Schock der Ölkrisen, sondern der Umgang mit ihnen entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung in Ghana und Kenia gewesen sei, so spricht einiges dafür, dass das in anderen Ländern des Globalen Südens ganz anders aussah. Im Falle Sambias etwa entpuppte sich der kombinierte Schock aus Ölkrise und dauerhaft einbrechenden internationalen Kupferpreisen, dem zentralen Exportgut des Landes, als ungleich bedrohlicher. Bei der Aufarbeitung dieser globalen Auswirkungen der Ölkrisen ist in der Zukunft noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Der vorliegende Band bietet dazu einen hervorragenden Startpunkt.
Jonas Kreienbaum