John E. Fahey: Przemyśl, Poland. A Multiethnic City During and After a Fortress, 1867-1939 (= Central European Studies), West Lafayette, IN: Purdue University Press 2023, XIV + 210 S., ISBN 978-1-61249-809-6, USD 54,99
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Seit der Eskalation des russisch-ukrainischen Krieges im Februar 2022 drängen militärische Fragen in allen westlichen Ländern vermehrt auf die Tagesordnung. Es wurde offensichtlich, dass Freiheit nicht zum Nulltarif zu haben ist und eine friedliche Ordnung sich immer auch mit ihrer militärischen Schattenseite auseinandersetzen muss. Diese hochaktuellen Themen sind nicht neu, wie John E. Fahey in seiner hier zu rezensierenden Monografie zeigt.
In seiner Fallstudie zur ehemaligen österreichisch-ungarischen Festungsstadt Przemyśl analysiert Fahey Aushandlungsprozesse zwischen zivilen und militärischen Akteur:innen. Er zeichnet wesentliche Entwicklungslinien über die Zäsur des Ersten Weltkriegs und den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung hinaus nach und ermöglicht Einblicke in die verschiedenen Phasen der interethnischen Auseinandersetzungen in der Stadt und der in der Zwischenkriegszeit zwischen Ukrainer:innen und Pol:innen umkämpften ehemaligen habsburgischen Provinz Galizien. Seine grundlegende These lautet, dass die Übermacht des habsburgischen Militärs die Konflikte innerhalb der Stadt unterdrückt habe. Mit der Aufgabe des Festungsstatus im Ersten Weltkrieg und der damit verbundenen Reduzierung der militärischen Präsenz seien diese dann aufgebrochen.
Fahey geht in seiner Analyse chronologisch vor. Er beginnt mit der Planungsgeschichte der Festung und nutzt diese, um den zentralstaatlichen Blick auf die Stadt nachzuzeichnen. Im zweiten Kapitel zoomt er gewissermaßen in die Stadt hinein, indem nun der Bau der Festungsanlagen vor Ort im Fokus steht. Fahey hebt die Interessensgegensätze zentralstaatlicher und lokaler Akteur:innen hervor, die sich im weiteren Verlauf der Ereignisse noch steigern sollten. Das folgende Kapitel konzentriert sich auf die Versuche der städtischen Bevölkerung, ihre eigenen Interessen gegen die dominierende Rolle des Militärs zu behaupten. Der Verfasser testet hier gewissermaßen seine zweite These zur Militarisierung der Stadt, indem er anhand verschiedener Beispiele aufzeigt, wie lokale Akteur:innen versuchten, die Dominanz des Militärs herauszufordern oder zu unterminieren. Er kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass das Militär letztlich immer die Oberhand behielt. Das vierte Kapitel ist ganz den Ereignissen des Ersten Weltkriegs gewidmet, die Fahey zufolge zur Zerstörung nicht nur der Festungswerke, sondern auch weiter Teile sowohl der materiellen als auch der immateriellen Aspekte der Stadt selbst geführt hätten. Ihm gelingt es, eindrücklich die erste und zweite Belagerung von Przemyśl sowie das dortige Leben im weiteren Verlauf des Krieges wiederzugeben. Das, was schließlich von der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg übriggeblieben war, diente im wieder gegründeten polnischen Staat nicht zuletzt als logistische Basis der Streitkräfte für den polnisch-ukrainischen Krieg, wie im fünften Kapitel beschrieben wird. Nun wurde aus einer multiethnischen vollends eine polnische Stadt.
Inhaltlich legt Fahey ein gelungenes Beispiel einer konzisen Stadtgeschichte im mitteleuropäischen Kontext vor. Durch die Kombination zentral- und kommunalpolitischer, stadtgesellschaftlicher, sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und städtebaulicher Aspekte kann er die Komplexität des urbanen Kontextes im Detail nachzeichnen und so die mannigfachen Konfliktlinien in den Mikrokosmos "Festungsstadt" einbetten. Diese Analysen stellt er auf eine breite Quellenbasis hauptsächlich aus österreichischen und polnischen, aber auch aus ukrainischen und ungarischen Archiven. Nicht zuletzt gelingt es ihm, Pfadabhängigkeiten in der städtischen Entwicklung Przemyśls zu identifizieren und somit die Nachwirkungen von Institutionen und Strukturen der österreichisch-ungarischen Monarchie darzustellen.
Zu monieren ist die manchmal zu kurze synthetische Darstellung von Prozessen besonders in den ersten beiden Kapiteln. Der Blick auf Faheys Dissertation von 2017 [1], aus der dieses Buch hervorgegangen ist, zeigt aber, dass sich der Autor auch mit diesen Teilen der Geschichte dezidiert auseinandergesetzt hat. Darüber hinaus wäre zuweilen eine genauere Auseinandersetzung sowohl mit Begriffen und Konzepten, wie etwa dem der Militarisierung, als auch mit ausgesuchten Quellen wünschenswert gewesen. Der analytische Blick wäre dadurch geschärft worden, und das Erkenntnispotenzial des Buches hätte noch deutlicher hervortreten können. Zudem hätten sich so einige textliche Problemstellen offenbart, wie z.B. die als "Conclusion" betitelten Kapitelenden, die oftmals weniger Schlussfolgerungen sind als Einleitungen des folgenden Kapitels.
Von diesen kleineren Schwächen abgesehen, hat Fahey ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt, das zur Weiterbeschäftigung mit dem Thema anregt.
Anmerkung:
[1] John E. Fahey: Bulwark of Empire. Imperial and Local Government in Przemyśl, Galicia (1867-1939), PhD Dissertation, Purdue University 2017.
Frank Rochow