Daniel Berndt / Susanne Huber / Christian Liclair (eds.): Ambivalent work*s. queer perspectives and art history, Berlin: Diaphanes Verlag 2024, 282 S., 45 Farb-Abb., ISBN 978-3-0358-0699-1, EUR 35,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ausgehend von Ambivalenz, als wesentlicher Eigenschaft queerer Ausdrucksweise, so schreiben es Susanne Huber und Daniel Berndt in ihrer Einleitung, soll der gemeinsam mit Christian Liclair herausgegebene Band Ansätze queerer Kunstgeschichte skizzieren, welche zum einen spezifische Objekte analysiert und zum anderen ihren eigenen institutionellen Kontext kritisch befragen (9). Zusätzlich schließen sie sich der Forderung nach einer Komplexitätssteigerung und Intersektionalisierung kritischer Forschung an, wie sie kürzlich mehrfach etwa in den Debattenbeiträgen der kritischen berichte, unter anderem von Huber und Berndt selbst, formuliert wurde. [1] Dem Anspruch einer kritischen Erweiterung kunsthistorischer Praxis begegnet ambivalent work*s sowohl in inhaltlicher wie auch methodischer Hinsicht. Hervorzuheben ist, dass die Herausgeber:innen neben sechs kunsthistorischen Aufsätzen (eine Historiographie queerer Kunstgeschichte und fünf Fallstudien), drei Gespräche, einen lyrischen Text sowie eine Visualisierungsübung gleichberechtigt in den Band aufgenommen haben. Dadurch wird der Bestand akademischer Textgattungen erweitert und ein Aufbrechen eingeübter Lesemodi und -erwartungen ermöglicht.
Drei der zusammengetragenen Fallstudien stellen künstlerische Positionen jenseits der oftmals dominanten westeuropäisch-nordamerikanischen Perspektiven ins Zentrum ihrer Analysen: Aleksandra Gajowy nimmt sich einer Videoarbeit von Katarzyna Perlak an und eröffnet eine dekoloniale Perspektive auf polnische Kunst und queeres, insbesondere lesbisches, Begehren. In Hinblick auf ihren dekolonialen Ansatz betont Gajowy, dass sie sich im Text ausschließlich auf Autor:innen aus Zentral- und Osteuropa bezieht (57). Im Anschluss an eine Queer-of-Colour-Kritik, entwirft Rena Onat eine intersektionale Analyseperspektive, mit welcher sie sich dem Kurzfilm Kırık Beyaz Laleler (dt. gebrochen-weiße Tulpen) von Aykan Safoğlu nähert. Diyi Mergenthaler wiederum fragt im Kontext zeitgenössischer chinesischer Kunst nach Übersetzungsmöglichkeiten für das Konzept queer und diskutiert die Begriffe "tongzhi" und "ku'er". (241)
Weiterhin ist den Fallstudien eine sensible Selbstreflexion im Sinne Donna Haraways situated knowledges eigen. [2] Anknüpfend an ihre frühere Auseinandersetzung mit Zach Blas' Videoarbeit Contra-Internet: Jubliee 2033 und einer Reflexion dieser Überlegungen, erkundet Katrin Köppert eine Ästhetik des postdigitalen Camps bei Blas. Ähnlich wie Haraways Verständnis des situated knowlegde, negiert auch Renate Lorenz eine objektivierende Analyseperspektive in ihrem Beitrag zu Park McArthurs Ausstellungsprojekt Kunsthalle_(underscore)guests Gaeste.Netz.5456. Im Zentrum der detaillierten Analyse steht die Besucher:innenerfahrung von McArthurs hybrider Ausstellung, die Konfrontation mit Kunstwerken und weiteren Objekten sowie die Frage von Zugänglichkeiten im musealen und virtuellen Raum, etwa über Audioguides und QR-Codes.
Die Gespräche zwischen Barbara Paul und Fiona McGovern, David J. Getsy und Daniel Berndt sowie Jennifer Doyle und Susanne Huber reflektieren die Geschichte und den Status Quo queerer Perspektiven in der Kunstgeschichte. Darüber hinaus erlaubt der Einblick in die akademischen Biographien von Paul, Getsy und Doyle einen Blick hinter die Kulissen des akademischen Betriebes. Der direkte Austausch von Peers im Gespräch wird hier für die Leser:innen geöffnet.
Einen weiteren Fokus der Publikation bilden Übersetzungsprozesse. So wurde der poetische Beitrag von Lucas Odahara zweisprachig abgedruckt. Dieser folgt dem lyrischen Ich, einem Panther, auf seinem Streifzug durch die Abteilung für queere Kunstgeschichte zunächst auf Portugiesisch, bevor, unterbrochen von vier Fotografien, die englische Übersetzung folgt. Ashkan Sepahvands Visualisierungsübung wiederum sucht die sinnliche Ebene einer Ausstellungserfahrung für seine "reader-viewer" (212) zu übersetzen. Ähnlich wie in den Gesprächen wird in dieser Übersetzung der Ausstellung Odarodle, welche Sepahvand 2017 für das Schwule Museum* kuratierte, eine Gemeinschaft konstruiert. Die rhythmisch, meditativ anmutende Visualisierungsübung lädt zu Beginn dazu ein, die Augen zu schließen. Die antizipierte Ausstellungserfahrung kann also eigentlich nur im Modus des Vorlesens und Zuhörens gemeinschaftlich gemacht werden.
Darüber hinaus wird Sprache in dem vorliegenden Band an mehreren Stellen selbst zum Thema. Paul und McGovern etwa diskutieren die Problematik von wechselseitigen Sprachbarrieren im internationalen Austausch der kunsthistorischen Queer Studies (99f). Anita Di Bianco, welche das Gespräch der beiden aus dem Deutschen ins Englische übersetzt hat, zeigt selbst die Grenzen ihrer Übersetzung auf, welche sie stellenweise als "both unsatisfying and unsatisfactory" bewertet (123). An dieser Stelle bleibt zu fragen, ob es nicht möglich gewesen wäre, Original und Übersetzung zusammen abzudrucken; insbesondere mit Hinblick auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem hegemonialen Anspruch des Englischen als Lingua franca des akademischen Betriebs. [3]
Der Band ambivalent works* schließt an aktuelle Diskurse innerhalb der kunsthistorischen Queer Studies an und setzt wertvolle Impulse für deren kritische Weiterentwicklung. Zusätzlich zu den vielfältigen Fallstudien, welche den geographischen Horizont erweitern, erlauben die Gespräche einen Blick hinter institutionelle Vorhänge, während die poetischen Reflexionen ein Innehalten anbieten. Es sind insbesondere Sepahvands Visualisierungsübung der Ausstellung Odarodle und Odaharas poetischer Text, welche mit einem immer stärker werdenden Effizienzimperativ des akademischen Betriebs brechen und eine Leseerfahrung einfordern, welche den Fokus auf das Hier und Jetzt im Sinne einer queeren Zeiterfahrung legt. [4] Abschließend sei betont, dass der Band zudem, vor allem durch die historiographische Kartierung kunsthistorischer Queer Studies durch Huber und Berndt, auch Neulingen einen fundierten Einblick in das wachsende und sich intersektional erweiternde Feld queerer Kunstgeschichte ermöglicht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Susanne Huber / Daniel Berndt: "A desire to create new contexts" - Queere Ansätze in der Kunstgeschichte, in: kritische berichte, 2023, Nr. 1, 66-78; Felix Jäger / Henry Kaap: DIS_ABILITY ART HISTORY. Editorial, in: kritische berichte, 2020, Nr. 4, 2-7; Jens Kastner: Für eine intersektionalistische Kunstsoziologie. Anmerkungen zu einem Desiderat, in: Artis Observatio, 2023, 2, 35-50.
[2] Donna Haraway: Situated Knowledges. The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective, in: Feminist Studies, 1988, Vol. 14, Nr. 3, 575-599.
[3] Zur kritischen Debatte um die Rolle des Englischen in der Kunstgeschichtsschreibung, vgl. etwa James Elkins: The End of Diversity in Art Historical Writing. North Atlantic Art History and its Alternatives, Berlin / Boston 2021.
[4] Für einen Überblick zu queeren Temporalitätsdebatten und -kritiken vgl. Hanna Hacker: Queere Zeitlichkeit, internationale Assemblagen und Transfeminismus für Historiker*innen. (Post-)queere Diskurse revisited, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 2018, 2, 19-35.
Fabian Röderer Williams