Rezension über:

Michele Campopiano: Storia dell'ambiente nel Medioevo. Natura, società, cultura (= Quality Paperbacks; 724), Roma: Carocci editore 2025, 173 S., ISBN 978-88-290-2796-5, EUR 17,00
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Rezension von:
Marie Ulrike Jaros
Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Marie Ulrike Jaros: Rezension von: Michele Campopiano: Storia dell'ambiente nel Medioevo. Natura, società, cultura, Roma: Carocci editore 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/40116.html


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Michele Campopiano: Storia dell'ambiente nel Medioevo

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Wie prägte der Mensch seine Umwelt im Mittelalter - und wie prägte die Umwelt den Menschen? Das sind die grundlegenden Fragen, denen sich Michele Campopiano in seinem Buch zur mittelalterlichen Umweltgeschichte widmet, einem Forschungsfeld, das in den letzten Jahren deutlich an Sichtbarkeit gewonnen hat. Campopiano untersucht die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Gesellschaft vom 5. bis zum 15. Jahrhundert und legt dabei besonderes Augenmerk auf kulturelle, ökonomische, technische und ökologische Transformationsprozesse. Der geografische Fokus liegt auf dem lateinisch geprägten und auf die römische Kirche ausgerichteten Teil Europas.

Im ersten der fünf Hauptkapitel rekonstruiert Campopiano, welche antiken und frühchristlichen Naturvorstellungen zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert fortwirkten. Die Vielfalt der Konzepte - vom Mikrokosmos-Modell bis hin zu pragmatischeren, auf Nutzung ausgerichteten Naturbildern - führte die Menschen jener Zeit zur grundlegenden Frage, wie 'Natur' überhaupt definiert werden könne.

Das zweite Kapitel widmet sich der aktiven Transformation der Umwelt im Frühmittelalter und der damit verbundenen kulturellen Bedeutungsverschiebung, auch im Hinblick auf die Hoffnungen, Erwartungen und Ängste der Menschen. Sowohl herrschende Eliten als auch bäuerliche Gemeinschaften versuchten, die Natur ihren Interessen gemäß zu gestalten und zu 'kontrollieren'. Die Position des Menschen in der Schöpfung, auch im Hinblick auf andere Kreaturen, wird thematisiert. Dabei erweist sich die Beziehung zu den Tieren als komplex und nicht zwingend an der Logik eines wirtschaftlichen Nutzens orientiert.

Im dritten Kapitel - dem Kern des Buches - stehen die ökologischen Umbrüche und deren Konsequenzen sowie die sich weiter wandelnden Naturvorstellungen zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert im Fokus. Intensivierung von Ackerbau, Waldwirtschaft, Bergbau, Jagd und Fischerei prägten diese Phase. Die Ursachen hierfür waren vielfältig: ein milderes Klima, landwirtschaftliche Innovationen wie die Dreifelderwirtschaft oder eine ideologische Neudeutung der Natur, die den Menschen zur göttlich legitimierten Herrschaft über die Schöpfung berechtigte. In der Konsequenz galt alles, was sich der menschlichen Kontrolle entzog, als feindlich. Die Kultivierung bislang unerschlossener Räume geschah nicht selten auf Betreiben der politischen Eliten, die konkrete Umsetzung jedoch erfolgte im klösterlichen Umfeld, aber mehr noch durch die bäuerliche Bevölkerung. Zu den sichtbaren ökologischen Folgen zählten Waldverlust, Bodenerosion, zunehmende Wildtiervorkommen in agrarisch genutzten Flächen und die Ausbreitung von Krankheiten wie Malaria. Diese Symptome eines fragilen Gleichgewichts wurden zwar registriert, führten aber nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken. Vielmehr manifestierte sich eine dichotome Vorstellung von schützenswerter 'kultivierter' und gefährlicher 'wilder' Natur.

Zwischen dem späten 10. und frühen 14. Jahrhundert entwickelten sich unter arabischem, byzantinischem und hebräischem Einfluss neue Konzepte über die Gestaltbarkeit der natürlichen Welt, die mit veränderten Vorstellungen von Mensch, Gesellschaft und Natur einhergingen. Mit diesen Entwicklungen befasst sich das vierte Kapitel. Der Mensch wurde nun stärker durch seine unsterbliche Seele von allen anderen Lebewesen abgegrenzt. Zugleich kam der Gedanke eines Zusammenwirkens und eines Gleichgewichts von Mensch und Natur auf. Die Vorstellung einer personifizierten Natur und damit einer nicht nur formbaren, sondern durchaus selbst agierenden Entität, gewann an Bedeutung. Naturwissen wurde grundlegend auch für die Ausübung politischer Kontrolle, weshalb es notwendig schien, die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu verstehen. In dieser Zeit begann sich auch das Feld der naturwissenschaftlichen Forschung herauszubilden. Man unterschied zwischen natürlichen und übernatürlichen Phänomenen, wobei diskutiert wurde, ob sogenannte 'Wunder', also durch Eingriffe Gottes bewirkte Abweichungen von den Naturgesetzen, überhaupt als übernatürlich gelten können. Entscheidend war dabei, ob Gott als Teil des Kosmos oder als außerhalb der Natur stehend verstanden wurde.

Im fünften Kapitel schließlich thematisiert Campopiano die Umweltkrisen des Spätmittelalters wie die Pest, die klimatische Abkühlung oder die Übernutzung natürlicher Ressourcen sowie die daraus häufig resultierenden Naturkatastrophen. Es entstand ein differenziertes Problembewusstsein, das sich mitunter in Regulierungen, Schutzmaßnahmen oder Hilfsstrukturen niederschlug. Damit verband sich ein Nachdenken über die Ursachen der Extremereignisse und deren Zusammenhängen mit dem menschlichen Handeln; die Katastrophen wurden dabei oft als Folgen eines sündigen Lebenswandels verstanden. Die Natur erschien in dieser Deutung nicht nur als passive Umgebung, sondern als reaktionsfähige Instanz. Der Band schließt mit einer Bibliographie und einem Personenindex.

Das Buch bietet eine fachlich fundierte und gut zugängliche Darstellung von Kontinuität und Wandel in der Wahrnehmung und Gestaltung von Natur im Mittelalter auf vielen Ebenen. Die quellennahe Analyse und die konzeptionelle Klarheit ermöglichen sowohl einem Fachpublikum als auch Leser:innen mit weniger fachspezifischem Hintergrund einen guten Einstieg. Campopiano betrachtet seinen Gegenstand aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen und verbindet theoretische und praktische Aspekte des mittelalterlichen Umweltverständnisses. Neben schriftlichen Quellen werden auch materielle und archäologische Zeugnisse ausgewertet. Der Anspruch, eine gesamte lateineuropäische Umweltgeschichte zu entfalten, wird eingelöst, geht jedoch mit verstärkten Akzentsetzungen auf Italien einher, ein nachvollziehbarer Zugriff angesichts der Expertise des Autors. Die Freude Michele Campopianos an der Philosophie und der Arbeit mit den Quellen ist durchgehend spürbar. Natur erscheint in seinen Ausführungen nicht als stabile Größe, sondern als kulturell geformtes Konstrukt, das je nach Perspektive der Akteure unterschiedlich interpretiert wurde. Viele der skizzierten Entwicklungen wirken erstaunlich aktuell und laden zur Reflexion über das heutige Verhältnis von Mensch und Umwelt ein.

Marie Ulrike Jaros