Martin Dräger / Sabine Horn (Hgg.): Geschichte und ihre Didaktik unterrichten. Festschrift für Michael Sauer, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2024, 232 S., ISBN 978-3-7344-1657-6, EUR 29,90
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Mit Michael Sauer wurde kürzlich einer der bekanntesten Geschichtsdidaktiker emeritiert. Es versteht sich deshalb in der Scientific Community von selbst, dass sie einen solchen Doyen nicht einfach stillschweigend in den Ruhestand ziehen lässt. Eine im Wochenschau-Verlag im Jahr 2024 erschienene Festschrift würdigt daher dessen (Lebens-) Werk. Als (k)eine leichte Aufgabe stellen Marco Dräger und Sabine Horn die Ambivalenz dieses Vorhabens in ihrem Vorwort heraus, denn Sauer besticht nicht nur durch ein kaum zu überblickendes Œuvre, das bis in die frühen 1980er Jahre zurückreicht, sondern er etablierte sich in der Geschichtsdidaktik insbesondere als pragmatischer Impulsgeber und als Herausgeber renommierter Fachzeitschriften.
Der hier zu besprechende Band gliedert sich in die klassische Trias geschichtsdidaktischer Forschung und Publizistik. Es finden sich Beiträge zu Theorie, Empirie und Pragmatik in einem nicht ganz ausgewogenen Verhältnis: Die Aufsätze zur Pragmatik überwiegen deutlich. Vermutlich deckt sich dieser Zuschnitt mit dem geschichtsdidaktischen Selbstverständnis Michael Sauers, "Geschichtsdidaktik als angewandte Handlungswissenschaft" (9) zu etablieren. In dieser Rezension können nicht alle Beiträge in ausreichendem Maße gewürdigt werden, weshalb im Weiteren die Gliederung der Herausgebenden in die drei genannten Schwerpunktbereiche beibehalten wird, um auf einer übergeordneten Ebene den vorliegenden Band in den gebotenen Grenzen eines Rezensionsformats besprechen zu können.
Die Festschrift "Geschichte und ihre Didaktik unterrichten" ermöglicht Einblicke in die Reflexions- und Forschungswelt von 24 Beitragenden. Leider bleibt offen, in welcher Beziehung die jeweiligen Autoren zu Michael Sauer stehen. Es kommen langjährige Weggefährten aus Universität und Schule zu Wort, von denen sich einige mit ihren Beiträgen direkt an Themenschwerpunkte aus Sauers Œuvre anlehnen: Im Kapitel zur geschichtsdidaktischen Theoriebildung denkt Susanne Popp über 'Quellentreue' im Fokus von Diskriminierungssensibilität nach. Ulrike Hartmann und Matthias Martens stellen Theoriemodelle vor, die das besondere (noch ausbaufähige) Wechselverhältnis von Forschung und schulischer Praxis beleuchten und für erweiterte Kooperationsstrukturen fruchtbar machen könnten. Michele Barricelli und Christian Kuchler wenden sich in je eigenen Beiträgen den Potentialen demokratiegeschichtlichen Erzählens und einer geschichtskulturell überformten Sophie Scholl zu. Am Ende dieses ersten Kapitels überlässt Alfons Kenkmann der Holocaust Education mit seinem Beitrag zu nationalsozialistischen Täterorten einen wertvollen Impuls: Den "ins Beliebige ausgreifenden Bildungsbemühungen [...] zur NS-Herrschaft" (56) gelte es durch eine Historisierung von Tätern in ihren differenzierten regionalen und lokalen Kontexten entgegenzuwirken.
Das Kapitel zur Empirie vereint drei Beiträge zur Professionalisierungsforschung (Melina Schuster), zum Textverstehen im Geschichtsunterricht (Helene Bergmann und Johannes Wegener) sowie zur Leistungsbewertung im bilingualen Geschichtsunterricht (Corinna Link).
Das Pragmatik-Kapitel umfasst elf Beiträge zu ganz unterschiedlichen Themenfeldern: Von einem erweiterten Politikbegriff (Johannes Wegener), über ein Plädoyer für den Lehrervortrag (Josef Memminger) bis hin zum historischen Denken im Geschichtsunterricht (Meik Zülsdorf-Kersting) reicht die Themenspanne. In nuce wird an den Beitragsthemen zur Pragmatik deutlich, dass das Sauer'sche Postulat von der "pragmatischen Bringschuld" (9) der Geschichtsdidaktik greift: Im geschichtsdidaktischen Diskurs gilt es Medien wie Schulbuchillustrationen (Markus Bernhardt) und Gewaltbilder (Steffen Barth), Themenbezüge des Geschichtsunterrichts wie Krieg (Anke John) und die Massenvernichtungsapparate im Holocaust (Etienne Schinkel) vor dem Hintergrund sich ändernder Gegenwarten neu zu justieren. Dieser Ansatz wird insbesondere am Beitrag zur Historizität von Unterrichtsentwürfen deutlich (Charlotte Bühl-Gramer). Geschichtsdidaktische Pragmatik, so lässt sich hier resümieren, sollte verstärkt "analytisch-reflexive Annäherungen an eigenes Planungshandeln ermöglichen" (132). Dieser Ansatz wird an einem interessanten Beispiel am historischen Denken Adolf Tellkampfs (1798-1869) in geschichtswissenschaftlicher Analyse eingelöst (René Mounajed). Wenngleich bei diesem Beitrag die geschichtsdidaktischen Bezüge, etwa zu Erkenntnispotentialen in der Auseinandersetzung mit Geschichte, stärker hätten akzentuiert werden dürfen.
Am Ende des Pragmatik-Kapitels werden Michael Sauers Qualitäten als Herausgeber der Zeitschriften "Geschichte lernen" und "Geschichte und Geschehen" von Franziska Conrad, Carsten Loth und Jana Schumann gewürdigt. In zwei Beiträgen werden Einblicke in das stringente und detailreiche Arbeitsfeld des Herausgebers möglich, dem sich Sauer über Jahrzehnte in kollegialer Manier zuwandte.
In summa gibt der hier besprochene Band Ein- und Überblicke in eher 'klassische' Forschungs- und Diskursfelder der Geschichtsdidaktik. Neuere und neueste Fragestellungen zum historischen Lernen in Zeiten globaler Polykrisen und den Diskursen um Künstliche Intelligenz bleiben außen vor. Das müsste nicht weiter bedauert werden, denn Michael Sauers Verdienste liegen im Rahmen der seit längerem etablierten Reflexionsfelder des historischen Lernens. Allerdings hätte weder das Werk noch das Ansehen des Emeritus Schaden genommen, wenn einer der letzten geschichtsdidaktischen Generalisten auch vor dem Hintergrund künftiger gesellschaftlicher und damit auch (geschichts-) didaktischer Herausforderungen überdacht worden wäre. Michael Sauer selbst gibt die diesbezügliche (Denk-) Richtung vor, indem er konstatiert, dass moderner Geschichtsunterricht auf historisches Lernen und nicht auf das Lernen von Geschichte zielen solle. [1] Dieser Ansatz hätte als Framing einer metaperspektivischen Würdigung des Geschichtsdidaktikers Sauer nutzbar gemacht werden können. Die Herausgebenden nähern sich mit dem vorliegenden Band diesem Anspruch, lösen ihn aber nicht vollständig ein. Die Festschrift für Michael Sauer verdeutlicht dennoch die Vielgestaltigkeit geschichtsdidaktischer Forschung und Publizistik und liefert damit wertvolle Impulse, historisches Lernen auch in seinen Praxisbezügen immer wieder neu zu reflektieren.
Anmerkung:
[1] Michael Sauer: Geschichtsunterricht heute. Brennpunkte, Probleme, Chancen, in: Lars Deile / Jörg van Norden / Peter Riedel (Hgg.): Brennpunkte heutigen Geschichtsunterrichts. Joachim Rohlfes zum 90. Geburtstag, Frankfurt/M. 2021, 17.
Andreas Sommer