Rezension über:

Fabian Kastner: Exponierte Formen der Gewalt. Waffen und Alte Gerichtsbarkeit am Germanischen Nationalmuseum 1850-1950, Würzburg: Königshausen & Neumann 2025, 434 S., ISBN 978-3-8260-8726-4, EUR 45,80
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Rezension von:
Priscilla Pfannmüller
Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt
Redaktionelle Betreuung:
Thomas Moser
Empfohlene Zitierweise:
Priscilla Pfannmüller: Rezension von: Fabian Kastner: Exponierte Formen der Gewalt. Waffen und Alte Gerichtsbarkeit am Germanischen Nationalmuseum 1850-1950, Würzburg: Königshausen & Neumann 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 9 [15.09.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/09/40039.html


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Fabian Kastner: Exponierte Formen der Gewalt

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Museumsgeschichte(n) und Ausstellungspraktiken erfreuen sich einer wachsenden Aufmerksamkeit durch die Forschung. [1] Dennoch ist die Sichtbarkeit von musealen Beständen historischer Waffen und sogenannter 'Alter Gerichtsbarkeit', also Straf- und Folterinstrumenten, um es vorsichtig auszudrücken, ausbaufähig. Aus diesem Grund ist Fabian Kastners Dissertation zu begrüßen, die sich umfassend und kenntnisreich mit Ausstellungspraktiken der historischen Waffensammlung sowie des Sammlungsbereiches Alte Gerichtsbarkeit im Germanischen Nationalmuseum zwischen, cum grano salis, 1850 und 1950 auseinandersetzt.

In sechs chronologischen, teils überlappenden Kapiteln werden Ausstellungspraktiken dieser beiden Sammlungsbereiche innerhalb des Dispositivs "Germanisches Nationalmuseum" analysiert. Vorangestellt wird den inhaltlichen Kapiteln ein ausführlicher Theorieteil, welcher die zentralen Begriffe und Konzepte des Buches darlegt. Dieses einleitende Kapitel bietet einen fundierten Überblick über aktuelle Diskurse akademischer Forschung, die sich bekanntlich nicht immer ohne Weiteres mit der Realität musealer Praxis in Deckung bringen lassen. [2]

Im Anschluss folgt die Analyse der ersten Phase (ca. 1832-1866!), die besonders den Museumsgründer Hans Freiherr von und zu Aufseß in den Fokus rückt. Seine Sammlung bildet den Grundstock des Museums, doch bleibt die Provenienz der Objekte in Kastners Studie weitgehend außenvor. Bemerkenswert ist, wie sehr Aufseß' System zur typologischen und historischen Klassifizierung von Objekten die erste Aufstellung prägten und mit dem Übergang der kuratorischen Aufsicht zu August von Eye rasch zu Gunsten einer Ästhetisierung aufgebrochen wurden.

Nach dem Amtsantritt August Ritter von Essenweins im Jahr 1866 erfolgte ein gravierender Bruch. Statt ästhetischer Erwägungen wurde nun die Wissenschaftlichkeit in den Vordergrund der Ausstellung gerückt. Die didaktischer ausgerichtete Ausstellung erfolgte nun typologisch und chronologisch, wobei zugleich die Einheit von Raum und Exponaten betont wurde. Die von Essenwein angestoßenen Veränderungen beeinflussten maßgeblich das Dispositiv der Waffensammlung: Das Germanische Nationalmuseum sollte, als Gegenmodell zu fürstlichen Prunksammlungen, die Entwicklung einfacher Waffen in den Mittelpunkt stellen und auf diese Weise ein Alleinstellungsmerkmal im neugegründeten Deutschen Reich erhalten. Flankiert wurde diese Neupositionierung durch eine extensive Ankaufspolitik und die Entstehung der "Zeitschrift für historische Waffenkunde" 1897 als waffenkundliches Leitorgan.

Die von Essenwein gewünschte Vervollständigung der Sammlung führte gleichwohl zu größeren Problemen: Die Rückführung der Sulkowskischen Sammlung 1889 stellte das militärische Dispositiv infrage, da viele Turnierwaffen nicht in das waffenkundliche System passten. Sie wurden daher separat und thematisch aufgeschlüsselt präsentiert. Unter Direktor Gustav von Bezold erfolgte ab 1897 eine weitere Auflösung der typologischen Ordnung zugunsten einer repräsentativen Inszenierung, bei der Waffen zunehmend als nationale Ruhmeszeichen vorgestellt wurden.

Der Erste Weltkrieg markierte einen bedeutenden Einschnitt für die Waffensammlungen, insbesondere durch die Rückgabe von Beutestücken aus dem Deutsch-Französischen Krieg. Eine an der malerischen Form orientierte, verklärende Ausstellung war nicht mehr opportun. Es bedurfte neuer Dispositive und einer grundlegenden Inventur. Waffen wurden unter Direktor Ernst H. Zimmermann nicht mehr wegen ihrer militärischen, sondern wegen ihrer kunsthandwerklichen Bedeutung ausgestellt. Es kam zu einer immer stärkeren Selektion der Objekte und zu einer Heraushebung von einzelnen "Meisterwerken". Auch wenn dieser Zeitabschnitt mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs bereits wieder endete, bleibt unklar, inwiefern die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zu einer Verschiebung der Dispositive oder gar Verstärkung dieser führte. Das ist umso bedauerlicher, als die Fixierung auf Meisterwerke im Bereich der Waffen bis in die 1960er Jahre fortdauerte und häufig von Kuratoren befördert wurde, die bereits während des Krieges in den Museen wirkten.

Etwas aus dem Rahmen fällt das darauffolgende Kapitel, das die Sammlung der Objekte Alter Gerichtsbarkeit detailliert analysiert. Im Gegensatz zur Waffensammlung, deren Ausstellungsgeschichte in mehrere Zeitabschnitte untergliedert wurde, wird diejenige der Folter- und Strafinstrumente bis 1939 zusammengefasst. Dies liegt vor allem am Sujet: Zwar sind auch Waffen auf das Verletzen und Töten ausgelegt, jedoch fällt dies, zumal durch die heroischen Dispositive und die Präsentation als Meisterwerke, nicht derart ins Gewicht. Ganz anders die Rechtsgeräte, die immer mit Gewalt und Tod assoziiert wurden und nicht aufgrund ihrer Gestaltung exzeptionell waren. Gleichzeitig wird deutlich, wie andersartig die Sammlung der Folter- und Strafgeräte war und wie wenig sie in die Ausstellungspraktiken der verschiedenen Direktoren einzupassen war.

Im abschließenden Kapitel, das den Zweiten Weltkrieg sowie die Nachkriegszeit umfasst, werden Waffen und Folter- und Strafgeräte zusammengefasst. Dieser zeitliche Zuschnitt irritiert und es bleib unklar, warum der Zweite Weltkrieg gemeinsam mit der Nachkriegszeit betrachtet wird. Bereits zuvor fiel auf, dass die Jahre 1933 bis 1939, die ebenfalls unter dem Eindruck des Nationalsozialismus standen, gemeinsam mit der Weimarer Republik analysiert wurden. Auch diese Verschränkung blieb leider unbegründet. Wie der Erste wird auch der Zweite Weltkrieg als maßgebliche Zäsur charakterisiert, wenngleich auf andere Art: Waffen, Folter- und Strafgeräte wurden bis 1975 aus den Dauerausstellungen verbannt. Lediglich vereinzelt wurden Waffen als (kunst-)handwerklich herausragende Kunstwerke ihrer Zeit gezeigt.

Die Dissertation von Fabian Kastner schließt eine wichtige Forschungslücke und bereichert die Museumsforschung wesentlich. Dennoch bleibt die komparatistische Analyse musealer Dispositive waffenkundlicher Sammlungen eine offene Aufgabe: Erst im Vergleich wird ersichtlich werden, ob das Germanische Nationalmuseum mit seinen Ausstellungsformen eine Sonderstellung einnimmt oder Teil einer breiteren Entwicklung war. Durch die detaillierte Fallstudie hat Kastner einen neuen Orientierungspunkt vorgelegt, an den künftige Forschungen produktiv anknüpfen können.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Anne Buschhoff et.al. (Hgg.): Museum der Museen. eine Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens und Sehens, Köln 2024 oder Marina Beck (ed.): Spaces for Shaping the Nation. National Museums and National Galleries in Nineteenth-Century Europe, Bielefeld 2024.

[2] Vgl.: Daniel Hohrath / Tobias Schönauer: Eine Ausstellung entsteht. Überlegungen zur neuen Dauerausstellung, in: Formen des Krieges 1600-1815 (=Kataloge des bayerischen Armeemuseum; Bd. 19), hgg. von Daniel Hohrath / Tobias Schönauer, Neustadt a.d. Aisch 2019, 31-43.

Priscilla Pfannmüller