Frank Rochow: Architektur und Staatsbildung. Festungsbauten als Instrument habsburgischer Herrschaft in Krakau und Lemberg (= Polen: Kultur - Geschichte - Gesellschaft; Bd. 8), Göttingen: Wallstein 2024, 352 S., 12 z.T. farb. Abb., ISBN 978-3-8353-5506-4, EUR 39,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Anke Kappler: Johann Joseph Couven (1701-1763). Architekturentwürfe für Stadt, Adel und Kirche, Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft 2009
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Denise Amy Baxter / Meredith Martin (eds.): Architectural Space in Eighteenth-Century Europe. Constructing Identities and Interiors, Aldershot: Ashgate 2010
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Architektur ist ein Paradebeispiel für transdisziplinäre Forschung, denn unser Verständnis für Gebautes wird fragmentarisch bleiben, wenn wir es nur kunsthistorisch, etwa stilgeschichtlich, betrachten. Ebenso fragmentarisch wäre es, wenn wir es nur als sozialen Ausdruck verstünden - denn Architektur hat immer eine spezifische Form, die nicht zufällig entstanden ist. Sich in den komplexen Strukturen und Prozessen staatlicher Verwaltungen zu orientieren, die für Bauagenden zuständig waren, und daraus Erkenntnisse zur Aussagefähigkeit von Architektur zu gewinnen, mag Kunsthistoriker:innen, deren Auge auf die Form geschult ist, schwerer fallen als spezifisch ausgebildeten Historiker:innen. Daher ist es ein großer Gewinn, wenn Historiker:innen wie Frank Rochow mit ihrer Themenwahl eine Brücke zur (kunsthistorischen) Architekturgeschichte schlagen. Dabei befasst er sich mit einem Themenkomplex, der militärischen Architektur, die für die klassische Architekturgeschichte (abgesehen vom Befestigungsbau der Renaissance) leider ein Randthema darstellt.
Rochow geht es in seinem Buch zu den Festungsbauten in Krakau und Lemberg weniger um deren formale Erscheinung als vielmehr um das soziale Gefüge, das diese Bauten entstehen ließ. Er bettet sie in den "beschleunigten" Staatsbildungsprozess der Habsburgermonarchie (71) ein, als mit dem jungen Kaiser Franz Joseph I. die Erschütterungen des Revolutionsjahres 1848 durch zentral gesteuerte Reformen zu besänftigen versucht wurden. Dabei beschränkt er sich auf die kurze Zeitspanne der frühen 1850er Jahre, des Neoabsolutismus. Er beleuchtet den Versuch der Machtzentrale, auf das gesamte Staatsgebiet zuzugreifen, und untersucht, welche Strukturen und Entscheidungsgewalten dafür eingerichtet wurden und wie dieses System funktionierte. Dabei fällt gerade in der Gegenüberstellung der Geschehnisse in Lemberg mit denen in Krakau auf, wie sehr die habsburgische Staatsmacht (zumindest in ihren militärischen Bereichen) ortsspezifisch zwischen autoritärem Zugriff und Berücksichtigung von Partikularinteressen schwankte. Rochow zeigt einerseits die autoritäre Entscheidungsgewalt der zentralen Behörden in der Haupt- und Residenzstadt Wien und andererseits die pragmatischere Lösungssuche, die untergeordnete Stellen in der Provinz an den Tag legten bzw. legen mussten. Die übergeordneten Stellen mussten sich oft aus Unkenntnis der Umstände vor Ort auf die Expertise dieser untergeordneten Stellen verlassen. Indem Rochow auch die lokalen und zivilen Institutionen in Lemberg und Krakau behandelt, ist sein Buch ein lehrreiches Beispiel dafür, wie man den Blick sowohl auf die Makro- als auch auf die Mikroebene richten kann. Interessant sind Rochows Untersuchungen vor allem in Bezug auf jene Strukturen (zum Beispiel der Bauverwaltung), die der höchst zentralistisch agierende Joseph II. im Sinn der Optimierung des Staatswesens etablieren wollte und die wegen der Langwierigkeit der daraus resultierenden Behördenwege zumindest partiell wieder zurückgenommen werden mussten. Diese historische Kontextualisierung liefert Rochow leider nicht, wie er auch andere größere Zusammenhänge nicht eigens thematisiert, an denen sich die Auswirkungen hätten festmachen lassen, etwa die Bedeutung der Vorgänge in der militärischen Bauverwaltung für die Organisationsstruktur der für die Wiener Ringstraße zuständigen Institutionen.
Rochow legt großes Augenmerk auf die methodisch-theoretische Fundierung seines Buches, die dem politikwissenschaftlichen Ansatz der Politikfeldanalyse folgend die inhaltliche Gliederung vorgibt. Das erste Kapitel schildert die politische, militärische und administrative Ausgangslage: die historische Entwicklung der Monarchie um das Jahr 1848, die Bedeutung des Militärs für die neoabsolutistische Monarchie und die Einordnung Galiziens in den Gesamtstaat vor allem in wirtschaftlicher und administrativer Hinsicht. Im zweiten Kapitel behandelt Rochow die Ziele und Pläne, die der Staat in Galizien verfolgte (etwa zu der Frage, welche militärische Rolle Galizien und seine Befestigungen zum Schutz gegen innere wie äußere Feinde einnehmen sollten), stellt die staatlichen Akteure vor (sowohl Personen als auch Institutionen), erklärt die Strukturen der verschiedenen Hierarchieebenen und beschreibt die in Gang gesetzten Handlungen (etwa den Bau der Zitadelle in Lemberg). Im dritten Kapitel kommt er auf die Aktionen und Reaktionen der lokalen Bevölkerung zu sprechen. Wie betrafen militärische Bauprojekte den jeweiligen Wirtschaftsstandort etwa hinsichtlich der Beschaffung von Baumaterial, der Beschäftigung von Arbeitskräften oder der Enteignung von Grundstücken? Auch befasst er sich mit Fragen der lokalen politischen Identität (besonders aussagekräftig am Beispiel des Kościuszko-Hügels in Krakau). Im letzten Kapitel fragt Rochow nach den Einschätzungen der Baumaßnahmen durch die zivile Öffentlichkeit vor Ort: Wie sehr wurden sie als Symbol politischer Unterdrückung wahrgenommen, bzw. wie versuchte die Zentralmacht etwa durch Benennungen von Straßen oder Gebäuden ihre Autorität vor Ort zu manifestieren?
Wichtige Erkenntnisse, die Rochow in seiner Studie liefert, sind zweifellos der durchaus ambivalente Umgang der absolutistisch agierenden habsburgischen Staatsmacht mit den Bedingungen vor Ort. Sie konnte und wollte nicht einfach über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entscheiden, sondern trat in eine Interaktion mit ihr, die je nach Anlass sowohl repressiv als auch entgegenkommend sein konnte, um die "Kooperation mit lokalen Akteur:innen" (304) nicht zu gefährden. Einmal mehr lernen wir, dass die Verwaltung dieses so vielfältigen und heterogenen Staates sehr flexibel auf individuelle Herausforderungen reagieren musste - selbst in Zeiten einer absolutistischen Herrschaftsauffassung mit dem unanfechtbaren Suprematieanspruch gerade des Militärs als Repräsentant kaiserlicher Staatsmacht. Dementsprechend lag die alleinige Entscheidungsgewalt zwar bei den obersten Staatsstellen wie der Generalgeniedirektion, die jedoch ohne das Wissen, die Kompetenz und die Einschätzung selbst von Beamten, die weit unten im Verwaltungsapparat angeordnet waren, aufgrund deren "Informationsmonopols" (302) keine Entscheidungen treffen konnte.
Ein weiteres Phänomen, das die Beamtenschaft der Habsburgermonarchie generell charakterisierte und das wir auch aus anderen staatlichen Geschäftsbereichen kennen, war, dass sie bestens ausgebildete Eliten darstellten und enge Netzwerke bildeten, die sowohl den persönlichen sozialen Umgang als auch ihr professionelles Agieren in dem Berufsfeld, für das sie zuständig waren, förderten. Bemerkenswert sind auch Rochows Feststellungen hinsichtlich der Modernisierungsprozesse innerhalb der Monarchie: Auch wenn das habsburgische Militär konservativ agierte, weil es die traditionellen Machtverhältnisse zu erhalten helfen sollte, war es kein Widerspruch, die modernsten technologischen Entwicklungen für die eigenen Belange einzusetzen - nicht anders als das elektrische Licht und die Telefonleitungen im Inneren der jahrhundertealten Wiener Hofburg, die nach Außen unveränderbare Altehrwürdigkeit ausstrahlen sollte.
Schade ist, dass Rochows Buch ein Register fehlt - da es aber auch als E-book erhältlich ist, kann man natürlich darauf verzichten. Und schade, aber wohl finanziell begründet, ist, dass sein Buch nur wenig bebildert ist und dass gerade Stadtpläne so klein reproduziert sind, dass ihre Lesbarkeit sehr darunter leidet. Aufgrund seiner umfangreichen Archivrecherchen bietet Rochows Buch jedoch einen so reichen Fundus an Daten und Fakten, dass es für weitere Untersuchungen staatlichen Bauwesens in der Habsburgermonarchie von großem Nutzen sein wird.
Richard Kurdiovsky