Rezension über:

Wolfgang Voss (Bearb.): Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Erzbistum Mainz 2. Die Mainzer Erzbischöfe von 1396 bis 1484 (= Germania Sacra. Dritte Folge 21. Die Kirche des Alten Reiches und ihre Institutionen), Berlin: De Gruyter 2023, X + 277 S., 13 Farb-Abb., ISBN 978-3-11-108647-7, EUR 109,95
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Christopher Waldecker (Bearb.): Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Erzbistum Mainz 3. Die Mainzer Erzbischöfe von 1089 bis 1200 (= Germania Sacra. Dritte Folge 23. Die Kirche des Alten Reiches und ihre Institutionen), Berlin: De Gruyter 2024, X + 282 S., ISBN 978-3-11-138230-2, EUR 89,95
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Centro Tedesco di Studi Veneziani, Venedig
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Zwei neue Bände zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe (Rezension), in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 10 [15.10.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/10/39941.html


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Zwei neue Bände zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe

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Das wissenschaftliche Langzeitprojekt der an der Göttinger Akademie der Wissenschaften beheimateten Germania Sacra dokumentiert die Kirchenorganisation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, insbesondere die Bistümer, Domkapitel, Klöster und Stifte, vom Frühmittelalter bis zur Säkularisation um 1800. Zwei neue Bände zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe liegen nun vor. Sie decken den Zeitraum von 1089 bis 1200 bzw. von 1396-1484 ab.

Die Erzbischöfe von Mainz galten seit Bonifatius (gest. 754) bis zum Untergang des Alten Reichs (1803) als erste unter den Reichsfürsten. Dieselbe Position beanspruchten sie auch innerhalb des Reichsepiskopats. Das von ihnen geleitete Erzbistum gehörte zu den bedeutendsten geistlichen und politischen Zentren des Heiligen Römischen Reiches. Dazu trug nicht zuletzt die gewaltige territoriale Ausdehnung bei, die Mainz - als Bistum im 4. Jahrhundert gegründet, ca. 780/82 zum Erzbistum erhoben - zu einer der größten Kirchenprovinzen des Abendlands machten. Zu den insgesamt zwölf Suffraganbistümern zählten u.a. Würzburg, Speyer, Worms, Straßburg, Hildesheim, Halberstadt, Verden, Paderborn und Meißen. Das geistliche Territorium des Erzbischofs mochte zwar deutlich kleiner als die Kirchenprovinz sein, war strategisch aber überaus bedeutend. Es umfasste u.a. Teile von Rheinhessen, Thüringen und Mittelhessen. Als Residenzstädte fungierten Mainz, Ingelheim, Aschaffenburg und Erfurt. Die Mainzer Erzbischöfe hatten bedeutende Ämter inne: sie waren Teil der Fürstenelite des Reiches, gehörten zum erlauchten Kreis der Kurfürsten, fungierten ursprünglich als Erzkapellane, seit 1043 als Erzkanzler in der königlichen Hofkapelle und waren als einflussreiche Berater häufiger im unmittelbaren Umfeld des Königs/Kaisers zu finden. Eines ihrer vornehmsten Rechte bestand in der Einberufung der Königswahl. Das Erzbistum Mainz war im Mittelalter mithin nicht nur eine kirchliche Großmacht, sondern auch ein reichspolitischer Schlüsselfaktor.

Der Bearbeiter des dem 12. Jahrhundert gewidmeten Bandes, Christoph Waldecker, ausgewiesen durch eine Dissertation zu den Mainzer Erzbischöfen des hohen Mittelalters [1], spricht von den Bischöfen als "interessante[n] Akteure[n] in bewegter Zeit" (v), deren Amtszeiten in der Tat von so gewichtigen Phänomenen wie den Kreuzzügen, dem (ausgehenden) Investiturstreit, Dynastiewechseln und Papstschismen geprägt waren. Waldecker konnte bei der Erstellung der biographischen Abrisse nicht nur auf seine eigenen Arbeiten, sondern auch auf all diejenigen Informationen zurückgreifen, die die entsprechenden beiden Bände des Mainzer Urkundenbuchs (Bd. 1 erschienen 1932; Bd. 2.1. und 2.2 erschienen 1968/71) liefern.

Der Bearbeiter des den Zeitraum des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts abdeckenden Bandes, Wolfgang Voss, empfahl sich ebenfalls durch eine einschlägige Dissertation [2], zu der jedoch als ungedruckte Hauptquelle zur Geschichte der Erzdiözese im 15. Jahrhundert die sog. Mainzer Ingrossaturbücher, heute im Staatsarchiv Würzburg verwahrt, hinzukamen. Sie enthalten "in relativer Vollständigkeit" (44) die von der Kanzlei angefertigten Urkundenabschriften des jeweils regierenden Erzbischofs.

Der Aufbau der einzelnen Bände orientiert sich an der für die Reihe der Germania Sacra charakteristischen Ordnung. Auf ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und eine knappe Einleitung folgen im Hauptteil die Beschreibungen derjenigen Personen, die durch Wahl des Domkapitels oder Ernennung des Papstes dazu ausersehen waren, das Erzbistum Mainz zu leiten. In dem das 12. Jahrhundert abdeckenden Band sind dies Ruthard (1089-1109), Adalbert I. von Saarbrücken (1110-1137), Adalbert II. von Saarbrücken (1138-1141), Marcolf (1141-1142), Heinrich I. (von Wartburg) (1142-1153), Arnold von Selenhofen (1153-1160), Christian I. von Buch (1161/62, 1165-1183) und Konrad I. von Wittelsbach (1161-1165, 1184-1200). Burchard von Jechaburg (1158) und Rudolf von Zähringen (1160/61) versuchten vergeblich, sich als Erzbischof durchzusetzen, wurden jedoch mit aufgenommen.

Im vor allem das 15. Jahrhundert berücksichtigenden Band werden acht Personen beschrieben: Jofrid Graf von Leiningen (gewählt, 1396-1397/98), Johann (II.) Graf von Nassau (1397-1419), Konrad (III.) Wildgraf zu Dhaun und Rheingraf zum Stein (1419-1434), Schenk Dietrich Herr von Erbach (1434-1459), Diether von Isenburg Graf zu Büdingen (gewählt und bestätigt, 1459-1461/63), Adolf (II.) Graf von Nassau (1461/63-1475), Diether von Isenburg Graf zu Büdingen (1475-1482, 2. Amtszeit), Albrecht Herzog zu Sachsen, Landgraf in Thüringen und Markgraf zu Meißen (Administrator 1482-1484).

Eine Auflistung der Mainzer Weihbischöfe von 1396 bis 1514 (mit einer klaren Dominanz von Vertretern des Regularklerus) findet sich im Anschluss (unterteilt in die 1. vicarii bzw. vicarii generales (ab 1436) in pontificalibus in partibus Rheni und 2. die vicarii bzw. vicarii generales (ab 1432) in pontificalibus in partibus Thuringiae).

Die thematische Gliederung der einzelnen Personenartikel präsentiert sich vergleichsweise uniform: Auf Angaben zur Herkunft und Vorgeschichte folgen Informationen zur Wahl, zum Verhältnis zu unterschiedlichen politischen Akteuren (benachbarte Landesherrn (Kurpfalz; Hessen und Thüringen), Reichsoberhaupt, Papst, Domkapitel), zur Stellung als Landesherr (Huldigung, Verhältnis zur Stadt Mainz, Verhalten gegenüber Juden), zum Agieren als Ordinarius seiner Diözese (kirchliche Verwaltung, Klosterreform, Vorsteher einer Kirchenprovinz), zu Tod, zu etwaigen erhaltenen Porträts, zur Beurteilung durch Zeitgenossen und im Nachleben und schließlich zu Wappen, Siegeln und Münzen.

Ausgesprochen sorgfältig gearbeitete Register der Personen- und Ortsnamen leisten bei der inhaltlichen Durchdringung hervorragende Dienste. Nicht genug zu rühmen ist das Lektorat (so etwas gibt es noch), dem es gelungen ist, die Anzahl von Druckfehlern und Errata unter die Wahrnehmungsschwelle zu drücken.

Politische Erfahrung, diplomatisches entregent, Geschick in Verwaltungsdingen, Pflege des Verhältnisses zu Papst und König/Kaiser, hochadelige Abkunft und nicht zuletzt auch eine über jeden Zweifel erhabene Frömmigkeit: das war das idealtypische Anforderungsprofil eines (Mainzer) Erzbischofs. Nicht alle Oberhirten konnten die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen. Ausgesprochen instruktiv liest sich vor diesem Hintergrund der Heinrich I. (von Wartburg) gewidmete Artikel, der 1153 sein Amt nicht zuletzt deshalb verlor, weil er den goldenen Mittelweg diplomatischen Taktierens zwischen den Parteien verließ und offensichtlich nicht mehr dazu in der Lage war, seine eigenen Machtinteressen mit denen des Papstes und des Kaisers in Einklang zu bringen. In dem ihm gewidmeten biographischen Abriss gelingt auf weniger als 40 Seiten das Kunststück, eine hochkomplexe Gemengelage so zu verdichten, dass Motivationen und Handlungsmuster zwar kondensiert werden, gleichwohl aber verständlich bleiben und darüber hinaus das Ganze seine Lesbarkeit nicht verliert. Heinrich mochte zu Beginn seines Episkopats ein enges Verhältnis zu Innocenz II. und seinen beiden unmittelbaren Nachfolgern gepflegt haben, doch unter dem machtbewussten Eugen III. gehörten die von gegenseitigem Einvernehmen geprägten Zeiten bald der Vergangenheit an: Der Papst griff in die Maschinerie bischöflicher Verwaltung ein und ließ den Mainzer Oberhirten immer mehr zum bloßen Empfänger päpstlicher Befehle verkommen. Eine Rückendeckung durch den Kaiser unterblieb. Die daraus resultierenden Spannungen kulminierten in der ersten Absetzung des Bischofs im März 1148. Die Wiedereinsetzung nur acht Monate später war von kurzer Dauer: endgültig verlor Heinrich seine Ämter 1153.

Ein ähnliches Anforderungsprofil galt bei der Wahl der Mainzer Erzbischöfe im 15. Jahrhundert. Sie hatten als Oberhirten nicht nur mit dem Großen Abendländischen Schisma, seinen Nachwehen und dem schier unstillbaren finanziellen Durst der Kurie zu kämpfen, sondern mussten sich als Reichsfürsten auch auf äußerst turbulente politische Großwetterlagen einrichten, die stringentes Regierungshandeln erschwerten, wenn nicht gar unmöglich machten. Man wundert sich etwas, dass diese im Wortsinn exzentrischen Persönlichkeiten es offensichtlich nicht vermocht haben, geistliches Schrifttum wie Predigten oder theologische Traktate zu hinterlassen.

Nach der Lektüre der Bände versteht man nicht nur sehr viel besser, wie kleinteiliges erzbischöfliches Handeln, sondern auch die übergeordnete Kirchen- und Reichspolitik mit ihrem komplizierten Zusammenspiel äußerst machtbewusster Akteure funktioniert. Beide Bände machen der Reihe der Germania Sacra große Ehre und zeugen von dem immensen Nutzen, der geisteswissenschaftlichen Langzeitprojekten innewohnt.


Anmerkungen:

[1] Christoph Waldecker: Zwischen Kaiser, Kurie, Klerus und kämpferischen Laien. Die Mainzer Erzbischöfe im Zeitraum 1100-1160, Mainz 2002.

[2] Wolfgang Voss: Dietrich von Erbach, Erzbischof von Mainz (1434-1459). Studien zur Reichs-, Kirchen- und Landespolitik sowie zu den erzbischöflichen Räten, Mainz 2004.

Ralf Lützelschwab