Rezension über:

Anja Schürmann / Kathrin Yacavone (Hgg.): Die Fotografie und ihre Institutionen. Von der Lehrsammlung zum Bundesinstitut, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2024, 469 S., 83 Farb-, 34 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01708-0, EUR 39,00
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Rezension von:
Francisco Vogel
Folkwang Universität der Künste, Essen
Redaktionelle Betreuung:
Franziska Lampe
Empfohlene Zitierweise:
Francisco Vogel: Rezension von: Anja Schürmann / Kathrin Yacavone (Hgg.): Die Fotografie und ihre Institutionen. Von der Lehrsammlung zum Bundesinstitut, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 10 [15.10.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/10/40379.html


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Anja Schürmann / Kathrin Yacavone (Hgg.): Die Fotografie und ihre Institutionen

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Der von Anja Schürmann und Kathrin Yacavone 2024 herausgegebene Band "Die Fotografie und ihre Institutionen. Von der Lehrsammlung zum Bundesinstitut" widmet sich in programmatischer Breite den Institutionalisierungsprozessen der Fotografie in Deutschland. Im Zentrum steht die Frage, wie das Medium Fotografie, in verschiedenen Funktionen zwischen Kunst, Dokumentation, Technik und Alltagsgebrauch, und in verschiedenen institutionellen Kontexten etabliert wurde, welchen Logiken es dabei unterworfen ist, und wie es wechselseitig institutionelle Kontexte prägt. Damit trifft der Band nicht nur einen wissenschaftlich relevanten, sondern auch aktuellen Nerv, wie die seit Jahren geführte Diskussion um das deutsche Fotoinstitut zeigt.

Die Einleitung der Herausgeberinnen bietet eine theoretische Rahmung, die den Blick auf Institutionalisierung als fortwährenden Prozess öffnet. Anja Schürmann und Kathrin Yacavone legen dar, dass Institutionen nicht lediglich Bewahrungsorte sind, sondern auch Macht- und Deutungsinstanzen, die Ordnungen schaffen, Ausschlüsse produzieren und Wertigkeiten festlegen. Thematisch zentral beschäftigt sich der Band mit der Frage, "wann Fotografien Dokumente und wann Monumente sind und welche Praktiken mit welcher Verwendungsweise verbunden sind." (15) Fotografie fungiert mal als gegenüber dem Motiv transparentes Beweismittel, mal als erinnerungskulturell oder ästhetisch aufgeladenes Objekt von eigenem Recht. Die Geschichte fotografischer Institutionen, die in diesem Band entworfen wird, lässt sich auch als Aushandlungsprozess lesen, in dem Institutionen sukzessive den Aspekt des Monuments an der Fotografie stärker in den Blick genommen beziehungsweise in ihre institutionelle Logik integriert haben. Ein weiteres Thema, das sich durch den Band zieht, ist die Interdependenz zwischen individuellem Handeln, institutionellen Rahmen und gesellschaftlichen Möglichkeitsräumen (17). Beide im Titel aufgerufenen Begriffe, Fotografie und Institution, werden eingängig in der nötigen Komplexität eingeführt, womit die Einleitung sowie der darauf folgende theoretische Abriss von Kathrin Yacavone einen angenehmen Start in die Beiträge des Bandes erlauben.

Der Band enthält auf knapp 470 Seiten 39 Beiträge, die in zwölf thematische Kapitel gegliedert sind. Die Spannweite der Beiträge lässt sich exemplarisch an fünf Aufsätzen verdeutlichen. Steffen Siegel widmet sich Otto Steinerts Rolle bei der Etablierung der Fotografie am Museum Folkwang und zeigt, wie aus Steinerts pädagogischer Arbeit die Grundlage einer heute bedeutenden Sammlung entstand, und seine Ausstellungstätigkeit mit dieser Sammlung wiederum die Voraussetzungen für eine Anerkennung von Fotografie als "sammlungswürdig" ermöglichte (37). Hubert Locher nimmt mit dem Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg eine Institution in den Blick, die in besonderer Weise an der Schnittstelle zwischen Fotografie und Kunstgeschichte angesiedelt ist. Er beschreibt, wie sich das Bildarchiv von einer Lehrsammlung hin zu einer Institution entwickelt, in der die gesammelten Fotografien als "komplexe Praxis" verstanden werden (111) - die Fotografien also nicht nur als Bilder betrachtet werden, sondern auch ihre Entstehungsbedingungen und Objektgeschichten Berücksichtigung finden. Weniger beachtete Kontexte rückt Christoph Eggersglüß in den Blick, indem er die Praktiken von Kreis- und Stadtarchiven analysiert, in denen Fotografien oft in einem Zwischenstatus zwischen Dokumentation und Sammlung überliefert werden. Eben dieser Zwischenstatus erlaubt es wiederum, neben dem Gemeinten verschiedene Faktoren der Fotografien in den Blick zu nehmen, die eher kollateral ins Bild und dessen Überlieferung gekommen sind. Mit Stefan Gronerts Beitrag über die Rolle von Galerien in den 1970er Jahren wird deutlich, dass auch der Kunstmarkt maßgeblich an der Institutionalisierung der Fotografie beteiligt war. Schließlich zeigt Miriam Zlobinski am Beispiel des Stern-Archivs, wie pressegrafische Bestände zwischen ökonomischen, rechtlichen und erinnerungskulturellen Rahmenbedingungen verortet sind, und den Statuswechsel der fotografischen Bilder durch die Überführung in eine anders geordnete Institution, in diesem Fall in die Bayerische Staatsbibliothek, also von Presse- zu historischem Archiv.

Neben wissenschaftlichen Aufsätzen finden sich Gespräche mit zentralen Akteur:innen des Feldes, die dem Band eine dialogische Dimension verleihen, sowie künstlerische Positionen, die institutionelle Rahmungen in ästhetischer Form reflektieren, und durch erhellende Begleittexte als relevante Beiträge ernstgenommen werden, mithin gerade kein auflockerndes Beiwerk sind. Ein besonderes Schmuckstück ist die kooperativ erarbeitete Zeitleiste fotografischer Institutionalisierung in Deutschland, die auf 18 Seiten bekannte Meilensteine und gelegentlich übersehene kleine Schritte bündelt. Die Kombination aus Theorie, Praxis und Kunst verleiht der Publikation eine dem Gegenstand und seiner Aktualität angemessene Lebendigkeit und Vielstimmigkeit.

Eine Geschichtsschreibung fotografischer Institutionen in Deutschland im engeren Sinne unternimmt der Band nicht. Durch die geschickte Auswahl der Beiträge werden aber die zentralen Akteur:innen, Institutionen und Themen behandelt, die Gegenstand einer solchen Geschichtsschreibung wären. Die gezielten Schlaglichter leuchten das Feld vielleicht nicht in Gänze aus, konturieren aber die wichtigen Landmarken. Damit bietet der Band einen breit gefächerten Einstieg in ein Forschungsfeld, das bislang unterbelichtet war. Der interdisziplinäre Ansatz und die Vielfalt der untersuchten Gegenstände sorgen dafür, dass der Band nicht nur bei einem Interesse am konkreten Thema des Bandes oder der Debatte um das, was mittlerweile deutsches Fotoinstitut heißen soll, sondern auch bei einem allgemeineren Interesse an der Fotografiegeschichte in Deutschland lesens- und empfehlenswert ist. Das breite Interesse an diesem Band lässt sich auch an bisher veröffentlichten Rezensionen ablesen - es dürfte eher selten vorkommen, dass ein Tagungsband sowohl auf H-Soz-Kult [1] als auch in der ProfiFoto [2] besprochen wird.


Anmerkungen:

[1] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-144798

[2] https://www.profifoto.de/szene/buecher/2025/04/24/die-fotografie-und-ihre-institutionen/

Francisco Vogel