Anna Foka / Jan von Bonsdorff: AI and Image. Critical Perspectives on the Application of Technology on Art and Cultural Heritage (= Cambridge Elements. Critical Heritage Studies), Cambridge: Cambridge University Press 2025, 75 S., e-book, ISBN 9781009505475, GBP 18,00
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Élisabeth Décultot: Untersuchungen zu Winckelmanns Exzerptheften. Ein Beitrag zur Genealogie der Kunstgeschichte im 18. Jahrhundert, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2004
Linn Burchert: Das Bild als Lebensraum. Ökologische Wirkungskonzepte in der abstrakten Kunst, 1910-1960, Bielefeld: transcript 2019
Britta Hochkirchen: Bildkritik im Zeitalter der Aufklärung. Jean-Baptiste Greuzes Darstellungen der verlorenen Unschuld, Göttingen: Wallstein 2018
Das hier anzuzeigende Buch ist in der Reihe "Cambridge Elements" erschienen, von der der Verlag selbst schreibt: "Cambridge Elements combine the best features of books and journals to create a quick, concise publishing solution for researchers and readers in the fields of academic publishing and scholarly communication". [1] Es gehört damit zu einem seit Jahren florierenden Publikationstyp, der seine Beschränkungen hat, aber doch ermöglicht, eine fundierte Einsicht in Gebiete zu erlangen, die vielleicht nicht eben in das Spezialgebiet der jeweiligen Leser gehören, bzw. die auch bei Studierenden beliebt sind, die sich schnell in ein Thema einarbeiten müssen.
Der Gegenstand ist hochaktuell - dies zu betonen, ist wie Eulen nach Athen tragen. Er hat Implikationen, die game changing zu nennen fast noch untertrieben zu sein scheint, auch wenn vielen die forschungspolitisch gängig gewordene Innovationsrhetorik inzwischen gehörig auf die Nerven gehen dürfte.
Die wichtigen Aspekte des ungeheuer komplexen Gegenstandes sind in dem schmalen Bändchen alle wenigstens berührt. Die unterschiedlichen Ansätze der Künstlichen Intelligenz bzw. des maschinellen Lernens werden genannt. Dabei widmen sich die Autoren auch der vor allem in den Geisteswissenschaften hitzig diskutierten Bias-Problematik, also den Verzerrungen, die durch die KI zuweilen noch verstärkt werden. Denn diese steht und fällt mit den für die KI unverzichtbaren Trainingsvorgängen nach menschengemachten Kategorisierungen, die ganz naturgemäß nicht ohne subjektive und z.B. erziehungsbedingte Vorprägungen auskommen. Die letztlich in der Statistik begründete Funktionsweise der KI hat eine Konsequenz, die sich klarzumachen für viele ein Problem darstellt: "Truths are therefore replaced by plausibility" (13). Gerade letzteres aber impliziert, dass die KI immer nur ein Erkenntnisassistent ist und die menschliche Intervention nicht überflüssig macht. Aber was für ein ungeheuer mächtiger Assistent! Er kann bei der Klassifizierung großer Datencorpora wie Bilddatenbanken helfen, erstaunlich inhaltsreiche Beschreibungen von Kunstwerken liefern, Transkriptionen von archivalischen Dokumenten übernehmen, fragmentarisch erhaltene Werke zusammensetzen (eine Tatsache, die die Bedeutung der KI vor allem in der Archäologie unterstreicht), Fehlstellen in Kunstwerken ergänzen etc. pp. Die vielleicht tiefgreifendste Transformation betrifft ihren Anti-Logozentrismus: Wenn bislang das Wort immer Ausgangspunkt der Suche und Analyse von Kunstwerken war, so ändert sich dies unter KI-Bedingungen entscheidend: Einstiegsmedium kann nunmehr jede Modalität sein, ich kann mit Bildern nach Bildern suchen, Töne in ein Verhältnis zur Bildlichkeit setzen usw. Es dürfte außer Zweifel stehen, dass hiermit auch für die Historiker nunmehr eine entschieden erweiterte Analytik zur Verfügung steht, die mancherlei unerwartete Korrelation offenlegen wird.
Die Kehrseiten der KI werden aber von den beiden Verfassern nicht übersehen. Einmal betreffen sie die bisherige Unvollkommenheit der Systeme, die mit dem sogenannten semantic gap zu tun haben, also der Lücke zwischen den elektronischen Repräsentationen und den menschlichen Bedeutungszuweisungen. Ist dieses gap bei real world fotografischen Darstellungen inzwischen relativ klein geworden, gilt dies für Kunstwerke, erst recht für nicht realistische, deutlich weniger. Stärker in der Diskussion aber sind die deep fakes, also Bilder von Objekten bzw. Objektzusammenhängen, die jegliche Abbildungshaftigkeit verloren haben und reine Phantasieprodukte sind. Nicht jeder Kunstgeschichte Betreibende wird auch die von den Autoren einigermaßen euphorisch betrachtete Möglichkeit goutieren, die Mona Lisa dadurch in Bewegung zu setzen, dass sie z.B. mit dem Betrachter zu reden anfängt oder dass man in Menzels Piazza delle Erbe in die Via dei Pellicciai eintritt, um zu sehen, wie dort die Häuser aussehen - und seien es die historisch belegten Häuser des späteren 19. Jahrhunderts. Zwar wird die Vermittlung der cultural heritage auf diesem Wege ganz sicherlich einen deutlichen Aufschwung erlangen, fraglich aber bleibt, ob damit nicht die Rankesche Frage nach dem "wie es eigentlich gewesen" doch eher in den Hintergrund rückt.
Mancher Leser wird ein wenig Probleme mit der Gewichtung der einzelnen Passagen haben und bemängeln, dass die unterschiedlichen technischen KI-Ansätze, welche für den Laien sowieso schwer zu verstehen sind, im Vergleich zu den eher kunsthistorischen Passagen zu ausführlich behandelt sind. Auch ein eigener Abschnitt, der sich der Frage "Was ist ein Bild?" widmet, scheint in einer Publikation, die letztlich nur gut 70 Seiten umfasst, vielleicht doch eher dysfunktional. In der Tat hätte eine umfangreichere Nennung und Explikation von Fallbeispielen die von den Autoren behauptete revolutionäre Implikation der KI-Technologien noch besser belegt. Insgesamt ist hier aber eine konzise, kenntnisreiche und auch enthusiastische Darstellung einer für die klassischen Geisteswissenschaften vorderhand einigermaßen mysteriösen Methodik gelungen. Das gilt auch für die abschließenden Hinweise für das Design einer eigenen KI-Anwendung. Einerseits ermutigt sie zu eigener Aktivität, andererseits warnt sie vor einer naiven Herangehensweise. Bis auf weiteres wird hier eine gut gelenkte Kooperation von Kunstgeschichte o.Ä. mit der Informatik weiterhin notwendig sein. Dann aber dürften sich für die auch beruflichen Perspektiven des Nachwuchses große Chancen ergeben.
Anmerkung:
[1] https://www.cambridge.org/core/publications/elements
Hubertus Kohle