Rezension über:

Paula Fredriksen: Ancient Christianities. The First Five Hundred Years, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2024, XXI + 263 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-0-691-15769-6, USD 29,95
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Rezension von:
Wolfram Kinzig
Abteilung für Kirchengeschichte, Evangelisch-Theologisches Seminar, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Wolfram Kinzig: Rezension von: Paula Fredriksen: Ancient Christianities. The First Five Hundred Years, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/39755.html


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Paula Fredriksen: Ancient Christianities

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Übersichtsdarstellungen der Geschichte des antiken Christentums haben derzeit vor allem im deutschsprachigen Raum Hochkonjunktur: Die Althistoriker Hartmut Leppin [1] und Peter Heather [2] schildern diese Geschichte in unterschiedlichen Längsschnitten für das Bildungsbürgertum. Die evangelischen Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild und Volker Drecoll, [3] Peter Gemeinhardt [4] sowie Katharina Greschat [5] schreiben vor allem faktengesättigt für Studierende, und der Neutestamentler Jens Schröter [6] bietet eine knappe Zusammenfassung der Geschichte des vorkonstantinischen Christentums in einer bewährten Reihe für die schnelle Lektüre zwischendurch. Zu guter Letzt hat der katholische Patristiker Andreas Merkt eine monumentale interreligiöse Erzählung der Geburt der modernen Religion aus dem Schoß der Spätantike vorgelegt. [7]

Nun kommt aus den USA noch eine weitere Synthese aus der Feder von Paula Fredriksen, der vielfach ausgezeichneten, emeritierten Professorin für Bibelwissenschaft an der Boston University und langjährigen Gastprofessorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem, hinzu. Fredriksen ist vor allem mit grundlegenden, zu Recht hochgelobten Arbeiten zum antiken christlichen Antijudaismus und zur Entstehung des Christentums aus dem Judentum sowie mit einer Ideengeschichte des Begriffs der Sünde hervorgetreten. Nun präsentiert sie auf etwas über 200 Seiten plus umfangreicher Anhänge die Geschichte des antiken Christentums für die Podcast-Generation. Fredriksen ist nämlich eine glänzende Stilistin, die funkelnd erzählen kann, den Leser nicht mit allzu vielen Namen oder Jahreszahlen belästigt und auf Fußnoten verzichtet. Sie geht auch nicht streng chronologisch vor, sondern setzt in sieben Kapiteln thematische Schwerpunkte.

So beginnt sie ihre Erzählung mit den Ursprüngen der Christusverehrung im Judentum des Zweiten Tempels und umreißt dann die Vielgestaltigkeit der "Christentümer" des 2. und 3. Jahrhunderts: "Proto-Orthodoxe", Valentinianer, Markioniten, Manichäer - die gesamte Vielfalt der mehr oder weniger christlichen Gruppen wird hier aufgeblättert. Die Vorurteile gegenüber Christen und ihre Hintergründe, Marginalisierung, Verfolgung und Martyrium werden in Kapitel 3 beschrieben. Besonders hebt Fredriksen dabei mit der neueren angelsächsischen Forschung die literarische Fiktionalisierung der Unterdrückungserfahrungen zum Zwecke der Formung christlicher Identitäten hervor. Kapitel 4 widmet sich der Vielzahl an Endzeit- und Erlösungsvorstellungen. Das Kapitel "Christ and Empire" (Kapitel 5) setzt eher unerwartet mit "theology" ein, einer "Diskursform, die von Natur aus die Domäne einer winzigen intellektuellen Elite" bildete (115). Wir hören von anfänglichen Deutungen der Gottheit Christi und von dogmatischen Auseinandersetzungen als "power politics" (129, 142, 235) in der Zeit der Reichskirche. Daran schließt sie eine Skizze des "asketischen Labors" (148) samt Ausbildung des Mönchtums an und behandelt den Umgang mit dem Körper (Kapitel 6). Die Marginalisierung und Unterdrückung der paganen Kulte sowie die Aneignung paganer (und jüdischer) Praktiken wie der Magie sind Thema von Kapitel 7, bevor die Darstellung mit Überlegungen zur Attraktivität und Ausbreitung des Christentums endet. Im Anhang finden sich eine ausführliche chronologische Übersicht und kommentierte Literaturhinweise für eine englischsprachige Leserschaft.

Fredriksen erzählt die Entstehung des Christentums als eine Konfliktgeschichte mit Lust an der polemischen Zuspitzung: oben gegen unten, Elite gegen Volk, Bischöfe gegen Laien, Orthodoxe gegen Häretiker, Uniformität gegen Diversität, asketischer Rigorismus gegen Alltagspragmatismus, Seele gegen Körper, Himmel gegen Hölle. Von Anfang an streiten sich die Christen, versuchen die Bischöfe das Chaos zu kontrollieren, indem sie Abweichler disziplinieren - Kirchenpolitik ist Realpolitik mit geistlichem Anstrich. Theologische Modelle werden vor diesem Hintergrund zügig zu "Ideologien" erklärt; "Martyrium" und "Heiligkeit" sind in erster Linie literarische Konstrukte, Keuschheit ein Mittel zur Verteufelung des Körpers und der Sexualität. Dadurch wird die Lektüre sehr süffig, zumal Fredriksen in unnachahmlicher Weise aus der Kirchenväterliteratur die pikanten Anekdoten herausfischt.

Für die knallige Pointe nimmt sie dann aber auch gerne Einseitigkeiten in Kauf und lässt aus meiner Sicht allzu viel am Wegrand liegen. Die Perspektive bleibt romanozentrisch. Vandalen und Goten kommen nur als "Invasoren" in den Blick, obwohl auch sie Christen waren (was die Verfasserin natürlich weiß). Abgesehen davon tritt die Autorin aus der Haltung der "beobachtenden" Religionshistorikerin keinen Moment heraus. Sie schreibt wenig über Spiritualität und Glaubensformen. Religion, auch christliche, ist bei ihr vor allem doing, nicht so sehr believing. Das führt zu Verkürzungen: Die griechische Theologie nach Origenes bleibt weitgehend außen vor. Die Ausführungen zu den trinitarischen und christologischen Auseinandersetzungen geraten allzu plakativ und machen überhaupt nicht deutlich, warum diese Auseinandersetzungen so virulent wurden. Wichtige Ereignisse wie die Konzilien von Konstantinopel 381 und Ephesus 431 werden nur en passant (134) bzw. gar nicht erwähnt. Die kunstvoll komponierte Unionsformel von 433 gilt als "zusammengestückelter Kompromiss" (137). In diesem Zusammenhang begegnen leider auch sachliche Fehler: "homoousia" und "homoiousia" (129, 141, 195, 215, 220) sind keine griechischen Substantive, und die Gegenposition heißt nicht "Anomian" (129), sondern "Anomoean" (von griech. anhómoios, unähnlich). Hauptvertreter der Anhomöer war auch nicht Georg von Alexandrien (129), sondern waren Aetios und Eunomios.

Allzu wenig erfährt man über die Entwicklung des Gottesdiensts - von Anfang an ein wesentliches Element christlicher Gemeinschaftsbildung. Religiosität ist stattdessen gekennzeichnet durch Ritenerfüllung und den Gebrauch von Amuletten und Zaubersprüchen. So werden auch Taufe und Eucharistie auf wenigen Zeilen verblüffenderweise unter dem Stichwort "Magie" behandelt (180). Sakramente sieht die Verfasserin einzig als "a controlling type of Christian mageia" (181). Die Christen gingen auch überwiegend nicht zum Gottesdienst, weil die Kirchengebäude dafür angeblich gar nicht ausreichten, sondern liebten es, auf den Gräbern der Ahnen und an den Schreinen der Märtyrer Feste zu feiern (85, 191f, 194, 196, 200 - hier greift Fredriksen auf Ramsay MacMullens vieldiskutierte, aber ebenso auch -kritisierte These von der "Second Church" zurück).

Fast nichts habe ich zum Thema der Entstehung eines Systems christlicher Diakonie gefunden, die Kaiser Julian, wahrlich kein Freund des Christentums, so beeindruckt hat. Die Humanisierung der spätantiken Gesellschaft verdankte sich schließlich vor allem der Kirche und deren philanthropía gegenüber Fremden und Fürsorge für Witwen, Kranke und Arme, die auf den Geboten der Nächstenliebe und des Almosengebens basierten.

Last but not least fehlt auch der Beitrag des Christentums zur Entstehung einer ungeheuren Fülle an literarischen Gattungen und künstlerischen Ausdrucksformen, von der Predigt über die Hagiographie bis zum Hymnus, die für die Entstehung der europäischen Kultur und darüber hinaus von unermesslicher Bedeutung gewesen sind.

Die Bilanz bleibt daher insgesamt zwiespältig. [8] Wer eine unterhaltsame Lektüre in bester angelsächsischer Erzähltradition sucht, in der mutig Schneisen in eine unübersichtliche Materie geschlagen werden, ist bei diesem Buch gut aufgehoben. Wer es allerdings etwas präziser wissen will, sollte zu einem der eingangs genannten Bände greifen.


Anmerkungen:

[1] Hartmut Leppin: Die frühen Christen von den Anfängen bis Konstantin, München 2021 (3. Aufl.).

[2] Peter Heather: Christentum. Aufstieg und Triumph einer Religion, Stuttgart 2025.

[3] Wolf-Dieter Hauschild / Volker Drecoll: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. I: Alte Kirche und Mittelalter, Gütersloh 2023 (3. Aufl., vollständig überarbeitete Neuausgabe 2016).

[4] Peter Gemeinhardt: Geschichte des Christentums in der Spätantike, Tübingen 2022 (Neue Theologische Grundrisse).

[5] Katharina Greschat: Kirchengeschichte I. Von der Alten Kirche bis zum Hochmittelalter, Leipzig 2023 (Lehrwerk Evangelische Theologie 3).

[6] Jens Schröter: Die Entstehung des Christentums. Von den Anfängen bis zu Konstantin dem Großen, München 2024 (Beck'sche Reihe 2951).

[7] Andreas Merkt: Die religiöse Verwandlung der Welt. Die Anfänge "moderner" Religion in der Spätantike, Freiburg im Breisgau 2024.

[8] Einzelkorrekturen: Marcellina (51, 187) fehlt im Namensregister. Ungenau 136f: "Apollonaris of Laodicea" - richtig im Personenindex. Die Schreibweise "Ufilas" für (W)Ulfila(s) (140f, 216) ist ungewöhnlich. 240 und im Register muss es heißen: Thomas Jürgasch.

Wolfram Kinzig