Rezension über:

Armin Owzar: Doppelter Neuaufbau auf altem Grund. Deutschland in der Besatzungszeit (1945-1949) (= Geteilte Geschichte. Deutschland 1945-2000; Bd. 1), Stuttgart: W. Kohlhammer 2025, 258 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-033220-1, EUR 34,00
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Rezension von:
Arnd Bauerkämper
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Arnd Bauerkämper: Rezension von: Armin Owzar: Doppelter Neuaufbau auf altem Grund. Deutschland in der Besatzungszeit (1945-1949), Stuttgart: W. Kohlhammer 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 12 [15.12.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/12/40734.html


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Armin Owzar: Doppelter Neuaufbau auf altem Grund

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Ausgehend von Christoph Kleßmanns frühen Büchern, sind vor allem seit der Jahrtausendwende mehrere Gesamtdarstellungen veröffentlicht worden, welche die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und zur DDR nicht - wie lange üblich und noch 2009 in der Neuausgabe des "Gebhardt"-Handbuches praktiziert - getrennt voneinander behandelt, sondern Bezüge zwischen ihnen nachgezeichnet und erklärt haben [1]. Im Einzelnen sind dabei bilaterale Wahrnehmungen, Aneignungen und selektive Transfers untersucht worden. Als methodische Herausforderung hat sich bei Studien zur "asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte" aber erwiesen, nicht nur die Ähnlichkeiten und Verflechtungen zwischen den Besatzungszonen in Deutschland von 1945 bis 1949 und den beiden deutschen Staaten (für die Jahre von 1949-1990) herauszuarbeiten, sondern auch die Spezifika und - damit verbunden - die wechselseitigen Abgrenzungen. Dies ist in Studien auszubalancieren. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass sich die Bevölkerung und Eliten der DDR stärker an der Bundesrepublik orientierten als umgekehrt, vor allem in den siebziger und achtziger Jahren [2].

Das Buch des an der Universität Sorbonne Nouvelle in Paris lehrenden Historikers Armin Owzar schließt an diese Diskussion an. Der Autor geht von einem "Nebeneinander von Entflechtung und Verflechtung" (16) aus. Nach diesem Konzept spiegelten sich auch in gegenseitigen Abgrenzungen jeweils Bezugnahmen. Damit wird über eine Parallelität hinaus ein dialektisches Verhältnis zwischen einer positiven, affirmativen und einer "negativen Verflechtung" (16, 181) konturiert, welches der Forschung neue Impulse verleihen kann [3]. Zudem geht es dem Verfasser mehr als 35 Jahre nach der Wiedervereinigung darum, in der Historiographie die einseitige Interpretation der Bundesrepublik als "Erfolgsgeschichte" und diejenige der DDR als "Negativfolie" (9) zu überwinden, ohne die normative Unterscheidung zwischen der ostdeutschen Diktatur und der westdeutschen Demokratie einfach zu nivellieren. In seinem Buch wird dieser Anspruch weitgehend erfüllt, denn Owzer argumentiert durchweg differenzierend, auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen Kontinuität und Wandel sowie zwischen Offenheit der Entwicklung und sich verengenden Handlungsspielräumen im besetzten Deutschland von 1945 bis 1949.

Die Darstellung konzentriert sich zwar auf die grundlegenden politischen Prozesse, bezieht aber auch den beginnenden wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Bemühungen um gesellschaftliche Erneuerung ein, zu der nicht zuletzt die Entnazifizierung zählte. Knapper sind die Ausführungen zur Entwicklung der Künste, Medien, Kirchen und des Bildungssystems. Überdies unterschätzt die Deutung, dass der 8. Mai 1945 "für die meisten Deutschen keine einschneidende Zäsur" (32) war, die prägende Wirkung, die der Zusammenbruch der NS-Diktatur und das Ende des Zweiten Weltkrieges auch auf das Alltagsleben im nun besetzten Deutschland entfaltete. Im Einzelnen rekonstruiert und analysiert Armin Owzar zunächst im Anschluss an eine Bilanz und knappen, aber treffenden Ausführungen zu den globalen Folgen des Zweiten Weltkrieges zunächst Reaktionen der Deutschen auf das Ende des 'Dritten Reiches' und die militärische Niederlage 1945.

Anschließend wird die Deutschlandpolitik der Alliierten behandelt, die - wie der Verfasser überzeugend argumentiert - keinem "Masterplan" (48, 178) folgten. Jedoch verengten besonders das zunehmende Misstrauen zwischen den Siegermächten und die Konflikte über Reparationsentnahmen aus Deutschland zwischen ihnen zunehmend den Spielraum für eine gemeinsame Politik. Zugleich konnten die entscheidenden Akteure auf Teilungspläne zurückgreifen, die schon im Zweiten Weltkrieg von führenden Politikern der alliierten Mächte diskutiert worden waren.

Der Umgang mit den Kriegsverbrechern und ehemaligen Nationalsozialisten steht im Mittelpunkt eines weiteren Abschnittes, in dem der Autor treffend den Unwillen und die Unfähigkeit der meisten Deutschen herausstellt, ihr Wissen über die Repressions- und Vernichtungspolitik im 'Dritten Reich' einzugestehen und die NS-Diktatur überhaupt zu verstehen. Letztlich mündeten die Kriegsverbrecherprozesse, die Entnazifizierungsverfahren und die Internierung, die in der SBZ zunehmend auch Gegner der neuen Machthaber erfasste, in eine umfassende Selbstviktimisierung, die ebenso die von den Alliierten angeordnete Demokratisierung erschwerte. Darüber hinaus setzte die sowjetische Besatzungsmacht schon 1945/46 in Schlüsselsektoren der Staatsverwaltung, besonders in der Polizei, Justiz und im Schulwesen, einen relativ umfassenden Elitenwechsel durch. Nicht zuletzt erzwang sie in den ersten beiden Nachkriegsjahren einen tiefen Strukturbruch, so durch die Bodenreform, die Verstaatlichung der Banken, die beginnende Enteignung in der Industrie und die Abschaffung des Berufsbeamtentums. Zwar blieben diese Prozesse auch in der SBZ unvollständig und widersprüchlich, da in ganz Deutschland die Produktion gesteigert, die Versorgung verbessert und das Verkehrsnetz wieder aufgebaut werden musste. Dennoch war in Ostdeutschland die Kontinuität der wirtschaftlichen Strukturen deutlich schwächer als in der Bundesrepublik, wo vor allem das Privateigentum und der Kapitalismus fortbestanden. Wie Owzar argumentiert, sicherten hier besonders die Beharrungskraft der Sozialkulturen in der Transformation der Nachkriegszeit "eher den von den Alliierten eingeleiteten Demokratisierungsprozess, als dass sie in behinderten" (14). Über diese Deutung kann aber durchaus gestritten werden, zumal der Autor selbst festhält, dass ein aus dem Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts tradiertes, in der Ministerialbürokratie weit verbreitetes "etatistisches und antipluralistisches Politikverständnis" (175) den demokratischen Neuaufbau noch in der frühen Bundesrepublik erheblich belastete.

Knappe Synthesen sind für die Forschung und Lehre unentbehrlich; sie stellen aber hohe Anforderungen und bleiben zwangsläufig selektiv, denn nicht alle Aspekte können gleichermaßen intensiv behandelt werden. Dies gilt auch für Armin Owzars Überblick, der nur 184 Seiten umfasst (ohne Abkürzungsverzeichnis, Anmerkungen, Quellen und Literatur). Hinweise auf inhaltliche Lücken sind deshalb beckmesserisch. Zwar finden sich in den Ausführungen zur Ausgangslage 1945 (18-32) durchaus komparativ einordnende Bemerkungen zum außerdeutschen Kontext. Insgesamt bleibt die Perspektive aber weitgehend auf das Verhältnis zwischen den westlichen Besatzungszonen und der SBZ beschränkt, was allerdings auch der Konzeption der Reihe geschuldet ist. Demgegenüber hätten sich besonders in den Abschnitten, die sich mit der Durchsetzung der differenten politischen Systeme, wirtschaftlichen Ordnungen und Verfassungen im besetzten Deutschland befassen, knappe vergleichende Hinweise zu den west- bzw. osteuropäischen Nachbarstaaten angeboten. Zu Recht werden hier aber die zunehmenden Unterschiede und Divergenzen zwischen der SBZ und den anderen Besatzungszonen betont.

Ebenso hält der Verfasser zutreffend fest, dass die Herrschaft der UdSSR und der KPD bzw. (seit April 1946) der SED auch im Osten Deutschlands begrenzt blieb, schon durch die Demarkationslinie und die "Existenz eines Gegenraums" (74) in Gestalt der Bundesrepublik, aber auch durch eigenwilliges und subversives Verhalten der Ostdeutschen selbst. Auch darüber hinaus zeigt die Darstellung, dass vereinfachende Deutungen der komplexen Entwicklung in Deutschland von 1945 bis 1949 nicht gerecht werden. Es handelt sich im doppelten Sinn um eine "geteilte" Geschichte, wie der Reihentitel annonciert. Das Buch Armin Owzars fügt sich in diesen Rahmen überzeugend ein und ist als Überblick nachdrücklich zu empfehlen. Allerdings hätte neben dem Personenverzeichnis ein Sachregister den Nutzen des Bandes noch erheblich erhöht.


Anmerkungen:

[1] Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Göttingen 1982; ders.: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970, Göttingen 1988. Jüngst Gunilla Budde: So fern, so nah. Die beiden deutschen Gesellschaften (1949-1989) (Geteilte Geschichte. Deutschland 1945 - 2000, Bd. 5), Stuttgart 2023 (Rezension in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 11 [15.11.2023], URL: https://www.sehepunkte.de/2023/11/38028.html); Petra Weber: Getrennt und doch vereint. Deutsch-deutsche Geschichte 1945-1989/90, Berlin 2020 (Rezension in : sehepunkte 20 (2020), Nr. 10 [15.10.2020], URL: http://www.sehepunkte.de/2020/10/34332.html). Übersicht über die neuere Literatur zur integrierten deutschen Nachkriegsgeschichte in: Frank Wolff: In der Teilung vereint. Neue Ansätze der deutsch-deutschen Zeitgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 58 (2018), 353-391. Demgegenüber: Wolfgang Benz, Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949 / Michael F. Scholz: Die DDR 1949-1990 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, zehnte, völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 22), Stuttgart 2009.

[2] Zitat: Christoph Kleßmann: Konturen einer integrierten Nachkriegsgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament" (APuZ), B 18-19/2005, 3-11, hier: 10. Vgl. auch ders.: Verflechtung und Abgrenzung. Aspekte der geteilten und zusammengehörigen deutschen Nachkriegsgeschichte, in: APuZ, B 29-30 (1993), 30-41, bes. 30, 39 f. Zur Diskussion, die hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden kann, mit weiteren Belegen: Dierk Hoffmann / Michael Schwartz / Hermann Wentker: Die DDR als Chance. Desiderate und Perspektiven künftiger Forschung, in: Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, 23-70.

[3] Ähnlich auch: Arnd Bauerkämper: Verflechtung in der Abgrenzung. Ein Paradox als Perspektive der historischen DDR-Forschung, in: Mählert (Hg.): DDR, 71-78.

Arnd Bauerkämper