Rezension über:

Alfred Kohler: Ferdinand I. 1503-1564. Fürst, König und Kaiser, München: C.H.Beck 2003, 377 S., 18 Abb., 1 Karte, ISBN 978-3-406-50278-1, EUR 29,90
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Rezension von:
Johannes Arndt
Münster
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Arndt: Rezension von: Alfred Kohler: Ferdinand I. 1503-1564. Fürst, König und Kaiser, München: C.H.Beck 2003, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 12 [15.12.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/12/3748.html


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Alfred Kohler: Ferdinand I. 1503-1564

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Der Habsburger Ferdinand I. gehörte zu den Fürsten der alteuropäischen Welt, denen als nachgeborenen Söhnen ein prominenter Wartestand und im Normalfall ein standesgemäßer Lebensweg ohne Herausforderungen bevorstand. Nicht selten wurde er bedauert, hinter seinem älteren Bruder Karl V. stets zurückstehen zu müssen, zwar an den administrativen Lasten des europaweiten Herrschaftssystems der Habsburger beteiligt zu sein, aber an eigenen Entscheidungen durch die Familienräson gehindert zu werden. Der Wiener Frühneuzeithistoriker Alfred Kohler legt zum 500. Geburtstag seines Protagonisten eine Biografie Ferdinands vor, die keineswegs von einem "frustrierten" Hochadligen ausgeht: Im Gegenteil haben sowohl sein kaiserlicher Großvater Maximilian I. als auch der Bruder dafür gesorgt, dass Ferdinand zum einen eine perspektivenreiche Heirat mit der Jagiellonenerbin Anna von Böhmen-Ungarn schließen konnte, zum anderen durch einen Vertrag mit Karl in die Reichsadministration einbezogen wurde, eine Stellung, die von der Leitung des Reichsregiments 1522 ausging und sich über die Wahl zum Römischen König 1531 bis hin zur Kaiserproklamation 1558 steigerte. Ferdinand I. bewies in dieser Rolle die nötige Selbstdisziplin, die für einen "Teamplayer" in einer großen Herrscherfamilie unerlässlich war, wollte die Dynastie dauerhaft reüssieren. Dass er dabei kein bloßer Ja-Sager war, zeigte sich an vielen Stellen und ab den 1550er-Jahren in immer schärferer Deutlichkeit.

Kohler bekennt sich im Vorwort zur historischen Biografie als wissenschaftlicher Deutungsform (31-34) - der Verfasser hat schon Karl V. biografisch gewürdigt -, und so folgt ein Erzählstrang der Chronologie der Ereignisse. Der andere Strang allerdings ist derjenige der Strukturgeschichte: Jede Phase der Biografie Ferdinands lässt sich auch perspektivisch weiten, um zentrale Probleme des Jahrhunderts auf politischer, wirtschaftlicher und staatswirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder kultureller und kirchlicher Ebene zu behandeln. Nach der Einleitung wird die Exposition des Lebens Ferdinands in drei Kapiteln vorgetragen: 1. Kindheit und Jugend, 2. Erbteilung 1522 und Herrschaftsantritt in Österreich und 3. Persönlichkeit und Familie, wozu nicht nur Charakterschilderungen, etwa in venezianischen Finalrelationen, sondern auch Hinweise auf die verschiedenen Residenzen und Aufenthaltsorte wie überhaupt das Verhältnis des Herrschers zu den Künsten gehören.

Die vier mittleren Kapitel widmen sich der Herrschertätigkeit Ferdinands, zum einen als Berater seines Bruders, zum anderen als Monarch des ostmitteleuropäischen Herrschaftskomplexes. Das vierte Kapitel behandelt Hofstaat und Ratgeber: Kohler diagnostiziert hier einen langsamen Wandel von der Dominanz mitgebrachter spanischer Räte zu einer deutsch-österreichischen Beraterschaft in Wien. Im fünften Kapitel steht die Herrschaftserringung und -sicherung in Böhmen und Ungarn im Vordergrund, hinzu kommt eine Schilderung der ephemeren habsburgischen Verwaltung des Herzogtums Württemberg nach der Ächtung Herzog Ulrichs. Das sechste Kapitel widmet sich der Auseinandersetzung Ferdinands mit der anwachsenden protestantischen Konfessionsbildung, und zwar auf zwei Ebenen: zum einen im Reich, zum anderen bei den ständischen Gruppierungen in seinen Erblanden. Das siebte Kapitel hat die Abwehr türkischer Vorstöße zu Lande zum Gegenstand: Ferdinand musste nicht nur die erste Türkenbelagerung Wiens 1529 überstehen, sondern war zudem durch Querbeziehungen des ungarischen Adels zu den Türken und das damit verbundene Unruhe- und Konfliktpotenzial (insbesondere in Siebenbürgen) bedroht. Türkenbedrohung und Konfessionskonflikt verknüpften sich: Ferdinand musste sowohl auf die protestantischen Reichsstände als auch auf die Landstände der österreichischen Herzogtümer Rücksicht nehmen, ohne deren Steuerbewilligungen er nicht gegen das Osmanische Reich Krieg führen konnte. Kohler weist darauf hin, dass Ferdinand seine Hoffnung auf ein allgemeines Konzil setzte, allerdings davon überzeugt war, das es nicht zu Stande kommen würde, wenn sein Bruder nicht Druck oder sogar Zwang gegenüber dem Papst und den protestantischen Fürsten ausüben würde (200f.).

Die vier letzten Kapitel zeigen Ferdinand als immer selbstständigeren Herrscher. Das achte Kapitel schildert seine wichtigste politische Leistung, nämlich die Vermittlung des Augsburger Religionsfriedens von 1555, als Prozess, der sich an den "geharnischten Reichstag" von 1548 anschloss und zum einen mit höchstem politischen Geschick gegenüber den protestantischen Reichsständen verbunden war, zum anderen aber mit einem schrittweisen Emanzipationsprozess von seinem kaiserlichen Bruder - ohne dass es zum offenen Bruch kam. Es gelang Ferdinand nicht nur, seine Sukzession im Kaiseramt durch den Rücktritt Karls zu realisieren, sondern auch zu verhindern, dass, wie von Karl gewollt, ihm selbst Philipp II. als Reichsoberhaupt nachfolgte. Das neunte Kapitel behandelt Ferdinands Kaisertum von 1558 bis 1564. Die Schlusskapitel greifen weitergehende Nachfolgeregelungen Ferdinands auf und untersuchen das Ableben und Nachleben des Kaisers.

Alfred Kohler verdeutlicht, dass Ferdinand I. ungeachtet seiner Rolle im Hintergrund der kaiserlichen Selbstdarstellung seines Bruders Karl aktuelle Bedeutung besitzt. Zum einen war er "Europäer", nicht in erster Linie als europäischer Kriegsherr, sondern durch seine Ausbildung in Spanien, seine kurze Jugendzeit in den Niederlanden sowie seine Regierungszeit in Österreich, dem Reich, Böhmen und Ungarn (315). Dabei entwickelte sich der Habsburger vom West- zum Zentraleuropäer, ohne dass dies einen derart starken Wandel zur Voraussetzung gehabt hätte wie Karls Transformation zum Spanier seit den 1520er-Jahren. Zum anderen betont Kohler Ferdinands dauerhafte Verdienste, die nicht nur in der Vermittlung des Religionsfriedens, sondern auch in der Stiftung der Donaumonarchie lagen (315f.). Im Gegensatz zu Karl hat Ferdinand keine nennenswerten Aktivitäten entfaltet, sich Denkmäler für die Nachwelt zu setzen. Dessen ungeachtet weist Alfred Kohler in seiner angenehm lesbaren, sorgfältig aus profunder Quellenkenntnis gearbeiteten und überlegt strukturierten Arbeit nach, dass Ferdinand es verdient, in der ersten Reihe der frühmodernen Kaiser zu stehen.

Johannes Arndt