Peter Claus Hartmann (Hg.): Die Mainzer Kurfürsten des Hauses Schönborn als Reichserzkanzler und Landesherren (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; Bd. 10), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 256 S., ISBN 978-3-631-39836-4, EUR 40,40
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Mehr als ein Jahrzehnt hat die Forschung sich für die Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn kaum interessiert. Nach den einflussreichen politik- und sozialgeschichtlichen Studien Alfred Schröckers,[1] der kirchenhistorischen Friedhelm Jürgensmeiers[2] und den kunsthistorischen Studien zur Ausstellung des Germanischen Nationalmuseum 1989 [3] erschienen nur wenige Aufsätze über diese prominenteste Familie der barocken Reichskirche. Zu fest gefügt, zu eindeutig war offenbar das Bild, das man in den 1970er-Jahren unter den Stichworten Patronage, Episkopalismus und Repräsentation von ihr gewonnen hatte.
In jüngster Zeit beginnt diese Situation sich zu ändern. Gleich drei gewichtige Studien sind in den letzten Jahren über die Schönborn-Fürsten entstanden: abermals von Seiten der Allgemeinhistorie, der Kirchen- und der Kunstgeschichte.[4] Offenbar ist die Forschung wieder in Fluss gekommen, nimmt sie die vermeintlich bekannten Größen neu in den Blick. Ob die Revision sich zu neuartigen Sehweisen verfestigen wird, steht noch dahin. Unverkennbar jedoch sind die Unvoreingenommenheit und die Ernsthaftigkeit, mit der man sich den Schönborns wieder widmet.
Ein Beleg dafür ist auch das Kolloquium, das Peter Claus Hartmann 2002 in Mainz veranstaltet hat. Neben der Einführung des Herausgebers dokumentiert der Band neun Beiträge von Seiten der Allgemeinen Geschichte, der Rechtsgeschichte, der Kunstgeschichte und der Musikwissenschaft. Bis auf eine Ausnahme sind alle auf die Themenstellung des Kolloquiums konzentriert: "das Wirken und die Bedeutung der zwei Mainzer Kurfürsten des Hauses Schönborn in ihrer Funktion als Reichserzkanzler und Landesherren" (14). Hatte Alfred Schröcker noch umgekehrt gefragt, nämlich wie das politische Amt den sozialen Aufstieg der Familie befördern, ihren Besitz mehren half, so geht es hier darum, was gerade diese Familie (mit ihrer spezifischen Herkunft, ihren Interessen und Befähigungen, ihren Zielen) über das Reichserzkanzleramt für Reich und Territorium bewirkte. Gegenüber dem Entlarvungs-Gestus der Siebzigerjahre wird eine politische, auf das Gemeinwesen insgesamt statt nur auf die Familien- und Standesinteressen bezogene Perspektive zurückgewonnen.
Entsprechend stellt Axel Gotthard im umfangreichsten Beitrag des Bandes zunächst "die äußere Politik" (17) der beiden Schönborn-Kurfürsten dar, ihre Ziele, wie sie sich aus ihren "reichspolitischen Leitvorstellungen" (18) ergaben. Er beschreibt, wie sie das Reich verstanden, als dessen Sachwalter sie sich im Erzkanzleramt sahen: als schützendes Dach über Herrschaften, die für sich allein nicht staatsfähig waren. Daher war es wichtig, dass das Reich handlungsfähig blieb; dass vor allem seine Spitze, der Kaiser, für die Einhaltung der Spielregeln sorgte; dass er sich aber auch selbst daran hielt und die reichsständische Libertät nicht minderte. "Friede und Recht" - so der Titel von Gotthards Beitrag - waren nach den Erfahrungen des Dreißigjährigen Kriegs die Voraussetzungen dafür, das Bewahren der Reichsverfassung auf diplomatischem Weg das Handlungsprinzip der Schönborn-Kurfürsten. Eingehend legt Gotthard dar, wer aus ihrer Sicht gerade den Frieden bedrohte (für Johann Philipp von Schönborn in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Habsburger, für Lothar Franz in den Jahrzehnten um 1700 die Franzosen); wer die Reichsverfassung (zunächst der Fürstenverein, der auf Gleichstellung mit den Kurfürsten drang, dann übermächtige Stände wie Brandenburg-Preußen, die auf dem Weg zur europäischen Großmacht den Reichsverband nur noch als Fessel wahrnahmen); auch wie erfolgreich die Politik der beiden Schönborn-Kurfürsten war (vor allem Lothar Franz wird dabei kritischer beurteilt als in der bisherigen Forschung). Dass diese Politik sich aufgrund wechselnder Konstellationen veränderte, war unvermeidlich. Dass sie dennoch immer demselben reichspatriotischen Prinzip folgte, macht Gotthard plausibel. Inwiefern dies allerdings spezifisch schönbornsch war oder ob es sich nicht aus der Räson des Mainzer Kurfürstentums ergab, bleibt bei ihm offen.
Ebenfalls der Reichspolitik widmet sich Franz Brendle, der "die Rolle Johann Philipps von Schönborn [...] bei der Umsetzung des Westfälischen Friedens" (65) und der Perpetuierung des Reichstags beschreibt. Wie Gotthard interpretiert Brendle den Rheinbund von 1658 als Versuch eines Reichspatrioten, eine "bündische Lösung der Reichsprobleme" zu finden (76). Nachdem dieser Versuch am Vormachtstreben Frankreichs gescheitert war, sei Johann Philipp in die traditionellen Bahnen der Mainzer Reichspolitik zurückgekehrt, die Perpetuierung des Reichstags deren Ergebnis. Auch die im Vergleich mit Lothar Franz von Schönborn sehr viel ausgreifendere, fantasievollere Reichspolitik des ersten Schönborn-Kurfürsten erscheint bei Brendle letztlich als gescheitert - ein Urteil, das die nicht erreichten Maximalziele zum Maßstab hat, nicht das durchaus erfolgreich wahrgenommene Handlungsprinzip.
Wie sah es in der Landespolitik aus? Ihr ist der Beitrag von Karl Härter über "Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz" der beiden Schönborn-Fürstbischöfe gewidmet (83). Statistisch schlüsselt Härter die wechselnde Regelungsdichte und den Anteil der verschiedenen Materien auf, um dann die Bereiche Landwirtschaft (Niedergerichtsbarkeit), Ehe und Sexualität (geistliche Gerichtsbarkeit), Armenfürsorge und Vagantenverfolgung (Sicherheitspolicey) eingehender zu betrachten. Er registriert den gleichen Anspruch auf obrigkeitliche Ordnungspolitik, den gleichen Ausbau des Verwaltungsapparats wie in anderen Territorien des Reichs, auch die gleichen Grenzen, die der Staatsbildung gesetzt blieben (im Fürstbistum durch die Mitregierung von Domkapitel und Vikariat, aber auch durch die Abhängigkeit von den lokalen Genossenschaften). Vor diesem traditionellen Begriff von Landespolitik erscheint das Wirken der Schönborn-Bischöfe alles andere als originell.
"Die Mainzer Kurfürsten von Schönborn und die Kunst" ist das Thema von Georg Peter Karn. Er beschreibt zunächst die Grabmäler der beiden Schönborn-Kurfürsten im Mainzer Dom (gestaltet und finanziert nicht von einem Nachfolger, sondern von Friedrich Karl von Schönborn) und deutet sie "als Teil einer regelrechten 'Memorialoffensive'" der Familie (127). Allerdings erscheine deren bauliche Selbstdarstellung in Mainz "eigentümlich blaß" (127) - was, wie Karn in seinem Überblick über die Bautätigkeit der beiden Fürstbischöfe in Mainz anmerkt, auch an dem Totalverlust gerade der viel gepriesenen Favorite liegt. Ebenfalls der Kunst- und Wissenschaftspolitik widmen sich Axel Beer, der die Hofmusik der Schönborn-Kurfürsten vorstellt, und Helmut Mathy, der "die Reform der Mainzer Universität unter Lothar Franz von Schönborn" rekapituliert (217).
Gleich drei Beiträger beschäftigen sich mit dem prominentesten Berater Johann Philipps von Schönborn. Arno Buschmann stellt die Denkschriften vor, die Leibniz in Mainzer Diensten zur Reform der Jurisprudenz als System und Studium sowie zu einer Neukodifikation des Corpus iuris civilis verfasst hat: originelle Entwürfe, die jedoch unausgeführt blieben. Konrad Amann zählt Leibnizens fränkische Briefpartner auf, um dabei über die Analyse von Korrespondentennetzen allgemein zu reflektieren. András Forgó gibt einen präzisen Abriss der katholisch-protestantischen Unionsbemühungen, die Johann Philipp von Schönborn als Primas der Reichskirche förderte: vor allem die Projekte des Franziskaners Cristobal Rojas y Spinola und wiederum Leibnizens.
Forgó ist leider der Einzige, der auf die Kirchenpolitik eingeht. Über den Umstand, dass es sich bei beiden Schönborn-Kurfürsten auch um Erzbischöfe handelte, dass Johann Philipp ein bedeutender religiöser Dichter war, dass das politische Amt von der geistlichen Stellung nicht unberührt blieb, hätte man gerne mehr erfahren. Möglicherweise wären dadurch auch Politikfelder in den Blick gekommen (wie das Auftreten bei dem spektakulären Konfessionswechsel der künftigen Kaiserin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel 1707 oder bei Kaiserwahl und Kaiserkrönung 1711), die das Besondere Schönborn'scher Politik im Modus von Zeremoniell, Hofkunst und Verfahren deutlicher hätten hervortreten lassen. Insgesamt jedoch liegt hier ein konzeptionell geschlossener Band vor, der die Schönborn-Forschung von alten Stereotypen befreit und damit Anstöße für weitere Untersuchungen geben kann.
Anmerkungen:
[1] Alfred Schröcker: Ein Schönborn im Reich. Studien zur Reichspolitik des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn (1655-1729) (= Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit; 8), Wiesbaden 1978; ders.: Die Patronage des Lothar Franz von Schönborn (1655-1729). Sozialgeschichtliche Studie zum Beziehungsnetz in der Germania sacra (= Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit; 10), Wiesbaden 1981.
[2] Friedhelm Jürgensmeier: Johann Philipp von Schönborn (1605-1673) und die römische Kurie. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte; 28), Mainz 1977.
[3] Die Grafen von Schönborn. Kirchenfürsten, Sammler, Mäzene. Katalog der Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 18. Februar bis 23. April 1989, Redaktion Hermann Maué und Sonja Brink, Nürnberg 1989.
[4] Stephan Mauelshagen: Ordensritter - Landesherr - Kirchenfürst. Damian Hugo von Schönborn (1676-1743). Ein Leben im Alten Reich (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Bruchsal; 18), Ubstadt-Weiher 2001; Andreas Ochs: Um der Reichskirche Schlüssel. Die Bemühungen Johann Philipp und Franz Georg von Schönborns um den Wormser Bischofsstuhl untersucht an ihren Werbungen um die Voten der Domherren, Diss. masch. Frankfurt am Main 2002; Peter Stephan: "Im Glanz der Majestät des Reiches". Tiepolo und die Würzburger Residenz. Die Reichsidee der Schönborn und die politische Ikonologie des Barock, 2 Bde., Weißenhorn 2002; Barocke Sammellust. Die Sammlung Schönborn-Buchheim, Wien. Katalog der Ausstellung im Haus der Kunst, München vom 07. Februar bis 11. Mai 2003, München 2003.
Johannes Süßmann