Stefan Ehrenpreis / Ute Lotz-Heumann: Reformation und konfessionelles Zeitalter (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 138 S., ISBN 978-3-534-14774-8, EUR 16,50
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In den Zeiten der Wirtschaftskrise eine neue Buchreihe zur Geschichtswissenschaft aufzulegen, zeugt von Mut. Und es weckt große Erwartungen, dass gleich der Pilotband ein Kernproblem wie die Reformation thematisiert; dass er an einem Zentrum deutscher Reformationsforschung entstanden ist (am Berliner Lehrstuhl von Heinz Schilling nämlich, an dem die Autoren als Assistenten beschäftigt sind); dass er von einem Herausgeber der Reihe lektoriert wurde. Umso herber ist die Enttäuschung: Der Testband bringt schwerste konzeptuelle Mängel der neuen Reihe an den Tag.
Die "Kontroversen um die Geschichte" sind an Studierende im Hauptstudium adressiert. Ihnen sollen sie bei der "Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen" und auf das Examen Hilfe bieten, ihnen sollen sie "die Auseinandersetzungen" der Forschung "zu Kernthemen des Geschichtsstudiums" präsentieren (VII). Als Einführungsliteratur ist die Reihe also konzipiert; "über diesen unmittelbaren Nutzen hinaus" soll sie aber auch "problemorientiert" (zweimal wird der Ausdruck im Vorwort gebraucht) "zentrale Deutungskontroversen der Geschichtswissenschaft" diskutieren (VII).
Schon diese Aufzählung lässt innehalten. Sie impliziert, die didaktische Einführung in die Forschung und ihre problemorientierte Durchdringung seien zu trennen. Dabei bemisst der Wert einer Einführung sich doch daran, inwieweit sie die verwirrende Fülle von Einzelergebnissen, Kontroversen, Fragen durchsichtig zu machen vermag hin auf wenige Prinzipien, aus denen sie sich ergeben. Die didaktische Einführung in die Forschung setzt deren analytische Durchdringung voraus. Wenn die Herausgeber der neuen Reihe beides additiv und in der falschen Reihenfolge hintereinander stellen, nehmen sie entweder ihre didaktische Zielsetzung nicht ernst, oder mit ihrem Begriff der Problemorientierung kann etwas nicht stimmen.
Forschungskontroversen problemorientiert präsentieren, das müsste heißen, sie zu befragen, zu analysieren, verstehbar zu machen im Hinblick auf etwas anderes. Dieses Andere könnte der Sachverhalt sein, auf den sie sich beziehen (der Erkenntniswert bestünde dann in der systematischen Entfaltung von Sachaspekten der Reformation). Oder es könnten die politischen und gesellschaftlichen Konfliktlagen sein, denen die Kontroversen entsprungen sind (der Erkenntniswert läge dann in der Historisierung der geschichtswissenschaftlichen Forschung). In jedem Fall müssten die Forschungskontroversen problematisiert, das heißt kontextualisiert werden. Stattdessen werden sie von der neuen Reihe aus allen Kontextbezügen gelöst.
Von ihrem geschichtlichen Gegenstand werden die Kontroversen abgeschnitten, indem die Reihe auf eine "Darstellung historischer Prozesse, Strukturen und Ereignisse" verzichtet (VII). Das unterscheidet sie grundlegend von vergleichbarer Studienliteratur wie dem bewährten "Oldenbourg Grundriss der Geschichte", der "Enzyklopädie deutscher Geschichte" oder den "Beck'schen Elementarbüchern". Überall ist der Einführung in die Forschung dort eine knappe Darstellung des Geschehenen vorangestellt; im "Gebhardt" und in anderen Einführungen wird beides in einer erörtenden Darstellung verbunden.
Hier dagegen referieren die Autoren neun Kontroversen zur Reformation, ohne ein einziges Mal zu sagen, wie der Begriff in der Forschung verwendet wird, wie von ihnen selbst. Geht es um die Reformation als Glaubensrevolution (Gnadenlehre)? Als kirchliche Umwälzung (Laienpriestertum)? Als politische Munitionierung der Obrigkeiten ('ius reformandi', Kampf gegen das Universalkaisertum)? Als soziale Bewegung (Bauernkrieg, Täufertum)? Als Veränderung von Lebensführung und Geschlechterbeziehungen (Pflicht- und Berufsethik)? Als Medienrevolution (Buchdruck und Lesekultur)? Oder wird die Reformation als "totales" historisches Phänomen begriffen, das all diese Bereiche umwälzt und sie in neuer Weise aufeinander bezieht? Gerade weil der Begriff für ganz unterschiedliche Sachverhalte gebraucht wird, hätte man ihn erörtern müssen - schon um deutlich zu machen, dass es "die Reformationsforschung" nicht gibt: Was so genannt wird, suggeriert einen gemeinsamen Gegenstand nur mithilfe einer Äquivokation.
Nun sieht das Konzept der Reihe durchaus eine Einführung in den Gegenstand vor. Allerdings erfolgt sie gerade nicht als Begriffs- oder Strukturanalyse. "Die Reformation im Meinungsstreit" ist die Einleitung überschrieben: Vom Selbstverständnis der Reformatoren über die Reformationsdeutung der Konfessionen und Kirchenhistorie bis zu den Kontroversen der modernen Geschichtswissenschaft wird der Bogen darin gespannt (1-9). De facto heißt das: Der Gegenstand wird aufgelöst in die Geschichte seiner Auslegung. Als könne man sich historischen Sachverhalten nur über die Tradition ihrer Deutung und Umdeutung nähern, schneidet das Konzept jeden direkten, strukturanalytischen Zugriff ab. In den Literaturwissenschaften hat man solche Ansätze vor fünfundzwanzig Jahren unter dem Stichwort Rezeptionsästhetik diskutiert - und längst als Irrweg wieder verworfen. Dass die gleiche Verabsolutierung der Tradition jetzt ausgerechnet den Zugang zur Reformation verbaut, entbehrt nicht der Ironie; methodisch überzeugend ist es nicht.
Was soll man von einem rezeptionsgeschichtlichen Ansatz halten, der keinen Unterschied macht zwischen Geschichte als Erinnerung und Geschichte als Wissenschaft (Alfred Heuß)? Übergangslos stehen in der Einleitung konfessionelle und geschichtswissenschaftliche Reformationsdeutungen nebeneinander. Erst nach 1945 sei die "theologische Wahrheitsfrage [...] in den Hintergrund getreten" (10). "Noch" sei "die heutige Forschungslandschaft [...] disziplinär in Kirchengeschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit getrennt" (9). Da möchte man doch nachfragen. Welche Daseinsberechtigung soll eine Kirchengeschichte denn haben, die die theologische Wahrheitsfrage ausklammert? Und welche eine Profanhistorie, für die im "Hintergrund" die theologische Wahrheitsfrage weiter von Belang ist? Nichts verrät die Ungenauigkeit dieser Haltung deutlicher, als dass sie die historische Bruchstelle zwischen Erinnerungskultur und Geschichtswissenschaft verkennt. Keineswegs erfolgte dieser Bruch erst nach 1945. Vielmehr wird er bereits in Rankes "Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation" vollzogen: einem Werk, das, wie der Titel deutlich macht, den theologischen Umbruch ausschließlich im Hinblick auf seine politischen und kulturellen Folgen thematisiert. Die Diskussion, die um 1900 über die Kulturbedeutung (!) der Reformation geführt wurde, baut auf Rankes Pionierleistung auf.
Ohne analytische Unterscheidung von Erinnerungskultur und Geschichtswissenschaft können die Autoren beide Bereiche auch nicht wieder aufeinander beziehen. Weder machen sie deutlich, dass alle neun Kontroversen, die sie ausführlicher vorstellen, politischen und weltanschaulichen Konflikten entsprangen, noch zeigen sie die Werte und Überzeugungen auf, über die in diesen Kontroversen gestritten wurde. Die politisch-weltanschauliche Dimension der Debatten bleibt weitgehend ausgeblendet. Dabei entstammen doch ihr die Energien und die Ursachen der Kontroversen, werden diese doch erst vor dem Hintergrund der Werturteilskämpfe verständlich und interessant. Die "Kontroversen um die Geschichte" verhindern dieses Verständnis geradezu. Als öden Lernstoff präsentieren sie ihren Gegenstand, als Glasperlenspiel einer aus ihren gesellschaftlichen Bezügen gelösten Forschung. Schon wegen dieses sterilen Begriffs von Geschichtswissenschaft mag man die Reihe keinem Studierenden empfehlen.
Ärgerlich sind diese konzeptuellen Mängel auch, weil sie gute Autoren zu verschleißen drohen. Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann haben ein gigantisches Forschungsfeld gesichtet. Pragmatisch haben sie neun Kontroversen ausgewählt, die ihrer Meinung nach für die heutige Forschung von Belang sind (12): zur Epochenbedeutung der Reformation; über Städte und Reformation, ländliche Gesellschaft und Reformation; über das Täufertum; zur Konfessionalisierung und zur Epochenbedeutung der Konfessionalisierung; über den kulturellen Wandel im Zusammenhang mit der Reformation und die Veränderung der Geschlechterverhältnisse; über die Reformation in Europa am Beispiel Englands. Geschickt lassen sie eine Kontroverse aus der anderen hervorgehen, zeigen sie Querverbindungen auf. Wo ihre eigenen Forschungsfelder berührt sind, erkennt der Kundige, dass die Autoren gut begründete Meinungen zu den Kontroversen haben. Warum lässt man Leute solchen Kalibers nicht offen Stellung beziehen? Jede argumentierende Wertung hätte Studierenden wirklich Orientierung geboten - die neutrale Ausgewogenheit, die von der Reihe verlangt wird, durchkreuzt ihr eigenes Ziel.
Johannes Süßmann