Rezension über:

William Bowden / Luke Lavan / Carlos Machado (eds.): Recent Research on the Late Antique Countryside (= Late Antique Archaeology; 2), Leiden / Boston: Brill 2004, XXVI + 596 S., ISBN 978-90-04-13607-6, EUR 99,00
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Rezension von:
Sebastian Schmidt-Hofner
Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Schmidt-Hofner: Rezension von: William Bowden / Luke Lavan / Carlos Machado (eds.): Recent Research on the Late Antique Countryside, Leiden / Boston: Brill 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6750.html


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William Bowden / Luke Lavan / Carlos Machado (eds.): Recent Research on the Late Antique Countryside

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In der aktuellen Debatte über die spätantike Stadt sind die ökonomischen, politischen, sozialen und religiösen Beziehungen, die die Städte mit den sie umgebenden Landschaften verbanden, ein immer wiederkehrendes Thema. Dennoch wurde die einschlägige archäologische Evidenz und überhaupt die Archäologie ländlicher Siedlungsräume bislang nur vereinzelt in die Diskussion mit einbezogen, nie jedoch im Zusammenhang präsentiert. Der hier vorzustellende, 600 Seiten starke Sammelband, der aus den Tagungsbeiträgen zweier Konferenzen in Oxford und Paris im Jahr 2002 hervorgegangen ist, will diese Lücke schließen, indem er anhand sechzehn exemplarischer Einzeluntersuchungen einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, die Methoden und die Fragestellungen der Archäologie des ländlichen Raums in der Spätantike gibt.

Der erste der sieben Themenabschnitte enthält einen bibliografischen Essay von Alexandra Chavarría und Tamara Lewit mit der wichtigsten neueren Literatur zum Thema. Im zweiten Abschnitt ("Economic and Social Life") greift Peter Sarris (55-73) die aktuelle Debatte um die ökonomische Bedeutung des Großgrundbesitzes auf. Ganz im Sinne Jairus Banajis [1] bezieht er dabei Position gegen die Tendenz, angesichts der Prosperität vieler ländlicher Siedlungen im Osten des Reiches die ökonomische Dominanz des Großgrundbesitzes infrage zu stellen. Die prosperierende dörfliche Kultur bildet auch den Hintergrund für den zweiten Beitrag in diesem Abschnitt, in dem Frank Trombley (74-101) die epigrafische Überlieferung des "groß-syrischen" Raumes im Hinblick auf die Sozialgeschichte der ländlichen Siedlungen in der Region auswertet: Aussagekräftig ist das Material vor allem in Bezug auf die Besitzstrukturen, die Folgen der Militärpräsenz sowie, aufgrund der Vielsprachigkeit (Griechisch, Syrisch und Arabisch) der Zeugnisse, die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung.

Ländliche Siedlungsformen kehren als Thema zweier weiterer Abschnitte wieder. Abschnitt 5 ("Villas in Late Antiquity") behandelt eine Siedlungsform, deren spätantike Entwicklungen in mancher Hinsicht als symptomatisch für die Epoche gelten. Beide Beiträge dieses Abschnittes warnen jedoch vor Vereinfachung: Lynda Mulvins (377-410) Typologie spätantiker Villen in den Balkanprovinzen zeigt, dass den Unterschieden im Bauplan eine funktionale, sozioökonomische Differenzierung (zum Beispiel Repräsentationsbauten versus agrarische Nutzgebäude) entspricht, ohne die eine Charakterisierung der spätantiken Villenkultur irreführend wäre. Nach chronologischen Gesichtspunkten ordnet Carla Sfameni (335-375) den archäologischen Befund italischer Villenanlagen, wobei sie zwei Phasen unterscheidet: Das 3. und 4. Jahrhundert war von der Restaurierung bestehender Strukturen nach herkömmlichen Mustern geprägt. Erst im 5. und 6. Jahrhundert lassen sich auf breiter Basis "typisch spätantike" Phänomene wie Kirchenbauten und Befestigungsmaßnahmen feststellen, ohne dass das jedoch zwingend eine Veränderung der sozioökonomischen Funktionen der Villa impliziert.

Eine spezifisch spätantike Siedlungsform behandelt Abschnitt 6 ("Rural Monasteries"). Joseph Patrich (413-445) beschreibt am Beispiel der Wüstenklöster in Ägypten, Judäa und im Sinai die landschaftsformende Dynamik monastischer Siedlungen, die durch Einsiedeleien, Wege, Zisternen oder landwirtschaftliche Anlagen die bestehende Raumstruktur bisweilen von Grund auf veränderten. Die bislang kaum beachtete Frage, inwieweit die Klöster auch in ökonomischer Hinsicht die umliegenden Landschaften beeinflussten, untersucht Beat Brenk (447-476): Die Quellen zeigen dabei deutlich, dass viele Klöster Landwirtschaft, Handwerk und Handel in einem Maße betrieben, das über die Suffizienzwirtschaft hinausging.

Mit dem religiösen Leben des ländlichen Raumes befassen sich zwei Beiträge in Abschnitt 3 ("Sacred Landscapes"). Beatrice Caseau fragt (105-144) nach dem Fortleben der durch ländliche Heiligtümer geprägten paganen Landschaften der Kaiserzeit; sie interpretiert den archäologischen Befund dabei ganz im Sinne der geltenden Forschungsmeinung als Evidenz für die kontinuierliche Vitalität ländlicher Kultsstätten zumindest im 4. Jahrhundert. Kultkontinuitäten lassen sich, wenn auch ohne institutionellen Rahmen und zumeist an abgelegeneren Stätten, jedoch noch über das 6. Jahrhundert hinaus verfolgen. Dem (langsamen) Niedergang der paganen Landheiligtümer steht die Durchdringung des ländlichen Raumes durch christliche Kultstätten gegenüber; exemplarisch für diesen Prozess stellt John Mitchell (145-186) seine Untersuchung eines epirotischen Wallfahrtsortes vor, der zu den zentralen Pilgerzentren der Region gehört haben dürfte.

Die Möglichkeiten zur Rekonstruktion der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ländlicher Siedlungsräume, wie sie durch Surveys gegeben sind, demonstrieren insgesamt sieben Beiträge des Bandes. Dem Osten des Reiches ist dabei Abschnitt 4 ("Recent Rural Survey in Turkey and Adjacent Regions") gewidmet: Marcus Rautman (189-218) zeigt, dass sich die Ergebnisse aktueller und älterer Surveys im gesamten Inselgebiet zu einem - trotz regionaler Abweichungen - insgesamt einheitlichen Eindruck anhaltender ökonomischer und demografischer Prosperität bis ins frühe 7. Jahrhundert ergänzen. Dasselbe Bild ergab ein Survey in Anatolien, den Douglas Baird (219-246) vorstellt und mit anregenden Überlegungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Region interpretiert. Allerdings darf das Bild anhaltender Prosperität nicht verallgemeinert werden: Ein Survey im Territorium von Sagalassos in Pisidien, den das Team um Marc Waelkens im Zuge der dortigen Ausgrabungen unternommen hat (247-280), weist auf eine Schrumpfung der Bevölkerung und einen Rückzug der (zahlenmäßig reduzierten) Siedlungen in strategische Höhenlagen hin. Juanita Vroom (281-331) beschließt den Abschnitt mit einer Klassifikation und historischen Auswertung der Keramikfunde zweier Surveys in Böotien und Lykien.

Surveyergebnisse aus den westlichen und zentralen Provinzen des Reiches schließlich sammelt Abschnitt 7 ("Landscape Change from Gaul to the Balkans"). Die Geschichte einer nordfranzösischen Landschaft rekonstruiert Etienne Louis (479-504): Während die Region bis ins spätere 4. Jahrhundert dicht besiedelt und kultiviert war, ist später ein die Topografie nachhaltig verändernder Rückgang der Siedlungen und der kultivierten Fläche zu konstatieren. Auch die Gegend um Verona war im 5. und 6. Jahrhundert Veränderungen in der Siedlungsstruktur unterworfen, die Fabio Saggioro (505-534) nachzeichnet. In Makedonien herrschte, wie Archibald Dunns Synthese (535-586) von Surveys aus verschiedenen Landschaften der Region zeigt, bis Justinian Kontinuität in der Siedlungsintensität und ökonomische Prosperität. Erst als dieser das Land mit einer dichten Kette von Forts überzog und damit massiv in die Siedlungsstruktur eingriff, habe der ökonomische Niedergang der Region eingesetzt.

"Recent Research on the Late Antique Countryside" will einen Überblick über die Archäologie des ländlichen Raumes in der Spätantike vermitteln. Vollständigkeit ist dabei nicht angestrebt: Archäologische Untersuchungen dörflicher Siedlungen beispielsweise wurden nicht aufgenommen (dafür wird auf den - noch nicht publizierten - Tagungsband des Internationalen Byzantinistenkongresses in Paris 2001 verwiesen), ebenso wenig war die systematische Erfassung aller Landschaften des spätrömischen Reichs beabsichtigt (wie das ein zeitgleich erschienener Sammelband von N. Christie [2] unternimmt). Trotz dieser Auslassungen erfüllt der durch kurze Resümees der Beiträge und einen Index der wichtigsten Namen und Sachen gut erschließbare Band seinen Zweck; seine Mischung von Überblicksartikeln, die über den Forschungsstand informieren, mit der Präsentation aktueller archäologischer Untersuchungsergebnisse macht die Lektüre für den Spezialisten ebenso lohnenswert wie die Beiträge in der Summe eine nützliche Einführung in ein aktuelles Thema bieten.


Anmerkungen:

[1] J. Banaji: Agrarian Change in Late Antiquity. Gold, Labour and Aristocratic Dominance, Oxford 2001.

[2] N. Christie (ed.): Landscapes of Change. Rural Evolutions in Late Antiquity and the Early Middle Ages, Aldershot 2004.

Sebastian Schmidt-Hofner