Anja Meußer: Für Kaiser und Reich. Politische Kommunikation in der frühen Neuzeit. Johann Ulrich Zasius als Rat und Gesandter der Kaiser Ferdinand I. und Maximilian II. (= Historische Studien; Bd. 477), Husum: Matthiesen 2003, 533 S., ISBN 978-3-7868-1477-1, EUR 69,00
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"Vor der Schwierigkeit, ein Leben zu erzählen" [1] stand schon Christian Meier in den 1970er-Jahren, damals im Hinblick auf das Projekt einer Caesar-Biografie. Er machte daher auf die Notwendigkeit aufmerksam, Biografie-Schreibung und Theoriebildung miteinander zu verknüpfen. Dieselbe Frage wurde in den späten Siebzigerjahren auch von anderer Seite diskutiert [2] und stellt biografisch arbeitende Historiker noch heute vor Probleme.[3]
Anja Meußers Biografie über Johann Ulrich Zasius setzt den Akzent jedoch nicht auf konzeptionelle Fragen theoriegeleiteter Biografieschreibung, sondern nähert sich diesem Problem über die Frage, "wie angesichts der konfessionellen Zerrüttung in der Mitte Europas eine Reichs- und Friedenspolitik möglich war, die dem Reich eine sechzigjährige Friedenszeit bescherte" (13). Da das "Kommunikationsverhalten" des kaiserlichen Rates Dr. Johann Ulrich Zasius für die Klärung dieser Frage als zentral angesehen wird, soll insbesondere dargestellt werden, wie der kaiserliche Rat beim Aufbau und bei der Pflege von Kommunikationsbeziehungen vorging (14). Indem Anja Meußer sich eines Vertreters der "imperialen Funktionselite" [4] annimmt, folgt sie dem von Maximilian Lanzinner bereits 1994 formulierten Desiderat [5] der Erforschung sowohl der Biografien als auch der politischen Rolle königlicher und kaiserlicher Räte.
Als erster Sohn aus zweiter Ehe des Freiburger Rechtsgelehrten Ulrich Zasius sehr wahrscheinlich 1521 geboren, wuchs Johann Ulrich Zasius in einem Hause auf, das sowohl als Zentrum humanistischen Gedankenaustauschs als auch als geselliger Treffpunkt für Freiburger Studenten und Professoren galt. Mit 15 Jahren begab sich Johann Ulrich Zasius - nach zwei Jahren des Studiums in Freiburg - zum Jura-Studium nach Padua; 1539 kehrte er wieder nach Freiburg zurück und schloss 1543 die Promotion ab. Zu Zasius' Förderern zählte insbesondere der Basler Humanist und Jurist Bonifatius Amerbach, der Zasius auf dessen Drängen hin eine erste Anstellung an der Universität Basel vermittelte, nachdem Zasius zunächst einige Jahre als herzoglicher Rat in Diensten Herzog Karls III. von Savoyen gestanden hatte. Im April 1547 wurde Zasius durch den Bischof von Arras in den kaiserlichen Hofdienst Karls V. aufgenommen, im November 1547 schließlich zum königlichen Hofrat Ferdinands I. ernannt.
Damit hatte Zasius "das Höchste erreicht, was einem Sohn aus bürgerlichem Hause zu diesem Zeitpunkt an Möglichkeiten offen stand" (49). In Anerkennung der geleisteten Dienste erhielt er im November 1557 von König Ferdinand das Angebot, Kanzler der vorderösterreichischen Lande zu werden (76). Nachdem sich der Amtsantritt aber ständig weiter hinausgezögerte, verzichtete Zasius 1561 schließlich auf diesen Posten. Seit dem Spätsommer 1563 ist er in den Quellen als Vizekanzler zu finden; im Zuge der Neuordnung des Kanzleiwesens ernannte Maximilian II. ihn zum Vizekanzler seiner Kanzlei (81). Als 1565 der bisherige Reichsvizekanzler Seld starb, erbat sich Maximilian den Rat Herzog Albrechts von Bayern hinsichtlich eines geeigneten Nachfolgers. Albrecht empfahl - entgegen den Vorstellungen Maximilians - Dr. Johann Ulrich Zasius; die Besetzung der Nachfolge zog sich daraufhin noch bis 1566 hin, dann wurde Zasius im Rahmen des Reichstags zum Reichsvizekanzler ernannt (85). Obgleich sein Einkommen im Laufe der Jahre stieg, hatte er zeitlebens mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, und nach seinem Tod 1570 stritt seine vierte Ehefrau Agnes von Weiting noch jahrelang mit der Hofkammer um ausstehende Zahlungen (93).
Zasius verdankte seinen Aufstieg seiner Mobilität - zwischen 1552 und 1562 war er im Dienste Ferdinands und Maximilians ständig unterwegs und somit "zwar kein Mann des Hofes, aber ein Mann der Habsburger" (232). Er vertrat die habsburgische Position auf Reichstagen und ständischen Versammlungen, beschaffte Informationen für Ferdinand und Maximilian und spielte durch Gespräche mit den Kur- und Reichsfürsten eine wichtige Rolle im Vorfeld der Königswahl Maximilians (194-201). Im Spannungsfeld zwischen den hohen Anforderungen an Gesandte und Diplomaten aufgrund der geltenden zeitgenössischen Tugendkataloge, der Notwendigkeit völliger Loyalität und den Karrieremöglichkeiten für bürgerliche Juristen in der Frühen Neuzeit ist Zasius' Karriere als exemplarisch für eine frühneuzeitliche Juristen- und Gelehrtenkarriere zu sehen.
Dabei versteht Meußer ihren Protagonisten stets auch selbst als "politisch handelnde[n] Zeitgenosse[n]" (104), der mit den jeweiligen "Zeitumstände[n]" konfrontiert war. Betont wird daher immer wieder Zasius' Blick auf die Reichsinstitutionen und Probleme der Reichspolitik. Dieser Blick auf die Institutionen des Reichs - den Reichstag, die Kreistage, den Reichsdeputationstag sowie das Reichskammergericht - war geprägt von Zasius' Wunsch nach einem starken Kaisertum: Der Kaiser galt ihm als Garant des Friedens nach innen und nach außen. Hinsichtlich des Problems der Landfriedenswahrung engagierte sich Zasius daher - neben seinem eigenen Einsatz für die Festnahme notorischer Landfriedensbrecher - für den Beitritt Ferdinands zum Heidelberger Bund (1553-1556). Angesichts der geringen Durchsetzungskraft des Bundes ging der königliche Rat dann aber wieder auf Distanz zu ihm. Eine ganz ähnliche Entwicklung beobachtet Meußer auch in Bezug auf Zasius' Haltung zum Landsberger Bund (1556-1598). Als Verhandlungsführer König Ferdinands trug er sodann auf dem Reichstag zu Augsburg 1555 maßgeblich zum Zustandekommen des Religionsfriedens bei; seine "persönliche" Haltung zur Konfessionsproblematik im Reich bringt Meußer auf die Formel "Luthernah, papstfern und calvinismusfeindlich" (101). Im Laufe seiner Karriere wurde Zasius mit den Geschäftsabläufen der Reichsinstitutionen vertraut und lernte dabei eine große Zahl fürstlicher Räte und Bediensteter kennen. Meußer betont hier den gegenseitigen Nutzen: Zasius habe davon für seine Arbeit als Reichsvizekanzler profitiert, die betreffenden Räte hofften, ihre Anliegen schneller an den Kaiser bringen zu können (183).
Aufgrund seiner Tätigkeit war Zasius auch für die deutschen Fürsten eine "Informationsquelle ersten Ranges" (330). Die ausführlichen Beschreibungen seiner Kontakte mit einzelnen Reichsständen - den Kurfürsten, den Herzögen von Bayern, Württemberg und Sachsen-Weimar, dem Landgrafen von Hessen, den Reichsstädten Nürnberg, Augsburg und Ulm sowie einigen geistlichen Reichsfürsten - sind Gegenstand eines umfangreichen Kapitels. Die in Gesprächen, mittels Briefen und Zeitungen ausgetauschten Informationen reichten von Fragen der Reichspolitik bis hin zu Tratsch und Klatsch. In seinen Berichten an Ferdinand und Maximilian lieferte Zasius unverblümte, zum Teil derbe Charakterisierungen seiner Gesprächspartner. Da Zasius neben Deutsch nur etwas Latein und einige Brocken Französisch sprach (234), beschränkte sich sein Einsatz auf die deutschsprachigen Gebiete des Reichs und hier auf den süddeutschen Raum; über den deutschen Raum hinaus lassen sich nur einige wenige Zusammenkünfte mit türkischen Gesandten nachweisen.
Zasius' Reisen erforderten eine aufwändige Organisation (so mussten z. B. Pass- und Geleitbriefe besorgt werden); immer wieder auftretende Krankheiten sowie seine notorische Geldnot - auch infolge der Kosten für den Unterhalt auf Reisen, für Boten und Kundschafter - machten ihm nicht wenig zu schaffen. Der harte Alltag des mit Arbeit stets überhäuften königlichen und kaiserlichen Rates wurde jedoch hin und wieder durch gesellschaftliche Anlässe, wie etwa Taufen, Hochzeiten und Jagden, die in der Frühen Neuzeit freilich auch den Charakter "öffentlicher Demonstrationen" (299) trugen, aufgelockert. Trinkfest und gesellig, war Zasius dort ein gerne gesehener Gast - und wusste auch diese Gelegenheiten für die Beschaffung von politischen Informationen zu nutzen.
Anja Meußers Arbeit erhellt auf der Basis der Korrespondenz Dr. Johann Ulrich Zasius' mit Ferdinand I., Maximilian II. sowie mit den oben genannten Fürsten und Reichsstädten die Rolle und Funktion des königlichen und kaiserlichen Rates zwischen 1547 und 1570. Politisch einflussreich aufgrund seiner Position am Hof und seiner persönlichen Kontakte zu den Fürsten sowie von seinem Wesen her ein guter Vermittler, prägte er als einer der bedeutendsten Räte der beiden habsburgischen Kaiser Ferdinand I. und Maximilian II. im 16. Jahrhundert über zwei Jahrzehnte die Reichspolitik mit. Fragt man nach den Akteuren der Reichspolitik, so kann Zasius zu Recht als eine der Schlüsselfiguren gelten. In ihrem Fazit schlägt Meußer den Bogen zurück bis zur Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und kritisiert die damalige Zasius-Kritik (453): Die "wohlmeinende Halbheit" [6] des Rates, die Walter Goetz als Schwäche eingeschätzt habe, müsse im Gegenteil als vermittelnde Haltung zwischen den Konfessionen als "Friedensgarant zwischen Kooperation und Konfrontation" (453) im Reich gelten.
Die Konzentration auf die Perspektive des Dr. Johann Ulrich Zasius und auf seine Sicht der reichspolitischen Probleme und Entwicklungen verleitete Meußer freilich dazu, die Kommunikation der Fürsten und Reichsstände untereinander zu unterschätzen (451) - immerhin pflegten diese untereinander ebenfalls ausführliche Korrespondenzen, trafen sich zu Taufen, Jagden und Fasnachtsfeiern [7], ganz zu schweigen von Fürstenversammlungen wie etwa der Naumburger Tagung protestantischer Reichsfürsten 1555, dem Kurfürstentag 1558 oder der Korrespondenz der Kurfürsten untereinander im Vorfeld der Kaisererhebung Ferdinands I. und der Königswahl Maximilians II. [8] Zasius' bildkräftige Sprache verführte die Autorin außerdem dazu, an vielen Stellen ihn selbst sprechen zu lassen, die Darstellung ist daher (über-)reich an illustrativen Zitaten. Wenn Zasius sich allerdings "verbal zu weit aus dem Fenster lehnte" (163), in den Gesprächen mit den Fürsten "einen guten Draht" (369) suchte oder aber "auf Granit biss" (339), so erweist sich die heutige Umgangssprache deutlich als kompatibel mit den Formulierungen und Metaphern frühneuzeitlichen Ausdrucks.
Hervorgehoben werden muss abschließend der Anhang der Biografie: Er enthält eine Tabelle zur quantitativen Auswertung der Zasius-Korrespondenz mit Ferdinand, Maximilian und einigen wichtigen Reichsständen in den Jahren 1552-1570 sowie insbesondere das detaillierte Itinerar Zasius' zwischen März 1547 und April 1570.
Anmerkungen:
[1] Christian Meier: Vor der Schwierigkeit, ein Leben zu erzählen. Zum Projekt einer Caesar-Biographie, in: Jürgen Kocka / Thomas Nipperdey (Hg.): Theorie und Erzählung in der Geschichte (= Beiträge zur Historik; 3), München 1979, 229-258.
[2] Grete Klingenstein / Heinrich Lutz / Gerald Stourzh (Hg.): Biographie und Geschichtswissenschaft. Aufsätze zur Theorie und Praxis biographischer Arbeit (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit; 6), München 1979.
[3] Vgl. z. B Thomas Winkelbauer (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik (= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes; 40), Waidhofen / Thaya 2000.
[4] Stephan Wendehorst / Siegrid Westphal: Reichspersonal in der Frühen Neuzeit? Überlegungen zu Begrifflichkeit und Konturen einer auf Kaiser und Reich bezogenen Funktionselite, in: Anette Baumann u.a. (Hg.): Reichspersonal. Funktionsträger für Kaiser und Reich (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; 46), 1-20, hier 5. Die in diesem Sammelband diskutierte Problematik der Begrifflichkeiten bzw. Begriffsfindung konnte von Meußer allerdings noch nicht aufgegriffen werden, da der Band erst nach der Einreichung ihrer Dissertation erschien.
[5] Maximilian Lanzinner: Geheime Räte und Berater Kaiser Maximilians II. (1564-1576), in: MIÖG 102 (1994), 296-315.
[6] Walter Goetz: Art. "Zasius", in: ADB Bd. 44, 706-708, hier 708, hier zitiert nach Meußer, 453.
[7] Siehe dazu beispielsweise die umfangreichen Aktenbestände zur Korrespondenz zwischen Sachsen, Hessen und Brandenburg im HStA Dresden.
[8] Zur Korrespondenz der Kurfürsten untereinander im Vorfeld der Kaisererhebung Ferdinands sowie der Königswahl Maximilians siehe Albrecht P. Luttenberger: Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II. (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte; 149: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches; 12), Mainz 1994, 21, 28, 99-145 und passim.
Christine Pflüger