Rezension über:

Andreas Hapkemeyer: Language in Art. Sprachliche Strukturen in der Gegenwartskunst. Beispiele aus dem Museion - Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen, Regensburg: Lindinger + Schmid 2004, 256 S., 100 Abb., ISBN 978-3-929970-58-6, EUR 38,00
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Rezension von:
Stefanie Rentsch
SFB 626, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Rentsch: Rezension von: Andreas Hapkemeyer: Language in Art. Sprachliche Strukturen in der Gegenwartskunst. Beispiele aus dem Museion - Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen, Regensburg: Lindinger + Schmid 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/7457.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Andreas Hapkemeyer: Language in Art

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Bereits die Umschlagabbildung von "Language in Art" spiegelt den Inhalt des Bandes von Andreas Hapkemeyer in zweifacher Hinsicht. Sie zeigt den von dem Konzeptkünstler Lawrence Weiner für ein Südtiroler Silo entworfenen Schriftzug mit den Worten "Brought about" [dt. zu Ende gebracht, geschafft], der von einem schwungvollen Pfeil unterstrichen wird. Damit wird zum einen ein Ziel des Bandes, die Darstellung von sprachlichen Strukturen in der Gegenwartskunst, angedeutet; zum anderen weist Hapkemeyer aber auch darauf hin, dass er mit den in dem Band versammelten Aufsätzen einen Prozess seiner museologischen Arbeit zum Abschluss bringt. Und hier liegt auch die Besonderheit des Buches: Es handelt sich weniger um einen weiteren theorielastigen Beitrag zu der in den letzten Jahren fast ausgeuferten Debatte um Text-Bild-Hybride in der Kunst- und Literaturwissenschaft, vielmehr entstand der Band aus der konkreten Arbeit mit Kunstwerken und Künstlern im musealen Kontext. Dem "Museion" in Bozen seit langen Jahren verbunden, ist Hapkemeyer seit dem Jahr 2000 dessen Direktor und verfolgt dort die Strategie, mittels verschiedener temporärer Ausstellungen den Schwerpunkt des Museums im Bereich "Kunst und Sprache" immer deutlicher herauszuarbeiten.

In der Einleitung des Bandes stellt Hapkemeyer entsprechend zwar die Forschungslage zum Thema "Kunst und Sprache", sowohl von literatur- als auch von kunstwissenschaftlicher Seite, kurz dar, geht aber schnell darüber hinaus und erläutert sein oben vorgestelltes Vorgehen. In den sechs Kapiteln des Bandes benennt Hapkemeyer dann verschiedene Aspekte der Kombination von Text und Bild in der zeitgenössischen Kunst. Dabei unterscheidet er zwischen "Skulpturen aus Sprache", "Text als Orientierungshilfe", "Sprechen als künstlerische Strategie", "Konkrete und konzeptuelle Texte", "Bild oder Schrift" und "High & Low".

Unter dem Titel "Skulpturen aus Sprache" fasst Hapkemeyer zunächst Künstler wie den bereits erwähnten Lawrence Weiner, aber auch Maurizio Nannucci und Jochen Gerz zusammen. Anhand der Arbeiten von Weiner und Nannucci, wie sie in den 90er-Jahren zusammen im Bozner Museum präsentiert wurden, erläutert Hapkemeyer grundsätzliche Funktionsweisen konzeptueller Kunst. Im Falle Weiners sind es Materialien wie Holz und Stein, die, als Worte an die Wand geschrieben, einen Kernbereich seines Œuvres bilden. Die Sprache erscheint als ungenaues 'Abbild' der konkreten Materialien, zugleich ist sie aber auch viel offener als ein Bild. Die sprachlichen Zeichen bilden damit den Ausgangspunkt eines relativ freien Vorstellungsprozesses aufseiten der Museumsbesucher. Ähnliches konstatiert Hapkemeyer für den italienischen Künstler Nannucci, der bevorzugt mit farbiger Neonschrift arbeitet, die an Arbeiten von Bruce Nauman erinnert. Zu dem Phänomen der Schrift tritt hier auch die Sinnlichkeit des für das Auge manchmal fast unerträglichen Scheins der bunten Neonröhren. Hapkemeyer macht deutlich, dass Nannucci in seinen Arbeiten, ähnlich wie Weiner, auf die 'Leerstellen' der Sprache setzt und in Arbeiten wie "More than meets the eye" der Wissens- und Informationsgesellschaft Geheimnisse entgegenhalten will.

Ein anderes, wesentlich seltener direkt thematisiertes Zusammenkommen von Texten und Bildern führt Hapkemeyer unter dem Stichwort "Sprechen als künstlerische Strategie" vor. Mit Arnulf Rainer wendet er sich dabei einem Künstler der traditionellen Tafelmalerei zu und analysiert die Selbstaussagen des Künstlers zu seinem Werk als ein spezielles Verhältnis von Text und Bild. Anhand von Interviews mit dem Künstler entdeckt Hapkemeyer im produktiven Missverstehen zwischen den Gesprächspartnern den für Rainers Kunstauffassung typischen "Schwebezustand zwischen Ernst und Ironie" (126). Die Sprache Rainers zwischen Offenheit und Verstellung, der innere Widerspruch als kreatives Paradoxon ist für Hapkemeyer nicht von den Bildern getrennt zu sehen. Die Worte erscheinen als geistiges Exerzitium, das den Arbeitsprozess an dem fertigen Tafelbild wieder aufnimmt und das Bild als unabgeschlossenes Projekt definiert.

Einen weiteren Schwerpunkt des Bandes bilden Arbeiten aus dem Feld der "Konkreten und konzeptuellen Texte". Als Vertreter dieser Gruppe wählt Hapkemeyer Heinz Gappmayr und Heimrad Bäcker, deren Blätter in Bozen in einen im Jahr 2004 über 2.000 Titel umfassenden Sammlungszusammenhang eingebettet sind. In Bezug auf Gappmayrs Werke der Konkreten Poesie destilliert Hapkemeyer zwei wichtige Tendenzen heraus. Zum einen betont er die Affinität des Künstlers zum Konstruktivismus, die sich neben der Bevorzugung geometrischer Grundformen auch in einer reduzierten Farbauswahl zeigt. Zum anderen arbeitet er heraus, dass Gappmayr schon in den 60er-Jahren, also der Hochzeit der Konkreten Poesie, erste Ansätze der Raum- und Konzeptkunst zu aktualisieren vermochte. Wie in "erinnertes rot" evoziere allein die Sprache beim Leser die Vorstellung eines Phänomens: "Die Worte stellen gleichsam ein neutrales Sprungbrett dar, das uns in einen Denkvorgang hineinkatapultiert." (164). Den im Abstrakten wurzelnden Arbeiten Gappmayrs stellt Hapkemeyer, gleichsam als Kontrast, Werke von Heimrad Bäcker gegenüber, deren Bezugspunkt nicht allein in der Sprache, sondern außerhalb des Textes in der deutsch-österreichischen Geschichte zu verorten ist. Bäckers Arbeiten speisen sich seit den 70er-Jahren immer wieder aus dem für ihn traumatischen Besuch des Konzentrationslagers Mauthausen unmittelbar nach Kriegsende. Bäcker montiert dabei historische Fundstücke aus NS-Akten nach den Regeln der Konkreten Literatur. "Es kommt gleichsam zu einer coincidentia oppositorum. Das Sprachmaterial ist einerseits es selbst und verweist andererseits auf seine schreckliche Herkunft [...]" (174). Hapkemeyer sieht damit in Bäckers Arbeiten keine Verharmlosung des Holocaust in der Kunst, sondern deutet sie im Gegenteil als gelungene "Übersetzung des Unfassbaren ins Anschauliche" (176).

Unter der Kategorie "High & Low" greift Hapkemeyer zwei Aspekte auf, wie sie auch in dem Katalog zur gleichnamigen, wegweisenden Ausstellung des New Yorker MoMA [1] auftauchen: Einmal das Verhältnis von Comic, Dichtung und Malerei bei Raymond Pettibon und zum anderen dasjenige von Werbung und Kunst bei so verschiedenen Künstlern wie Barbara Kruger, Ken Lum und Peter Zimmermann. Über diese Beispiele hinaus nimmt Hapkemeyer das metaphorisch gebrauchte Schlagwort "High & Low" allerdings auch wörtlich, wenn er sich nach Gianpietro Sonó Fazion, der ausführlich in dem Kapitel "Texte als Orientierungshilfe" vorgestellt wird, nochmals einem Künstler der Land Art zuwendet: dem "gehenden Künstler" Hamish Fulton. Im Mittelpunkt des Artikels steht dabei eine Wanderung Fultons, die er zusammen mit Reinhold Messner im Jahr 2002 unternommen hatte. Das Erlebnis des "Unten & Oben" der vom Museion Bozen initiierten Bergwanderung findet in materiell unaufwändigen Zeichnungen (u. a. Umrisszeichnungen von Messners Füßen) und beschriebenen Holzstäben seinen sichtbaren Niederschlag. Zu Recht weist Hapkemeyer aber darauf hin, dass auch bei dieser Arbeit das entscheidende Moment die Erfahrung des Gehens selbst darstellt und nicht das am Schluss ausgestellte Artefakt.

Ausgehend von den durch die Ästhetik der Werbeplakate beeinflussten Künstlern gelingt es Hapkemeyer schließlich einen Bogen zu einem Großteil der von ihm besprochenen Künstler zu schlagen. Viele von ihnen bedienen sich, formal betrachtet, der Möglichkeit der schnellen Kommunikation in Texten und Bildern wie sie meisterhaft von der Werbemaschinerie praktiziert wird. Hapkemeyer vermutet, diesen Gedanken weiterführend, dass sich die Beweggründe für den gemeinsamen Nenner von Kunst und Werbung durchaus ähneln: "Diese Optimierung erweist sich als notwendig im Wettbewerb um die in einer Zeit der generellen Reizüberflutung aller Art immer knapper werdende Ressource Aufmerksamkeit." (247). Doch gerade Letztere erringen Künstler, wie sie Hapkemeyer vorstellt, auch über eine Verlangsamung der Wahrnehmung mittels der manchmal irritierenden Kombination von Texten und Bildern und eröffnen den Betrachtern, die sich lesend und sehend Zeit nehmen, unersetzliche ästhetische Erfahrungen: "Kunst ist und bleibt in unserer heutigen Gesellschaft bis auf Widerruf eine der wesentlichen Formen sozialer Atmung." (248).

Mit dem Sammelband "Language in Art" gelingt Hapkemeyer vor allem zweierlei. Zum einen reflektiert er durch seinen direkten Zugang zu Künstlern und Werken wichtige Positionen auf dem Gebiet "Sprache und Bild", ohne sich in den unzähligen Publikationen zu diesem Thema zu verirren. Zum anderen findet er eine verständliche, kongeniale Sprache, um von der Aufnahme von Texten in Werken der bildenden Kunst zu sprechen. Hinzu kommt, dass er sich auch weniger bekannten Künstlerpersönlichkeiten ausführlich zuwendet, und der Sammelband mit einigen exzellenten Abbildungen der besprochenen Arbeiten ausgestattet ist.


Anmerkung:

[1] Kirk Varnedoe (Hg.): Modern Art and Popular Culture. Readings in High and Low, Ausst.-kat., New York 1990.

Stefanie Rentsch