Rezension über:

Sauro Gelichi / Cristina La Rocca: Tesori. Forme di accumulazione della ricchezza nell'alto medioevo (secoli V-XI) (= Altomedioevo; 3), Roma: viella 2004, 325 S., ISBN 978-88-8334-093-2, EUR 28,00
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Rezension von:
Philippe Cordez
École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris / Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Philippe Cordez: Rezension von: Sauro Gelichi / Cristina La Rocca: Tesori. Forme di accumulazione della ricchezza nell'alto medioevo (secoli V-XI), Roma: viella 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/8449.html


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Sauro Gelichi / Cristina La Rocca: Tesori

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Nach einigen Jahren legen Sauro Gelichi und Christina La Rocca jetzt das Resultat eines Kolloquiums vor, das bereits 1997 in San Felice del Benaco am Gardasee stattgefunden hat. Der Tagungsband enthält neun Texte, von denen einige aktualisiert und zwei bereits andernorts publiziert sind, aber hier in italienischer Übersetzung erscheinen.

Auf kluge Weise unterscheiden und verbinden Titel und Untertitel die "Schätze" und die "Formen der Akkumulation von Reichtümern", was programmatischen Wert hat. Der "Schatz" als Diskurs, der von Texten getragen wird, unterliegt anderen Problematiken und einer anderen Wissenschaftstradition als der "Schatz", der archäologischer Fund ist. Die Referenten sollten sich mit drei ineinander greifenden Problemen auseinandersetzen: 1. den Bedeutungen und Verwendungen des Begriffs Schatz im Hochmittelalter, 2. dem Teil der damaligen materiellen Kultur, den man heute als "Reichtum" oder "Schatz" bezeichnet und 3. dem Begriff des Schatzes in seiner traditionellen Bedeutung für Archäologen und Numismatiker.

Eine so eindeutige Formulierung der dreifachen Aufgabe hätte dem Band zu einer klareren Struktur verhelfen können. Man kann nur erahnen, welcher Ordnung die Beiträge folgen, die alle sehr inhaltsreich sind. Einige Autoren stützen sich vornehmlich auf Texte und / oder behandeln in erster Linie den Begriff: François Bougard hat zahlreiche italienische Quellen gesichtet, Stefano Gasparri untersucht den königlichen Schatz, Nicoletta Giovè Marchioli den Status der Bücher. Weitere Beiträge rücken die archäologische Betrachtungsweise in den Mittelpunkt: so die Überlegungen von Sauro Gelichi, jene von Monica Baldassarri und Maria Chiara Favilla, die 48 italienische Schatzfunde vorstellen und analysieren, ebenso die Darstellungen von Alessia Rovelli zur Numismatik und von Gisela Ripoll über den Schatz von Guarrazar. Cristina La Rocca verbindet unterschiedliche Ansätze.

Die Überlegungen zur und durch die Archäologie sind eine Stärke dieses Sammelbands, die anhand einiger wiederkehrender Ideen kurz illustriert werden kann. Das Bild des gefundenen "Schatzes" ist Gegenstand vieler Träume und auch ein juristischer Begriff. Er beruht im Wesentlichen bis heute auf dem römischen Recht, das den Umgang mit Fundstücken ohne Besitzer regelt (22). Um aber die Niederlegung der Objekte genauer zu analysieren, muss das überladene Bild des Schatzes aufgegeben werden. Der Begriff der "Wertgrenze" ("soglia del valore", 10, 28-29, 144) zeigt, dass die Güter des allgemeinen Gebrauchs ebenso aufbewahrt wurden wie jene, die eher unseren Kriterien für Kostbarkeiten entsprechen.

Die Motive der Niederlegung formen ebenso einen Untersuchungsgegenstand. Die traditionellen Hypothesen des Vergrabens aus rituellen Gründen oder in Notsituationen sind nicht mehr zufrieden stellend (124, 242). Selbst wenn der archäologische Kontext der Funde häufig unzureichend bekannt ist, bietet die Beschreibung vieler Funde und ihre Erfassung in Korpora (Baldassari und Favilla) eine Möglichkeit, dieser Frage weiter nachzugehen. In einem weiteren Schritt werden die gewonnenen Beobachtungen mit Überlegungen zu sozioökonomischen Modellen verbunden.

Das Aufzeigen chronologischer Abfolgen ist zugleich eine Herausforderung und eine Schwierigkeit der Untersuchungen zu Schätzen. Die verschiedenen Beiträge liefern eine Reihe von Indizien und skizzieren die Etappen einer tief greifenden Wandlung. Eine wesentliche Etappe ist um 600 mit der Verlangsamung der Niederlegungen, zumindest in Italien (17, 34, 171), anzusetzen, eine weitere in der Zeit der Karolinger mit einer zunehmenden Rolle der Kirchenschätze (135). Einerseits ist es der Zusammenbruch des römischen Wirtschafts- und Handelssystems sowie des Finanz- und Verwaltungsapparates, andererseits sind es die Kriege, welche die zahlreichen Niederlegungen und ihre fehlende Hebung erklären. Die Abnahme von Niederlegungen fällt später mit der Verlangsamung des Geldumlaufs (256) und mit der Etablierung eines sozialen Systems zusammen, das sich im Wesentlichen auf den Besitz von Land gründet. In Nordeuropa fungierten die Rücklagen von Objekten vor allem als Votivgaben oder als persönliche Reserven für das Jenseits. Eine drastische Abnahme dieser Niederlegungen ist mit der Entstehung der Geldwirtschaft zu verzeichnen (172).

Die Herausgeber haben Chris Wickham die Einleitung des Tagungsbands überlassen. Mit Recht unterstreicht er die Unmöglichkeit einer Analyse aller Aspekte - ökonomische, symbolische etc. -, die der Begriff Schatz beinhaltet (9). Wickham stützt sich auf die Beiträge, um drei Oppositionen vorzuschlagen: sichtbarer / nicht sichtbarer Schatz (hier als öffentlich / privat bezeichnet), symbolisch / ökonomisch und verlassen / aufbewahrt. Das Modell befriedigt den Leser trotz seiner Vorzüge nicht ganz. Eine gründliche Bearbeitung hätte die Überlegungen der Theologie berücksichtigen müssen. Selbst wenn man den Untertitel des Bands "Akkumulation von Reichtümern" in einem materiellen und restriktiven Sinn begreift, kann man nicht darauf verzichten, die moralische und spirituelle Ökonomie der Schätze zu betrachten.

Man kann Chris Wickham nicht folgen, wenn er darlegt, dass die Kategorie "Schatz" "zu allgemein wäre, um von irgendeinem Nutzen für die Wissenschaft zu sein", und ihr nur das Verdienst zuschreibt, die Überlegungen zur Konstruktion von Wertgegenständen und ihrer Anwendung angeregt und geleitet zu haben (9). Das Thema und der Tagungsband haben darüber hinaus ihren Wert! Die Infragestellung einer Kategorie, die am Anfang der Archäologie und der Numismatik stand, erlaubt eine bessere Analyse der aufbewahrten Gegenstände und erneuert somit wesentlich unser Verständnis der materiellen Kultur. Und das ist nur eine erste Errungenschaft innerhalb der allgemeinen Forschung zum Bild des Schatzes und seinen Verwendungen. Der "Schatz" erscheint in der Tat wie eine wesentliche Kategorie des langen Mittelalters, indem er das Irdische mit dem Himmlischen, das Poetische mit dem Juristischen etc. verknüpft. Während seiner ganzen Entwicklung hat der Begriff bis heute seine Faszinationskraft beibehalten. Die Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigen sich aber erst seit Kurzem mit einer analytischen Erschließung des Konzepts. [1]

Der Band wird durch einige Schwarz-Weiß-Abbildungen und Karten ergänzt (zu bemerken ist eine fragwürdige Interpretation zweier Karten von Sauro Gelichi, 37). Orts-, Namens- und Sachregister sind ebenfalls vorhanden. Beachtenswert ist die ausführliche Bibliografie (ca. 250 Titel), die leider nicht thematisch geordnet ist und somit etwas heterogen wirkt. Dennoch ist sie sehr nützlich, um sich über die archäologischen Entdeckungen zu orientieren.

In gelungener Weise werden hier Archäologie und Quellenstudium verbunden. Einige Aspekte der materiellen Kultur sowie das Bild des Schatzes in verschiedenen mittelalterlichen und gegenwärtigen Diskursen werden erläutert. Der Band bildet einen wichtigen Schritt in einem jungen Forschungsfeld, das den Schatz analysieren und ihn als Schlüsselkonzept der abendländischen Gesellschaften begreifen will. Die Lektüre des Bands sollte daher nicht nur für Archäologen und Spezialisten des Hochmittelalters anregend sein, sondern auch für jene, die Interesse haben an kulturellen Errungenschaften, materieller oder imaginärer Art, und ihren Zusammenhängen mit dem Leben in Gemeinschaften.


Anmerkung:

[1] Vgl. vor allem Jean-Pierre Caillet (Hg.): Les Trésors de sanctuaires de l'Antiquité à l'époque romane, Paris, 1996; Elizabeth M. Tyler (Hg.): Treasure in the Medieval West, York, 2000; Thomas Kühtreiber (Hg.): Vom Umgang mit Schätzen, Tagung in Krems an der Donau, Okt. 2004 (im Druck); Lucas Burkart / Philippe Cordez / Pierre Alain Mariaux / Yann Potin: Le trésor au Moyen Âge. Questions et perspectives de recherche / Der Schatz im Mittelalter. Fragestellungen und Forschungsperspektiven, Neuchâtel, 2005.

Philippe Cordez