Katja Blomberg: Wie Kunstwerte entstehen. Der neue Markt der Kunst, Hamburg: Murmann 2005, 224 S., ISBN 978-3-938017-24-1, EUR 24,90
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Katja Blomberg schildert in ihrem als "ultimativ" (Buchumschlag, verso) beworbenen "Scout" anhand ausgewählter Protagonisten des Kunstmarktes - Künstler und Galeristen, Sammler und Kuratoren - einige zentrale Konstellationen des deutschsprachigen Kunstfeldes und die dabei beobachtbaren pekuniären Verteilungskämpfe. Verspricht die Autorin, anhand von "Porträts und persönlichen Erfahrungswerten" "die Spielregeln, wie Werte im Kunstmarkt entstehen", anschaulich (8) werden zu lassen und Einblicke zu gewähren in das Geflecht von sich wechselseitig beobachtenden und kontrollierenden Institutionen, so nutzt sie dafür einen rein deskriptiven Zugriff - auf ein komplexes Feld, das vorrangig der Analyse bedurft hätte.
Für die Fragestellung des Buches wäre ein Zugang besonders ergiebig gewesen, der es erlaubte, bisher unterrepräsentierte Fragen der privaten Kunstinvestition in den Blick zu nehmen, ohne die ästhetische Erfahrung, die Kunst idealiter ermöglichen soll, zu einem bloßen Epiphänomen ökonomischer Kontexte zu degradieren. Im Gegenteil: Indem man die Felder der Kunstproduktion und Vermarktung als Raum spezifischer sozialer Distinktion und Konkurrenz verstünde, verträte man den Anspruch, den Kunstmarkt und damit den Bereich des Ästhetischen als genuines Medium gesellschaftlicher Auseinandersetzung aufzuwerten.
Dass sich jedes einzelne Kunstwerk immer in und zu einer spezifischen Konstellation des Marktes positioniert, ist ein Allgemeinplatz, auf dem Blomberg sich ausgiebig tummelt: Aus Erzählungen über Sammler und Künstler, Kuratoren und Galeristen ist ihr Führer gereiht, der schwungvoll geschrieben ist und Bilder von Sammlungen und Messen arrangiert, wobei es kein thematisches oder theoretisches Zentrum, nur die Sukzession von 38 kurzen Kapiteln gibt, die sich in freiem Rhythmus unterschiedlichen Themenfeldern widmen.
Blombergs Deskription des Kunstmarkts und seiner Mechanismen wirkt am Ende ein wenig zu berauscht von den vielen großen Zahlen, die schnelle Verkaufserlöse und stupende Gewinnmitnahmen auf dem Kunstmarkt liefern: Noch nie wurde für Werke lebender Künstler solche Summen bezahlt wie im Herbst 2004; und im Geist dieser Hausse wird in parataktischer Reihe über das Geschäft mit der Kunst geschrieben: Wenn es heißt, es sei "zu hart, zu schnell, zu teuer" (9), um den Protagonisten dieses Theaterstücks "viel Raum für Ausschweifungen" (9) zu lassen, dann wird ersichtlich, wie dem temporeichen Sprachduktus die weitergehende Untersuchung geopfert wird: Geschichten über das Beziehungsgeflecht, das sich zwischen Sammlern und Galeristen, Kuratoren und Künstlern entspinnt, sollen Antworten geben auf die Frage, welche weit reichenden Folgen es für das Kunstfeld hat, wenn sich auf ihm Käufer tummeln, die Kunst primär als Geldanlage und Mittel zur Imageaufwertung begreifen. Für diese Luxusgüter werden neue Vermarktungsstrategien entwickelt, erfahren wir, Auktionshäuser bieten Waren an, die kaum das Atelier verlassen haben, und neben den Galeristen, der sich als Connaisseur versteht und Kunst nicht öffentlich verkauft, sondern privat vermittelt, spielt sich ein neuer Typus von Kunsthändler in den Vordergrund: Kunstvermarkter, die in der "neuen Dekade des Desire" [1] für den reichen Gabentausch sorgen und die Vernetzung zwischen Atelier, Galerie und Sammler befördern.
Mit der Bemerkung, eine "würdelose Markthysterie" [2] durchwalte das Feld der zeitgenössischen Kunst, wird Robert Hughes von der Autorin zitiert, doch mag sich Blomberg diesem Verdikt nicht anzuschließen: Kunst ist im Zentrum der Gesellschaft angekommen, da neue Sammler ihr die Aufgabe zuweisen, ihrem öffentlichen Gesicht Kontur zu verleihen. Seit die Kunstproduktion die Oberfläche zum Sujet eines hohen Stils werden ließ und damit erfolgreich eine avancierte Position markiert, gibt es diese Möglichkeit der Anverwandlung.
Die dementsprechend verhandelte Kunst, so zitiert Blomberg den Kunsthistoriker Beat Wyss in ihrer Einleitung, "liebt den Luxus und das Zwielicht gediegener Halbwelt, für die sie die Ausstattung liefert". [3] Nicht mehr die dämmrigen Salons des Großbürgertums, sondern die ästhetisierte Lebenswelt einer Erbengeneration, die sich den kristallinen white cube zur Bühne der Selbststilisierung erkor, wird mit vermeintlich intelligenter Kunst dekoriert, die zumindest nach 1945 entstanden ist, besser noch: brandneu zu sein hat. Nicht die Frage nach der Autonomie der Kunst wird heute noch verhandelt, so könnte man Blomberg interpretieren, sondern die Frage, wie sie repräsentative Zwecke erfüllen (16) und der Selbststilisierung ihrer Besitzer zuarbeiten könne. Wenn einzig Oberflächen von Interesse sind, sorgt nicht die "hohe Qualität der Kunst" (40) für ein stetig wachsendes Publikum, vielmehr sind es die optimierten Bedingungen der Präsentation und Vermarktung, die die Umsätze vervielfachen: es ist die institutionelle Rahmung der Kunst, die Interesse weckt. Blomberg fokussiert folgerichtig Verkaufstechniken und Wertschöpfungsmodi, befragt mediale Techniken nach ihrer Tauglichkeit und beschreibt mit einem Unterkapitel "Kunstmarkt, Aldi und Internet" vermeintliche Grenzüberschreitungen zu 'illegitimen' Orten des Kunsthandels. Die von modernen Strategien des Kunstmarkts mit Nachdruck betriebenen Öffnungen in den Bereich der "Discounter" (Aldi als Verkaufsagent) sind dabei als Nivellierung tradierter Grenzen zu verstehen und dienen gerade der innovativen Profilierung des Kunstmarkts.
Der Kunstbetrieb, so die leitende These Blombergs, ist profitorientiert, wobei nicht die Produzenten zu bestimmen haben, was Kunst sei, sondern "Sammler und Händler, Kuratoren und Kritiker" (177). Blomberg beschreibt, wie im Kunstmarkt Netze gespannt werden; und natürlich erfüllen diese ihren Zweck nur dann, wenn Beute gemacht wird. Denn einerseits wollen Artefakte erworben sein, andererseits gilt es, dem Rezipienten und zukünftigen Käufer diese nicht nur als Köder zu präsentieren, sondern ihn in einem weitgespannten Netz einzufangen. Damit würde die Beziehung möglichst verstetigt, die sich an der Relaisstelle von Werk und Ausstellung, Messe und Museum, Kurator und Sammler ergibt, ohne dass noch die Frage nach der spezifischen Qualität des Artefakts aufkäme: Man kann in einer solchen sich dreifach verwebenden Praxis natürlich nur ein Grundgesetz des Kunstmarkts erkennen, aber mit einem solchen Einsatz institutioneller Deutungshoheit sind weitgehende Transformationen der tradierten ästhetischen Erfahrungsweisen verbunden, die Blomberg nicht weiter verhandelt: Die Rezeption der Artefakte ist dann durch einen unmittelbaren, weniger intellektuellen als vielmehr emotionalen Zugang gekennzeichnet, wenn das Preisschild einen Betrag beziffert wie: "2.639.500 Dollar für drei Staubsauger in einer beleuchteten Vitrine von Jeff Koons" (14), oder die institutionelle Rahmung die Qualität des Werks definiert.
Die Distribution von Kunst als pekuniäres Ereignis zu beschreiben, dürfte jedoch nicht ausreichen, um die Mechanismen des Marktes verständlich werden zu lassen: Temporeich den Reigen zu schildern, den die Institutionen formieren, wenn sie sich im schnellen Tanzschritt um den Götzen Gewinnmaximierung vereinen, gelingt Blomberg hingegen ohne weiteres. Auf das eigene Auge zu vertrauen und den Weg einzuschlagen, Expertise einzig über vergleichendes Sehen zu erlangen, ist der Ratschlag, den Blomberg am Ende ihres Buches dem Leser erteilt. Kunst nicht nur zu bewundern, weil sie exklusiv ist oder enorme Wertsteigerung verspricht, sondern mit den eigenen Assoziationen spielen zu dürfen, die sich mitunter in den Verkaufsräumen internationaler Messen materialisieren lassen, wäre eine Möglichkeit gelingender Kunsterfahrung, die idealiter keinem anderen Kriterium als jenem der Interesselosigkeit zu entsprechen hätte.
Anmerkungen:
[1] Harald Falckenberg: Schönheit und Konsum, unveröffentlichtes Manuskript, Juli 2004.
[2] Robert Hughes: Wie ich lernte, die Royal Academy zu lieben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.8.2004.
[3] Beat Wyss: Sieben Jahre gilt für das fürstliche Kunstlehen, in: Süddeutsche Zeitung, 12.10.2004.
Oliver Jehle