Rezension über:

Pierre Rosenberg: Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard . . . Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen. Eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München, der Stiftung Haus der Kunst, München, und der Réunion des Musées Nationaux, Paris, Ostfildern: Hatje Cantz 2005, 496 S., ISBN 978-3-7757-1505-8, EUR 49,80
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Rezension von:
Marion Bornscheuer
Staatsgalerie Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Marion Bornscheuer: Rezension von: Pierre Rosenberg: Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard . . . Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen. Eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München, der Stiftung Haus der Kunst, München, und der Réunion des Musées Nationaux, Paris, Ostfildern: Hatje Cantz 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/9169.html


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Pierre Rosenberg: Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard . . . Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen

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Am 17. Februar 2006 erreichte die Ausstellung "Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen" nach ihrer Präsentation in Paris (Galeries Nationales du Grand Palais) und München (Haus der Kunst) in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn ihre letzte Station (bis 14. Mai 2006). Für die Auswahl der Exponate, die sich historisch bedingten Schwierigkeiten wie Verkäufen, Kriegsverlusten und der Fragilität einiger nicht transportabler Hauptwerke stellen musste [1], orientierte sich der Ausstellungskurator Pierre Rosenberg - einstiger Direktor des Louvre und Experte für französische Malerei - an den heutigen Grenzen Deutschlands und stellte einen exquisiten Bilderapparat zusammen.

Der die Ausstellung begleitende Katalog spannt in 11 wissenschaftlichen "Essays" einen großen Bogen von der historischen Frankreichforschung in Deutschland über die Entwicklung des deutschen Kunstmarktes hin zu den Sammlungen der wichtigsten deutschen Fürstenhöfe und Museen. Den angegliederten Katalogteil mit farbigen, größtenteils ganzseitigen Abbildungen runden konzise Bildanalysen der knapp 190 ausgestellten Werke ab.

In den beiden ersten Beiträgen untersuchen Thomas W. Gaethgens und Henry Keazor die wissenschaftliche Rezeption der französischen Malerei in Deutschland bis in die Nachkriegszeit. Burton Fredericksen wendet sich anschließend der Situation des deutschen Kunstmarktes vor 1800 zu und bemerkt, dass es neben Hamburg und Köln keine bedeutenden Kunsthandelszentren in Deutschland gab (39-40). Außerdem hätten französische Gemälde "nie mehr als etwa zweieinhalb Prozent der Bilder aus[gemacht], die über deutsche Auktionen angekauft wurden" - woraus Fredericksen schließt, dass "die Nachfrage [...] im Bürgertum [...] eher gering war" (40). Die Situation habe sich aber im Vorfeld der Französischen Revolution durch steigende Importe geändert: "1796 [...] wurden allein in Hamburg 140 französische Gemälde versteigert" (45). Dass "die Namen einiger weniger Künstler (Poussin, Lorrain, Bourdon, Courtois, Watteau und Vernet) auf deutschen Auktionen im Übermaß" erschienen, sei Zufall (45).

Bénédicte Savoy versucht in ihrem Beitrag über "Frankreich und die deutsche Museumslandschaft im 18. Jahrhundert", "die historische Sicht von Frankreich als dem Ursprungsland des öffentlichen Museums zu revidieren", dessen Tradition sie vielmehr im Italien und Deutschland "der vorrevolutionären Zeit verwurzelt" sieht (47). Sie zeichnet die Kulturgut-Beschlagnahmung durch die französischen Kommissare von Aachen bis Wien in der Zeit von 1794 bis 1815 nach und erläutert zur Verdeutlichung, "was durch die Besatzer zerstört wurde", "drei Aspekte, die die Modernität der deutschen Museen des 18. Jahrhunderts ausmachten: das Vorhandensein eigenständiger Gebäude, eine didaktische Ausrichtung in der Präsentation der Kunstwerke und die öffentliche Zugänglichkeit" (48). Dennoch seien die französischen Konfiskationen insofern als "Gründungsakt in der Geschichte der deutschen Museen" zu verstehen, als erst der Schock über den Verlust der Kunstwerke und ihre diffizile Auslösung in Paris zu einer "nationalen Aneignung von Sammlungen [führten], die bis dahin als alleiniger Besitz der Fürsten angesehen worden waren" (53).

Den fürstlichen Sammlungen - genauer: der französischen Porträtsammlung der im Fürstentum Wolfenbüttel regierenden Herzoge von Braunschweig-Lüneburg - wendet sich Jochen Luckhardt zu und macht dabei eine spannende Entdeckung: Das von Largillière angefertigte Porträt des deutschen Gesandten Konrad Detlef Graf Dehn, der in Paris die Bündnispolitik zwischen dem Fürstentum Wolfenbüttel und Frankreich vorantrieb, wirkt nur auf den ersten Blick auf Grund des nahen Ausschnittes und des unter den Arm geklemmten Hutes intim. Tatsächlich zeige es Dehm im Moment der Reverenzerweisung an Louis XV. und zeuge - als repräsentatives Porträt - von Dehns Erfolg bei der königlichen Audienz (78-80). Zugleich veranschauliche es Largillières Bemühen, mit dieser Erfindung "vom - aus akademischer Sicht - zweitrangigen Porträt wegzukommen und zum angeseheneren Historienbild aufzuschließen" (81).

Auch die Beiträge von Alexander von Soldokoff, Patrick Michel und Christoph Martin Vogtherr stellen die jeweils eigenen Motivationen und Intentionen von Sammlern französischer Kunst an deutschen Fürstenhöfen heraus. Für die Herzöge von Mecklenburg-Schwerin konstatiert Soldokoff, dass sich ihre ganz persönlichen Vorlieben in den angekauften französischen Meisterwerken spiegeln - die jagdbegeisterten Herzöge sammelten primär die lebensnahen heimischen und exotischen Tierdarstellungen von Jean-Baptiste Oudry, mit dem sie persönlich in Kontakt standen und langjährige Geschäftsbeziehungen hegten (82-86).

Anders verhält es sich bei der selbst malenden, intellektuell interessierten Markgräfin Caroline von Baden, die ihr Gemäldekabinett Michel zufolge "nach einem streng durchdachten Plan" aufbaute: "Sie trat als eine Sammlerin in Erscheinung, die methodisch, systematisch und selektiv vorging" (65). Mit dem Ankauf französischer Gemälde beanspruchte sie, "die Karlsruher Sammlung besser zu machen" als die damals vorbildliche "Dresdener" (65). Gemäß ihrem Konkurrenzanspruch beschäftigte sie nach Michel nicht nur fähige Kunstagenten (67), sondern bildete sich selbst durch intensive Studien der Kunstliteratur und durch ihre Reise nach Paris 1771 fort (65). Ihr sammlerisches Hauptinteresse habe sich dabei bekanntlich auf die Kunst Chardins gerichtet (71).

Im Sammlungsschwerpunkt Friedrichs II. von Preußen, dessen Vorliebe den "Fêtes galantes" galt, konstatiert Vogtherr im Laufe der Zeit eine Verlagerung, die mit dem politischen Aufstieg des Monarchen einher gehe und seinen Statuswandel "vom königlichen Privatsammler zum sammelnden König" veranschauliche (91). Habe der König die "Fêtes galantes" schon als Kronprinz stets seinen Privaträumen vorbehalten, die er als "positive Gegenwelt zu den Regierungsaufgaben und zur Pflicht - für den Frieden, die Lust und die persönliche Freiheit" betrachtet habe (91), so sei für seine Sammeltätigkeit in den 1750er-Jahren parallel zu Preußens Aufstieg zur Großmacht ein signifikanter Wandel erkennbar: "Neben die französische Malerei trat nun verstärkt die [gesuchtere] italienische, neben die Genremalerei immer stärker die [repräsentativere] Historienmalerei" (94). Dennoch bleibe festzuhalten, dass sich Friedrich II. "bei der Wahl der Gemälde [...] weniger von den Malern der Fêtes galantes fort als vielmehr zu den Meistern anderer Schulen hin" bewegt habe (94).

Die beiden letzten Beiträge von Harald Marx und Virginie Spenlé streben eine Gegenüberstellung von Paris und Dresden als Kunstzentren des 18. Jahrhunderts an, die in engem Austausch miteinander standen. Es folgt der Abbildungsteil des Katalogs, der sich durch seine zugleich chronologisch und thematisch angelegte Gliederung als äußerst benutzerfreundlich erweist. Dies lässt darüber hinwegsehen, dass die Farbreproduktionen nicht ausnahmslos von bester Qualität sind. Entdecken lassen sich so herrliche Werke wie Laurent de La Hyres um 1635 entstandene "Felsenlandschaft mit Wasserfall und zwei Reisenden" [2] (Kat. Nr. 67; Köln, Wallraf-Richartz Museum), die ihrer Zeit weit voraus erscheint (362), aber auch Besonderheiten wie das "Vanitas-Stilleben" von dem neu benannten Meister des Almanachs Damien Lhomme (Kat. Nr. 185; Halle an der Saale, Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt). Im anschließenden Textteil ist jedes der ausgestellten Gemälde in einer knappen, zum Teil durch Vergleichsabbildungen ergänzten Werkanalyse kommentiert. Damit übertrifft der Band den Anspruch eines Ausstellungskataloges bei weitem und vermag der zukünftigen Forschung über französische Malerei als hervorragendes Handbuch völlig neue Grundlagen zu erschließen.


Anmerkungen:

[1] So sind beispielsweise Watteaus "Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint" (Berlin, Schloss Charlottenburg) oder Bourdons "Römischer Kalkofen" (München, Alte Pinakothek) nicht in der Ausstellung zu sehen.

[2] Tatsächlich zeigt das Bild drei Reisende; die dritte, kaum noch erkennbare Gestalt befindet sich links im Schatten des Felsendurchbruchs.

Marion Bornscheuer